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Frankreichs Rechtspopulisten vergeht das Lachen

Frankreichs Rechtspopulisten vergeht das Lachen

Nach dem britischen Referendum konnte die rechtsextreme Front National ihren Triumph nicht laut genug herausschreien. „Nach dem Brexit ist der Frühling der Völker nicht mehr aufzuhalten“, sagte Front-National-Chefin . Das Volk habe „die Verbindungen zur EU gekappt“ und verstanden, was die FN seit Jahren wiederhole: „Die EU ist ein Gefängnis“. Bald werde dem britischen Vorbild folgen.

Die Partei hat ein wenig Auftrieb bitter nötig: Seit der Regionalwahl vor einem halben Jahr, bei der sie keine einzige Region erobern konnte, ist die Stimmung schicksalsergeben bis depressiv. Auch wenn Le Pen hoffen darf, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 in den zweiten Wahlgang zu kommen: Die Erwartung, die Franzosen könnten ihr die Macht anvertrauen und damit tatsächlich den Weg zum Austritt aus der Euro-Zone und der EU beschreiten, kann sie nicht haben. Denn selbst die für sie günstigsten Umfragen sehen sie als Verliererin im zweiten Wahlgang.

Die jüngsten Proteste gegen die Arbeitsreform der Sozialisten haben daran nichts geändert. Im Gegenteil: Wie immer, wenn es konkret wird, eiert die Front National herum. Sie sei gegen die Reform, sagte Marines Nichte Marion Maréchal-Le Pen, die bei den harten Rechtsextremen besonders beliebt ist. Aber bei den Protesten mache die Front nicht mit. Ob sie denn wenigstens Änderungsanträge eingebracht habe, wollte ein Radiokommentator von ihr wissen. „Oh ja, viele!“ sagte Marion Maréchal-Le Pen. Was denn deren Inhalt sei, hakte der Interviewer nach: Sendepause bei der sonst so wortgewaltigen Abgeordneten.

Die Front National weiß nicht, was sie will – oder vielmehr: Was zu wollen sie sich traut. Denn einerseits will sie auf der Protestwelle mitschwimmen, andererseits gehen ihre eigenen Vorstellungen, zumindest die des Marion-Flügels, eher über das Gesetz hinaus, wollen noch mehr Spielräume für die Unternehmen. Das ist nicht eben populär. Da hält man eben lieber den Mund, wenn man gefragt wird.

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Brandgefährliche Entwicklung für Marine Le Pen

Sogar der propagandistische Auftrieb nach dem Brexit-Votum könnte nun schnell verebben. Denn was die Briten derzeit erleben, schreit nicht unbedingt nach Nachahmung. Absturz der Börsen, drohende Rezession, massive Abwertung des Pfundes und damit schwindende Kaufkraft der Bürger: All das bestätigt Kritiker des Front-National-Programms und ihre Analysen. Seit längerem sagen Ökonomen, dass die Absicht s, aus dem Euro zu führen, zu einer massiven Abwertung der neuen Währung führen werde, die das Land nicht wettbewerbsfähiger mache, sondern verarmen lasse und die Verschuldung hochtreibe. Exakt das erleben nun die Briten.

Für Marine Le Pen ist das brandgefährlich. Man muss nicht Volkswirtschaft studiert haben, um das Programm der FN als ökonomische Selbstverstümmelung zu begreifen. Jeder Franzose muss in diesen Tagen nur über den Kanal schauen, um zu wissen, welches Schicksal seinem eigenen Land droht, sollte die Front National einmal dessen Führung übernehmen können.

Kein Wunder, dass es die Franzosen nicht zum „Frexit“ zieht. In allen jüngsten Umfragen spricht sich die eindeutige Mehrheit für den Verbleib in EU und Euro-Zone aus. Je lauter das Gejammer der Brexit-Stars wie Boris Johnson – man wolle doch gar nicht raus aus Europa – wird, desto mehr vergeht den Franzosen die Lust, sich selber mit Marine Le Pen in ein ähnliches Abenteuer zu stürzen. Warum erst verarmen, wenn man sich dann doch wieder an die EU heranrobbt?

Halbwegs hilfreich für die Front National ist derzeit eigentlich nur die Kakophonie auf Seiten der Pro-Europäer. Weder die Konservativen noch die Sozialisten finden zu einer gemeinsamen Linie. Es gibt starke Sprüche und schwache Vorschläge. Man krittelt an der EU herum, lässt kaum ein gutes Haar an ihr, und hat doch nicht den Hauch einer Idee, wie es denn besser laufen solle. Man fühlt sich an die Bibel erinnert: Ein Geist ist in sie gefahren und lässt sie in Zungen reden. Allerdings ist es nicht der heilige Geist, sondern die eigene Verwirrung.


Starke Sprüche und schwache Vorschläge in Paris

Premier Manuel Valls verlangt einen „Elektroschock“ für die EU, man müsse nun „das Geschwür zum Platzen bringen“ – wo das sitzt, erläutert er nicht – und nicht nur die EU-Außengrenzen, sondern auch „die Milch-Wertschöpfungskette besser schützen“. Das macht schon etwas ratlos. Für den sozialistischen Ex-Außenminister Hubert Védrine sind die Pro-Europäer die eigentlichen Anti-Europäer, weil ihr „Europäismus“ die Bürger verschrecke. Stattdessen müsse man „die europäische Idee“ wiederbeleben. Ob dazu auch „die Milch-Wertschöpfungskette“ zählt, erfahren wir nicht. Es gebe ein „völlig anderes Europa“ neben dem integrierten Europa, das seit 60 Jahren besteht. Wie das aussehen soll, behält Védrine vorerst noch für sich. Noch mehr Ratlosigkeit.

Bei den Konservativen sieht es nicht besser aus. Ex-Europaminister Bruno Le Maire fordert ein Referendum, aber nicht über den Frexit, sondern „über ein neues europäisches Projekt“, das in den kommenden Monaten diskutiert werden soll. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy verlangt dagegen einen völlig neuen Gründungsvertrag für Europa. Der soll rein zwischenstaatlich sein. Ein Referendum will er aber nicht. Alain Juppé wiederum, aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat der Konservativen, will mit der bestehenden EU weitermachen, aber sie soll sich reformieren.

Fast schon peinlich ist, dass Ex-Staatspräsident Valérie Giscard d’Estaing derzeit als einer der wenigen auf bombastische Worte verzichtet und ins Auge fasst, was erreicht worden ist. „Das Schlüsselwort ist Optimismus“, sagte er am Dienstag bei einer Debatte in der Nationalversammlung. „Unsere Zivilisation ist großartig, aus einem zerrissenen Europa haben wir ein Beispiel für den Rest der Welt geschaffen.“ Manchmal klingen Selbstverständlichkeiten fast wie tiefere Einsichten.

Um eine kühle Analyse bemüht sich auch Wirtschaftsminister Emmanuel Macron: „Die Engländer haben gegen ein ultraliberales Europa gestimmt, das sie selber vorangetrieben haben und das wir vielleicht nicht genug bekämpft haben,“ sagte er am Samstag während einer Debatte mit Dany Cohn-Bendit und der Europaabgeordneten Sylvie Goulard. Man müsse wieder anfangen, „über die europäische Souveränität nachzudenken“, fügt Macron hinzu.

Er meint damit die Frage, wie Europa tatsächlich in der Welt wirksam und mächtig sein kann. Und ist sich darin mit Cohn-Bendit einig: „Es stimmt nicht, dass wir für mehr Europa und die anderen für mehr Souveränität sind, wir sind europäische Souveränisten!“ sagt der frühere grüne Europaabgeordnete. Cohn-Bendit nervt die kleinkarierte Reaktion auf den Brexit so sehr, dass er sogar in die aktive Politik zurückkehren will: „Wenn es bei der nächsten Europawahl neben den nationalen echte europäische Listen gibt, bewerbe ich mich um die Spitzenkandidatur!“ versprach er am Montag bei einem Treffen in Paris.

KONTEXT

Erst Brexit, dann doch nicht - Wie könnte das gehen?

Parlamentsentscheid

Wäre rechtlich möglich. Das Ergebnis des Referendums ist kein Gesetz, mehr eine "Empfehlung". Das britische Unterhaus könnte abstimmen und beschließen, den berüchtigten Austritts-Artikel 50 nicht zu aktivieren. Es ist aber kaum auszudenken, welchen Aufschrei das im Land geben würde. Nicht vergessen: Insgesamt 17 410 742 Briten haben für den Brexit gestimmt.

Neuwahlen

Premierminister David Cameron dankt ab, die Suche nach einem Nachfolger läuft gerade an. Der könnte Neuwahlen ausrufen, schließlich hat vergangenes Jahr das Volk Cameron, nicht ihn - oder sie - ins Amt gewählt. Wenn dann zum Beispiel die Labour-Partei im Programm hätte, dass sie den Exit vom Brexit will, und gewinnen würde, dann könnte man das als demokratisch legitimiert betrachten.

Nochmal abstimmen I

Die Petition für ein zweites Referendum hat inzwischen mehr als vier Millionen Unterschriften gesammelt. Das Argument: Das Ergebnis ist zu knapp, die Wahlbeteiligung zu niedrig. Da aber im Vorhinein keine Regeln für so einen Fall festgelegt wurden, dürfte diese Forderung nichts bringen. Im Gespräch war auch mal, nach einem "No" mit der aufgeschreckten EU einen neuen Vertrag mit aus britischer Sicht besseren Bedingungen auszuhandeln, und das Referendum dann zu wiederholen. Da hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aber schon gleich den Daumen gesenkt.

Nochmal abstimmen II

Nicht einfach das Referendum wiederholen, sondern so tun, als gehe man, einen Ausstiegs-Deal mit der EU aushandeln und den dann dem Volk zur Abstimmung stellen, das ist die Idee von Jeremy Hunt, dem britischen Gesundheitsminister, der gegen den Brexit war. In seinen Augen hat das Land gegen die Freizügigkeit von EU-Bürgern in ihrer jetzigen Form gestimmt, nicht so sehr gegen die EU insgesamt. Das Echo war verhalten - und es ist kaum denkbar, dass Brüssel und die anderen 27 Staaten das mitmachen würden.

Wieder eintreten

Das ginge schon. Aber allein der Austritt dauert schon mindestens zwei Jahre. Dann kämen neue Verhandlungen, alle anderen Mitgliedstaaten müssten einverstanden sein. Bisher haben die Briten einen Sonderdeal. Dass der wieder auf dem Tisch läge, scheint gerade undenkbar. Für die nächsten paar Jahre hilft diese Perspektive also nicht.

Schotten-Veto

Nicola Sturgeon, Chefin der schottischen Regionalregierung, will den Brexit notfalls mit einem Veto des schottischen Parlaments verhindern - wenn möglich, sagte sie. Da sind sich Experten nicht einig. Grundlage wäre der Scotland Act von 1998, der Kompetenzen des schottischen Regionalparlaments bestimmt. Dort steht zwar, dass auswärtige Angelegenheiten von London geregelt werden, aber auch, dass es Sache Edinburghs sei, EU-Gesetze zu implementieren.

KONTEXT

Frankreich und Deutschland: Enge Partner in unterschiedlicher Lage

Wirtschaft

Bei der Wirtschaftslage liegen zwischen den beiden Seiten des Rheins Welten. In Frankreich ist der Konjunkturmotor nach der Finanzkrise nicht wieder so recht in Fahrt gekommen, in den vergangenen beiden Jahren lag das Wachstum mit 0,2 und 1,2 Prozent spürbar niedriger als in Deutschland (1,6 und 1,7 Prozent). Richtig dramatisch tief ist der Graben am Arbeitsmarkt: In Frankreich sind 10,2 Prozent der Erwerbsfähigen ohne Job; die Quote ist nach Eurostat-Zahlen mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (4,3 Prozent).

Flüchtlinge

Während Deutschland zum Zielland für Hunderttausende geworden ist, spürt Frankreich die Flüchtlingskrise deutlich weniger. Die Flüchtlingsbehörde registrierte 2015 knapp 73.500 Asyl-Erstanträge, 23,9 Prozent mehr als im Vorjahr. In Deutschland waren es fast 442.000, gut 150 Prozent mehr als 2014 - und viele Anträge waren da wegen des Andrangs noch gar nicht aufgenommen worden.

Demografie

In Deutschland bringt jede Frau im Schnitt 1,47 Kinder zur Welt. In Frankreich liegt die Geburtenquote dagegen bei zwei Kindern pro Frau, der höchste Wert in der EU. Das hat langfristig Auswirkungen beispielsweise auf Arbeitsmarkt und Rentensysteme, Wohnungsbedarf und Bevölkerungsentwicklung.

Staatshaushalt

Frankreich reißt seit Jahren die Brüsseler Drei-Prozent-Grenze für das Haushaltsdefizit - auch wenn das Minus dank der Niedrigzinsen zuletzt mit 3,5 Prozent etwas kleiner ausfiel als erwartet. Die Frist für das Erreichen der Zielmarke wurde mehrfach verschoben. Der deutsche Staat dagegen nimmt derzeit mehr Geld ein, als er ausgibt.

Terror

Frankreich steht unter dem Eindruck einer blutigen Terrorserie, die mit den Pariser Anschlägen vom November einen Höhepunkt fand. Die Debatte um Sicherheit ist deshalb zentral, das Land verunsichert. Auch in Deutschland ist Terrorismus nach den Anschlägen von Paris und Brüssel Thema; das Land blieb aber bislang von Anschlägen verschont.