Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 7 Minuten
  • Nikkei 225

    38.471,20
    -761,60 (-1,94%)
     
  • Dow Jones 30

    37.735,11
    -248,13 (-0,65%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.574,48
    -2.915,93 (-4,67%)
     
  • CMC Crypto 200

    885,54
    0,00 (0,00%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.885,02
    -290,08 (-1,79%)
     
  • S&P 500

    5.061,82
    -61,59 (-1,20%)
     

Gefängnisse verschieben Haftantritte und erteilen Besuchsverbot

Die Coronakrise trifft auch die Justizvollzugsanstalten. Viele Häftlinge dürfen keinen Besuch mehr empfangen. Immer mehr Länder setzen Ersatzfreiheitsstrafen aus.

Baden-Württemberg hat alle Besuche in den Haftanstalten vorübergehend untersagt. Foto: dpa
Baden-Württemberg hat alle Besuche in den Haftanstalten vorübergehend untersagt (Bild: dpa)

Marco dos Santos‘ Telefon klingelt derzeit alle paar Minuten. Am anderen Ende der Leitung: Frauen und Männer, die um ihre Sicherheit oder die ihrer Angehörigen fürchten. Manche haben Bilder von Aufständen in italienischen oder brasilianischen Gefängnissen gesehen. Andere wissen schlicht nicht, wie sie sich verhalten sollen. Dos Santos ist ein Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO – und warnt angesichts der Corona-Epidemie vor „einem Pulverfass“ in deutschen Gefängnissen.

Bislang gibt es zwar keine bestätigten Infizierten in den deutschen Justizvollzugsanstalten, sondern lediglich vereinzelte Verdachtsfälle. Doch eine mögliche Krankheitswelle beunruhigt auch die Behörden. Das Justizministerium in Mecklenburg-Vorpommern mahnt zu einem „besonnenen Umgang“ mit der Krise, um Gefangene und Bedienstete nicht zu verunsichern. Ein Sprecher des Ministeriums in Schleswig-Holstein sagt: „Das Coronavirus stellt Herausforderungen in einem bisher nicht gekannten Maße an die Anstalten.“

WERBUNG

Dos Santos kritisiert vor allem die “dürftige Transparenz“ der Behörden. Uneinheitliche Regelungen würden für Verwirrung sorgen. Häftlinge hätten ihm berichtet, dass selbst die Bediensteten in einigen Anstalten ratlos seien.

Corona: Die wichtigsten News im Liveblog

Sorgen bereitet ihm zudem die teilweise „katastrophale medizinische Versorgung“. Dos Santos verweist in diesem Zusammenhang auf eine Kleine Anfrage der Linken in Sachsen aus dem Februar. Die zeigt: In einigen sächsischen Haftanstalten gibt es seit Jahren keine festangestellten Ärzte, die Gesundheitskosten pro Kopf fallen unterdurchschnittlich aus.

Dos Santos sieht darin ein strukturelles Problem, das sich auch auf andere Länder übertragen lässt. Käme es zu einem größeren Ausbruch, meint der Gewerkschafter, könne das Personal in einzelnen Einrichtungen schnell an seine Grenzen stoßen.

Das Handelsblatt wollte von den Justizministerien wissen, wie sich die Haftanstalten auf eine größere Epidemie des Coronavirus vorbereiten. Sachsen, Bayern und Hessen ließen die Anfrage unbeantwortet. Aus anderen Ländern hieß es, dass sie inzwischen Notfallpläne entwickelt und erste Maßnahmen ergriffen hätten.

So verzichten immer mehr Justizministerien auf Ersatzhaftstrafen. Diese werden verhängt, wenn eine Geldbuße nicht bezahlt wird. In Niedersachsen und Baden-Württemberg gilt eine entsprechende Regel zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten, in Berlin sogar für vier Monate. Die Behörden wollen so das Personal entlasten und verhindern, dass neue Häftlinge das Virus in die Haftanstalten tragen.

In Brandenburg, Bremen und Hamburg werden zudem die Insassen, die bereits eine Ersatzhaftstrafe absitzen, aus der JVA entlassen. Das soll Raum schaffen, um mögliche Corona-Verdachtsfälle zu isolieren. Dos Santos begrüßt die Maßnahmen, dem Gewerkschafter gehen sie aber noch nicht weit genug: Er fordert, auch Freigänger vorerst nicht mehr zurück in die Gefängnisse zu schicken und Kurzzeitfreiheitsstrafen auszusetzen.

Sieben Länder untersagen Besuche

Für die Behörden ist die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen ein Balanceakt: Sie müssen das Risiko einer Krankheitswelle reduzieren, ohne die Rechte der Inhaftierten zu sehr einzuschränken. Ein besonders heikles Thema ist dabei das Besuchsrecht der Inhaftierten.

Trotzdem haben Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Schleswig-Holstein alle Gefangenenbesuche verboten. „Wir wissen, dass dies eine einschneidende Maßnahme ist, wir kommen aber in der jetzigen Situation nicht umhin, sie vorerst vollständig auszusetzen“, sagte der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU). Ausnahmen sind in den betroffenen Ländern nur noch in besonderen Fällen möglich, etwa bei Verteidigerbesuchen.

Gewerkschafter dos Santos warnt davor, Gefangene wochenlang von der Außenwelt abzuschotten. Er fordert die Behörden auf, wenn nötig auch „unkonventionelle Maßnahmen“ zu ergreifen, um Häftlingen Kontakte zu ihren Nahestehenden zu ermöglichen: „Im Ernstfall könnte man etwa Handys zur Verfügung stellen.“ Schließlich hätten auch Inhaftierte Rechte, sagt dos Santos, und warnt: „Für die werden sie notfalls eintreten.“

Corona: Wie lange könnte der Ausnahmezustand andauern?

Zuletzt war es in mehreren Ländern wegen der Coronakrise zu Aufständen in Gefängnissen gekommen. Im brasilianischen Bundesstaat São Paulo waren am Montagabend mehr als 1.300 Gefangene aus vier Gefängnissen geflohen. Sie reagierten darauf, dass ihr Freigang auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden sollte. Zuvor war es auch in italienischen Gefängnissen zu heftigen Protesten mit mehreren Toten gekommen. Dort waren Gefangenenbesuche sowie sportliche und kulturelle Aktivitäten ausgesetzt worden.

Den Behörden scheint diese Gefahr bewusst zu sein. Einige Länder wollen das Besuchsrecht noch nicht einschränken und schaffen stattdessen Trennwände aus Glas an, die Gefangene und Besucher schützen sollen. Dort, wo Besuche nicht mehr erlaubt sind, sollen zumindest die Telefonzeiten ausgeweitet werden. Noch will zwar niemand Handys an die Gefangenen ausgeben. Doch zumindest Videoanrufe über Skype seien eine Option, heißt es beispielsweise in NRW und Rheinland-Pfalz.