„Gehen davon aus, dass es noch schlechter wird“ – vier Gründe, warum Ökonomen für die Konjunktur in Deutschland schwarz sehen

Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Im Gegenteil, Analysten erwarten, dass sich die Rezession noch vertieft. - Copyright: Picture Alliance

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Deutschland ist in der Rezession gefangen. Die Wirtschaft schrumpft, die Preise steigen. Deutschland ist nicht nur Schlusslicht in Europa. Es ist die einzige große Industrienation, in der die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr zurückgehen wird. Die wichtigsten Konjunkturforscher haben ihre Prognosen in rascher Folge gesenkt. Sie gehen nun von einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,4 bis 0,7 Prozent aus. Ist das Tiefpunkt? Oder geht es noch weiter runter?

Neue Daten zeichnen ein eher düsteres Bild, wenn auch mit hellen Flecken. Das zeigt etwa der wichtige Frühindikator ZEW-Konjunkturerwartungen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragt dafür regelmäßig Finanzexperten. Im September bewerten sie die aktuelle Lage so schlecht wie seit drei Jahren nicht mehr, also seit dem Tiefpunkt der Corona-Krise. Auf der anderen Seite hellten sich ihre Erwartungen für die kommenden sechs Monaten überraschend etwas auf. Der Index-Wert stieg um 0,9 Punkte auf minus 11,4 Punkte an. Analysten hatten mit minus 15 Punkten gerechnet.

Als einen Grund für den besseren Ausblick nannte ZEW-Präsident Achim Wambach die Erwartung, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Notenbank Fed die Zinsen nicht weiter erhöhen und die Bank of China die Zinsen sogar senkt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre Präsidentin Christine Lagarde entscheiden an diesem Donnerstag erneut über eine Erhöhung der Leitzinsen.

Womit wir mitten im Weltgeschehen wären, das die Konjunktur in Deutschland besonders prägt, das als Exportnation in hohem Maße von der Weltkonjunktur abhängig ist. Von diesen äußeren Faktoren kommt derzeit erheblicher zusätzlicher Gegenwind.

Viele Ökonomen sehen daher keine Entwarnung. „Der leichte Anstieg der Konjunkturerwartungen ist nur ein Lichtblick. Für eine Trendwende ist die Verbesserung aber noch viel zu schwach“, mahnt Christoph Swonke von der DZ-Bank. Er verweist auf jüngste Daten aus der Wirtschaft. „Die Einzelhandelsumsätze sind rückläufig, die Industrieproduktion schwächelt und die Auftragseingänge sinken.“ Aus dem China-Geschäft kommt Gegenwind, und der Bau leide unter den hohen Zinsen.

Noch deutlicher wird Jörg Angelé vom Vermögensverwalter Bantleon. „Die konjunkturelle Talfahrt Deutschlands hat sich verschärft“. Die Erwartungen seien nur deshalb etwas besser, weil die Lage so schlecht ist. „Viele Umfrageteilnehmer gehen offenbar davon aus, dass sich die Konjunktur nicht noch weiter eintrüben kann.“ Angelé widerspricht: „Wir gehen davon aus, dass es konjunkturell noch schlechter wird.“ Dafür nennt er vier Gründe:

Konjunktur in den USA trübt sich ein

Anders als noch im August hätten sich globalen Perspektiven eingetrübt. Zum Beispiel in den USA. „Wir rechnen weiterhin mit einer merklichen Konjunkturabkühlung in den USA“, sagt Angelé.

Die USA sind aber Deutschlands größter Kunde außerhalb Europas, weit noch vor China. Im ersten Halbjahr 2023 exportierten deutsche Firmen Waren im Wert von 78 Milliarden Euro in die USA. Das waren rund zehn Prozent aller deutschen Ausfuhren. Im Handel mit den USA erzielte Deutschland einen Überschuss von 30 Milliarden Euro, das war fast ein Drittel des gesamten deutschen Exportüberschusses.

Bisher hat das US-Geschäft die Konjunktur in Deutschland also sogar noch gestützt. Dass sich dies ändere, sei auch in Details der ZEW-Umfrage erkennbar, sagt Angelé: „So gab das Erwartungsbarometer für die USA von -3,5 auf -8,8 Punkte nach“.

In den USA mehren sich die Zeichen für einen Abschwung der Wirtschaft. Die Frage ist, wie hart die Landung wird.

China vom Hoffnungsträger zum Risiko

Auch für China verschlechterten sich die ZEW-Erwartungen von 18,9 auf 9,7 Punkte. Die Beurteilung der Lage in China sei angesichts anhaltend enttäuschender Konjunkturdaten sogar von -64,1 auf -78,3 Punkte abgesackt. Angelé erwartet nicht, dass die Regierung in China die Konjunktur dort mit viel Geld stützen "und die Nachfrage nach Produkten Made in Germany beflügeln" wird.

Deutschland ist vom China-Risiko doppelt getroffen. Zum einen kauft China auf den Weltmärkten weniger Waren als erwartet. Zum anderen belasten die politischen Verwerfungen in Folge von Russlands Angriff auf die Ukraine auch Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zu China.

Schon im ersten Halbjahr 2023 gingen die Exporte aus Deutschland nach China auf weniger als 50 Milliarden Euro zurück.

"Das China-Geschäft ist schwach", sagt DZ-Bank-Analyst Swonke. "Trotz Diversifikationsbestrebungen der Ampel atmet Deutschlands Wirtschaft weiterhin mit der Entwicklung im Reich der Mitte."

Chinas Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Darunter leiden auch die deutschen Exporte nach China.

Zinserhöhungen der EZB schlagen erst noch durch

Die hohe Inflation war ein Auslöser der Konjunkturschwäche in Deutschland und vielen Industrieländern. Denn sie schwächte die Kaufkraft und damit den Konsum. Im Kampf gegen die Inflation haben die Zentralbanken die Zinsen in Laufe der vergangenen zwölf Monate so schnell und stark erhöht wie noch nie. Sie wollten damit die Konjunktur bremsen, und dieser Bremseffekt setzt ein.

Angelé: „Die negativen konjunkturellen Effekte des schärfsten Zinsanstiegs der vergangenen 40 Jahre werden ihre volle Wucht in Deutschland und in der Eurozone erst in den kommenden Monaten entfalten“. Die höheren Zinsen werden jetzt zum größten Risiko für die Konjunktur.

Der Bau bricht ein

„Besonders für die Bauwirtschaft stehen die Vorzeichen auf Abschwung“, sagt Angelé. „Daran lassen sowohl wegbrechende Aufträge im Wohnungsbau als auch die Zahl der Auftragsstornierungen keinen Zweifel". Laut Ifo-Institut berichteten im August fast zwölf Prozent aller Baufirmen von stornierten Aufträgen. Im Wohnungsbau waren es sogar über 20 Prozent. Beides sind Rekordwerte. Schon seit Monaten zeigen alle Indikatoren am Bau nach unten.

Das ist auch deshalb wichtig, weil rund sechs Prozent der gesamten Wertschöpfung in Deutschland auf dem Bau entsteht. Mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden für Baumaßnahmen ausgegeben. In mancher früherer Rezession hat der Bau die Konjunktur stabilisiert. Im Moment zeichnet sich eher das Gegenteil ab.

Maschinenbau schlägt Alarm

Ein Schlaglicht auf die Probleme warf am Montag der Branchenverband der Maschinenbauer VDMA. Fehlende Neuaufträge ließen die Produktion auch längerfristig schrumpfen. In diesem Jahr rechnet der VDMA mit einem Rückgang der Produktion um zwei Prozent. 2024 gehe es dann noch einmal um zwei Prozent runter.

Hier schließt sich der Kreis. „Die Schwächephase der Weltwirtschaft sei in Dauer und Intensität nicht einschätzbar“, sagt VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers. Im In- und Ausland fehlten Impulse. Dazu kämen Inflation, steigende Zinsen, der Ukraine-Krieg, die Spannungen mit China sowie die Diskussion um wettbewerbsfähige Standortbedingungen.„„All das ist ungeeignet, bei den Investoren Zuversicht zu stiften und eine Aufbruchstimmung zu schaffen“, beschreibt Wiechers die Lage.

Bantleon-Ökonom Angelé fasst die Aussichten so zusammen: „Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass Deutschland noch länger in einer Rezession gefangen bleibt. Das BIP dürfte im dritten und vierten Quartal erneut schrumpfen."

Alles hängt zusammen: Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, schwächelt. Die EU-Kommission muss die Konjunkturprognose senken.