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Gehaltsverhandlung ade? Warum New Work neue Vergütungsmodelle braucht

Wer auf neue Formen der Arbeit setzt, merkt schnell, dass klassische Vergütungsmodelle nicht mehr dazu passen. Drei spannende New-Pay-Ansätze.

Gehaltsgespräche sehen bei der Offenbacher Kommunikationsagentur CPP Studios eher nach Gruppendiskussion aus. Einmal im Jahr entscheidet eine Runde aus allen 27 Mitarbeitern, wie viel Geld sich die Belegschaft als Extra genehmigt, wie viel sie zurücklegt und wie viel sie investieren will.

Denn, das hat Gernot Pflüger, Gründer des demokratisch organisierten Unternehmens, von Anfang an vorgegeben: „Alle tragen zum Unternehmenserfolg gleichermaßen bei, also bekommen auch alle Festangestellten einen Einheitslohn“ – und zwar unabhängig von Alter, Qualifikation und Aufgabe.

Der Einheitslohn, soviel verrät der Gründer, liege über dem mittleren Einkommen der Bundesbürger von aktuell 2500 Euro brutto im Monat. Einzig Pflüger bekommt als Geschäftsführer noch eine Art Gefahrenzulage – für den Fall, dass er mit seinem Vermögen einmal haften muss; bleibt damit aber nach eigener Aussage unter dem, was Geschäftsführer hierzulande sonst durchschnittlich verdienen.

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Laufen die Geschäfte schlecht, würde das Kollegen-Kollektiv aber ohnehin einen gemeinsamen Gehaltsverzicht beschließen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis wächst das Unternehmen jährlich um knapp fünf Prozent.

Das Einheitsgehalt der Agentur aus Hessen mag ein Extremfall sein, der sich erst einmal schwer auf andere Unternehmen übertragen lässt. Doch der Fall deutet auf ein größeres Phänomen im New-Work-Zeitalter hin – und das hat sogar einen eigenen Namen: „New Pay“.

Der Gedanke: Wer es ernst meint mit den neuen Formen der Arbeit, merkt schnell, dass klassische Vergütungsmodelle mit ihren Führungszulagen und Einzelkämpfer-Boni nicht mehr dazu passen. Denn wem ist der Erfolg zuzuschreiben, wenn ein agiles bereichsübergreifendes Team ein komplexes Geschäftsproblem löst oder ein neues Spitzenprodukt entwickelt?

Und wer garantiert einem, dass in einem dynamischen Marktumfeld die Ziele, die man sich im Jahresgespräch gesetzt hat, nicht nach ein paar Wochen oder Monaten schon wieder obsolet sind?

„Geht man von mündigen Mitarbeitern aus, die stets aus eigener Überzeugung das tun, was notwendig ist, um den Unternehmenszweck zu erfüllen, kann die Rolle eines Einzelnen häufig wechseln“, sagt Jennifer Rolle. Eben noch Entwickler, später Produktdesigner, danach Team-Coach – „In so einem Setting die Gehälter jedes Mal anpassen – das ist nicht praktikabel“, sagt die Vergütungsexpertin von HR-Pioneers, die Arbeitgeber zu agilen Organisationsfragen berät.

Dass der Wunsch nach Veränderung bei der Vergütung da ist, zeigt auch eine Umfrage des Karrierenetzwerks Xing unter 170.000 Angestellten. Danach fordern acht von zehn Beschäftigten in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr Gehaltstransparenz in ihren Unternehmen. Gut 70 Prozent könnten sich sogar vorstellen, die Höhe des eigenen Lohns selbst zu bestimmen. Und jeder Zweite würde gerne bei der Vergütung der direkten Kollegen und Vorgesetzten ein Wörtchen mitreden.

Vergütungsexperte Dirk Sliwka von der Uni Köln beobachtet, dass die Zahl der Unternehmen mit individuellen Bonuszahlungen kontinuierlich abnimmt. Wohingegen die Zahl der Unternehmen steigt, die mit neuen Gehaltsmodellen experimentieren. Vor allem Start-ups und Mittelständler machen sich in Zeiten des Fachkräftemangels Gedanken, wie sie die Talente der neuen Arbeitswelt fair entlohnen. Aber auch Konzerne wie Bosch, Metro oder die Deutsche Bahn diskutieren für einzelne Bereiche, die bereits agil organisiert sind, offen über „New Pay“-Modelle.

Bei aller Euphorie: „Das Thema Bezahlung muss für Unternehmen schnell vom Tisch“, weiß Lars Vollmer, „mit basisdemokratischen Diskussionen wird leicht zu viel Zeit verplempert.“ Der Gründer der Hannoveraner Beratung Vollmer & Scheffczyk lässt neue Kollegen schon seit Jahren ihr Wunschgehalt in einen Blankoarbeitsvertrag eintragen.

Auch wenn er damit gute Erfahrungen gemacht hat, warnt er vor zu viel Nabelschau. Die Gefahr: Man beschäftigt sich mit sich selbst statt mit dem Kunden, „so kann der Aufwand schnell den Nutzen übertreffen“.

Wie kann „New Pay“ gelingen? Und welche Fallen sollten Entscheider meiden, die über eine Veränderung in der firmeneigenen Vergütungspolitik nachdenken? Drei Unternehmen haben dem Handelsblatt ihre Erfahrungen mit alternativen Bezahlmodellen geschildert – vom Start-up bis zum Großkonzern.

Ansatz 1: Sipgate – Simple Formel

Volle Konzentration auf den Kunden – so lautet die Devise von Tim Mois, Gründer des Telefonieanbieters Sipgate aus Düsseldorf. Weil Hierarchien ihn dabei nur lähmen würden, hat Mois diese einfach abgeschafft. Genauso wie die jährlichen Leistungskontrollen, kombiniert mit individuellen Boni, wie sie in der Branche üblich sind. Stattdessen gibt es bei Sipgate eine Gehaltsformel für alle 200 Mitarbeiter.

In die Rechnung fließen immer drei Werte ein: das Basisgehalt für die jeweilige Rolle eines Mitarbeiters plus zwei prozentuale Aufschläge – einmal für die Betriebszugehörigkeit und einmal für die persönliche Berufserfahrung in der Rolle. Durch die beiden persönlichen Variablen ergibt sich automatisch jedes Jahr eine Gehaltserhöhung. Darüber hinaus findet auch die Vergütungsentwicklung am Arbeitsmarkt Berücksichtigung.

So kann es passieren, dass die Gehälter der bereits angestellten IT-Entwickler steigen, weil eine neue IT-Kraft teuer von außen dazugekauft werden musste. Sip‧gate passt dann das Basisgehalt der betreffenden Rolle automatisch an. So will das Unternehmen Abgänge wertvoller Kräfte verhindern. „Um Gehaltssprünge zu machen, müssen unsere Kollegen nicht mehr den Arbeitgeber wechseln. Daher prallen auch Headhunter-Anrufe unerhört ab“, freut sich Firmengründer Mois.

Individuelle Extrazahlungen am Monatsende gibt es für Bereitschaftsdienste. Wer einen Uni-Abschluss wie den Bachelor- oder Master-Titel hat, darf sich ebenfalls über gestaffelte Zuschläge freuen. Das zusätzliche Weihnachtsgeld fällt hingegen für alle gleich aus.

Seit bald vier Jahren verfährt Sip‧gate so. Davor gab es jährliche Gehaltsgespräche mit Chef Mois, in denen vorwiegend diejenigen punkteten, die am lautesten forderten, wie er einräumt. Individuelle Boni hat Mois noch nie ausgelobt. Wissenschaftlich sei für ihn ausreichend belegt, dass dadurch die Eigenmotivation der Mitarbeiter ruiniert werde. Der Vorteil seiner universellen Vergütungsformel sei dagegen messbar: Rund 100 Arbeitsstunden pro Jahr helfe sie einzusparen, schätzt der Sipgate-Chef.

Umfangreiche Vor- und Nachbereitung der Einzelgespräche? Unnötig. Checklisten oder Fragebögen auswerten und verwalten? Entfällt. Lange Diskussionen über Selbst- und Fremdeinschätzung? Überflüssig. Und auch der psychologische Faktor sei nicht zu unterschätzen: „Niemand muss mehr Angst vor Gehaltsgesprächen haben.“

Stattdessen arbeiten die Kollegen ungestört. Keiner werde dadurch abgelenkt, dass er sich dauernd überlegt, wie sich wohl der ausgelobte persönliche Bonus am besten sichern lasse.

Insgesamt sei die Lohnspanne aufgrund des vordefinierten Gehalts für alle Rollen nicht sehr groß, sagt Mois. Und dass die Personalkosten für die Angestellten permanent steigen? Sei zu stemmen, weil Sipgate vergleichsweise niedrige Fixkosten habe und der Softwareanbieter seine Produkte zu geringen Mehrkosten skalieren kann. Im Moment werde sogar über eine Gewinnbeteiligung für alle nachgedacht.

Ansatz 2: Bosch – Jeder beurteilt jeden

Beim Stuttgarter Elektrokonzern Bosch probieren kleine Teams und ganze Geschäftsbereiche aus, wie es ist, sich als Einheit demokratisch zu organisieren. Beispiel eins: Eine 18-köpfige Gruppe aus dem Personalwesen stieg vor zwei Jahren auf Selbstverwaltung um. Ohne den sonst bei Bosch üblichen offiziellen Teamleiter sollte die Gruppe innovative Vergütungsextras für Mitarbeiter entwickeln – etwa das Leasing von Dienstfahrrädern.

Doch die Selbstverwaltung führte zu Konflikten und Diskussionen, beobachtete Uwe Schirmer, Abteilungsleiter für Personalgrundsatzfragen. Vor allem, als die Gruppe ihre eigenen Gehaltserhöhungen festlegen sollte, hakte es. Schirmer: „Wir gingen davon aus, dass die Teammitglieder untereinander am besten beurteilen können, wie es um die Leistung jedes Einzelnen von ihnen steht, und sich auf eine faire Verteilung einigen können.“

Dem war aber nicht so. Fazit nach zwei Jahren Test: Vergütung ist grundsätzlich eine Frage des wechselseitigen Vertrauens. „Offenbar tun sich Kollegen mit der gegenseitigen Beurteilung in der Gruppe schwer“, so Schirmer. Und zwar unabhängig davon, ob es vormalige Führungskräfte sind, die nun wieder als reguläre Teammitglieder gelten, oder nicht. Vielmehr kamen damit „viele Kollegen nicht gut klar“, so Schirmer.

Nun denkt Bosch darüber nach, wie man es in Zukunft besser hinbekommt: So könnte beispielsweise ein einziges Teammitglied die Leistung aller anderen beurteilen. So macht es schon der Geschäftsbereich Power Tools, Boschs zweites „New Pay“-Beispiel. Einige der rund 20.000 Heimwerkerspezialisten haben ebenfalls vor zwei Jahren beschlossen, neue Elektrowerkzeuge nach der agilen Scrum-Methode zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten.

Und sich ein neues Vergütungsmodell zu geben. Dieses sieht vor, dass der sogenannte Product Owner das Gespräch über die Erhöhung des Grundgehalts übernimmt. Der Product Owner ist ein informeller Anführer, den die Kollegen selbst wählen. Diesen „New Pay“-Ansatz hat Bosch Powertools nicht nur in Deutschland, sondern auch schon in China erprobt.

Konzernpersonalmanager Schirmer könnte sich Ähnliches für seinen Bereich vorstellen, aber: Die Rolle müsste von Jahr zu Jahr wechseln. „Damit jeder mal die Verantwortung spürt.“ Die Idee von einem Fixgehalt für alle sieht Schirmer skeptisch. Zwar könnte das in homogenen Start-ups funktionieren, schätzt der Manager. „Aber ein Großkonzern benötigt eine differenziertere Gehaltsfindung, basierend auf der übertragenen Aufgabe und Leistung.“

Heißt: Für Konzerne wären Einheitsgehälter zu teuer – weil man sich stets an der oberen Gehaltsspanne einer Rolle orientieren und folglich die übrigen Gehälter erhöhen müsste. „Tut man das nicht und orientiert sich am Durchschnitt, müsste man Teammitgliedern Gehälter kürzen“, sagt Schirmer. Arbeitsrechtlich und personalpolitisch ein Problem. Trotzdem ist er überzeugt: „An neuen Vergütungsideen führt kein Weg vorbei.“

Ansatz 3: Borisgloger Consulting – Frag das Team

Als die Managementberatung Borisgloger Consulting wuchs, nervten die jährlichen Mitarbeitergespräche ihren Gründer zunehmend. Auch der Unmut seiner Angestellten, die mit agilem Projektmanagement-Methoden arbeiten, wurde größer. Denn von der damaligen Leistungsbewertung profitierten oft diejenigen, deren Beitrag sich in Stunden und Euro messen ließ – Berater zum Beispiel. Die Kollegen aus Buchhaltung oder Marketing dagegen, fühlten sich benachteiligt.

Als das Baden-Badener Unternehmen 2018 die 40-Mitarbeiter-Grenze durchstieß, formierte sich eine Gruppe, die einen neuen Vergütungsansatz entwickelte: die Gehaltsgilde. Sie hat zwei Aufgaben. Erstens: den von der Geschäftsführung für Gehaltserhöhungen vorgesehenen Etat fair verteilen. Zweitens: alle zwölf Monate die Leistung jedes Einzelnen beurteilen.

Dazu hat die Gilde zunächst alle Mitarbeiter, je nach beruflicher Erfahrung in ihrem Job, einer von vier Stufen zugeordnet: „Junior“ für Berufseinsteiger, „Management“, „Senior“ und „Exec“ für erfahrene beziehungsweise sehr und extrem erfahrene Fachkräfte.
Außerdem hat die Gildengruppe alle gezahlten Gehälter auf sogenannten „Gehaltsbändern“ verortet. Je nach Höhe seiner Vergütung rangiert ein Kollege an Bandanfang, -mitte oder -ende.

Um alljährlich die erbrachte Einzelleistung zu beurteilen, kommt eine achtköpfige Gruppe aus engen und entfernteren Kollegen zusammen. Die vergibt dann zunächst eine der drei Noten: „verbesserungswürdig“, „o. k.“ oder „überdurchschnittlich“. Dazu werden insgesamt fünf Aspekte beurteilt.

Wie erfolgreich und pünktlich zum Beispiel Aufgaben bewältigt wurden, wie es um die Methodenkompetenz oder die Führungsfähigkeiten bestellt ist, aber auch wie gut die Unternehmenswerte umgesetzt werden. Berücksichtigt wird zudem eine schriftliche Selbsteinschätzung.

Aus der Kombination der drei Leistungsnoten und der persönlichen Position auf dem Gehaltsband ergibt sich eine Matrix mit insgesamt neun Feldern. Jedem Feld hat die Gehaltsgilde einen festen Prozentsatz zugeordnet, um den die Vergütung desjenigen ansteigt, der darauf landet. So kann ein Junior-Berater, der im ersten Berufsjahr Überdurchschnittliches geleistet hat, das höchstmögliche Gehaltsplus von zwölf Prozent erreichen.

Dagegen erhält ein besonders erfahrener Berater der „Exec“-Stufe, der im letzten Jahr nur „verbesserungswürdig“ gearbeitet hat und im Gehaltsband ganz oben steht, keine Gehaltserhöhung. „Das Modell wird als fair, transparent und nachvollziehbar empfunden“, freut sich Managerin Damla Nalbant, eine der Entwicklerinnen des neuen Vergütungssystems.

Die Gilde minimiere Fälle, in denen sich der direkte Vorgesetzte nur an den verlorenen Kundenauftrag erinnere, statt die Gesamtleistung des Kollegen zu sehen. Oder ein Berater mit mäßiger Leistung ein Gehaltsplus einstreicht, weil er sich geschickt präsentiert.