Im Jahr 1999 eroberte eine junge Amerikanerin die Welt im Sturm. Mit „ …Baby One More Time“ sang sich die 17-jährige Britney Spears an die Spitzen der internationalen Charts, ihr Auftritt im dazugehörigen Video – blonde Zöpfe, rote Lippen, weit aufgeknöpftes Hemd, kurzer Rock – schuf eine Armada verliebter Jungs und Mädchen. Die damalige Generation Y hatte ihre Popgöttin gefunden. Und Britney Spears lieferte. „Oops! … I Did It Again“ und „Toxic“ entwickelten sich in den darauffolgenden Jahren zu ähnlichen Megahits.
Doch ab dem Jahr 2004 begann die Sängerin weniger mit ihrer Musik auf sich aufmerksam zu machen, sondern mehr mit ihrem Privatleben: Es folgten zwei unglückliche Ehen, ein öffentlicher Zusammenbruch mit einer selbst rasierten Glatze, Klinikaufenthalte und schließlich der Entzug des Sorgerechts für ihre beiden Kinder. Im Januar 2008 dann traf ein Gericht in Los Angeles eine Entscheidung, die bis heute gravierende Folgen für die Sängerin hat. Damals übertrugen die Richter in einem Eilantrag Vater Jamie Spears die Vormundschaft. Begründung: Britney Spears sei psychisch krank und gefährde sich sowie andere. Auch die Verwaltung ihres rund 60 Millionen Dollar schweren Vermögens wurde dem Vater zugesprochen.
Der Superstar verwandelte sich vor den Augen der staunenden Öffentlichkeit in eine offenbar nicht mehr zurechnungsfähige Person, die fortan von einem Elternteil kontrolliert wurde. Mehr noch: Da Jamie Spears auch Verträge mitbestimmte, kassierte er an den Geschäften seiner Tochter kräftig mit. Erstaunlich daran ist, dass die 2008 getroffene Entscheidung noch immer gültig ist. Sehr zum Ärger der heute 39-Jährigen und ihrer Fans, die im Internet mit dem Hashtag #FreeBritney darauf aufmerksam machen.
Produktion der „New York Times“
Man muss sich all das, den spektakulären Aufstieg und den nicht minder spektakulären Absturz, noch einmal in Erinnerung rufen, um zu verstehen, warum die von der „New York Times“ produzierte Dokumentation „Framing Britney Spears“ aktuell in aller Munde ist. Der rund 70 Minuten lange Film feierte im Februar in den USA Premiere und ist nun auch hierzulande bei Amazon Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=n1wRN5muenY
Regisseurin Samantha Stark zeigt dabei, wie sensationslüstern, grenzüberschreitend und respektlos die US-Medien mit der damals um ihr Privat- und Berufsleben kämpfenden Spears umgehen. Journalisten verfolgen die Musikerin auf Schritt und Tritt, TV-Sender berichten über jeden Fehltritt, in Interviews muss sich die Musikerin quälende Fragen stellen lassen. Ein Gespräch aus dem Jahr 2003 bleibt dabei besonders in Erinnerung.
Damals befragte ABC-Moderatorin Diane Sawyer Spears über ihre Trennung von Sänger Justin Timberlake. Ein Jahr nach dem Ende des Musik-Traumpaars hatte sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigt, dass Spears die Beziehung habe platzen lassen, nicht Timberlake. Dieser befeuerte die Interpretation, als er im Video zu seiner Single „Cry Me a River“ eine blonde Frau auftreten ließ, die seiner prominenten Ex-Freundin verblüffend ähnlich sah. Die Dokumentation zeigt einen Ausschnitt aus dem Interview, in dem Sawyer sagt: „Du hast bei ihm so viel Schmerz, so viel Leid ausgelöst.“ Unmissverständlich fragt sie: „Was hast Du getan?“ Schuldfrage geklärt, TV-Publikum zufrieden.
Fünf Jahre später: anderer Sender, selbe Sensationsgier. Bei der Ankündigung seiner Sendung 360° kündigt CNN-Moderator Anderson Cooper an, über die Entlassung Spears aus einer Psychiatrie in Los Angeles berichten zu wollen. „Eine schockierende Entwicklung“, sagt der Journalist, während Hubschrauberbilder die damals 26-Jährige in einem Pulk von Paparazzi zeigen. Der zugeschaltete Filmemacher Michael Moore fragt Cooper angewidert: „Warum können wir sie nicht einfach in Ruhe lassen?“
Vor dem Social-Media-Hype
Ein frommer Wunsch, der in der damaligen Zeit einfach verhallte. Nie war die Macht der Klatschblätter und Boulevard-Journalisten größer, nie konnte die Beteiligten mehr Geld verdienen. Mitte der 2000er-Jahre konnten Fotografen für neue Fotos von Britney Spears bis zu eine Million Dollar fordern. Soziale Netzwerke wie Instagram, Facebook und Twitter waren noch nicht so verbreitet, die Stars mussten die Hetzjagd widerwillig mitmachen, um im Gespräch zu bleiben.
Und so taucht Regisseurin Samantha Stark in ihrer Dokumentation immer tiefer in das Leben ihrer Protagonistin ein. Zahlreiche Freunde, Bekannte, Journalisten und an der juristischen Auseinandersetzung beteiligte Personen kommen dabei zu Wort, Britney Spears selbst übrigens nicht. Im Abspann ist zu lesen: „Ob eine Anfrage sie jemals erreicht hat, ist unklar.“ Die Musikerin befindet sich seit dem Jahr 2019 in einer „unbefristeten Arbeitspause“, mit der sie erst dann aufhören will, wenn ihr Vater die Vormundschaft abgibt und die von einem Anwalt als „hybrides Geschäftsmodell“ bezeichnete Beziehung endet. Im März dieses Jahres beantragte die Sängerin das erneut vor Gericht.
Wie sich die Zeiten geändert haben, wo mittlerweile die Kommunikation von Stars mit der Öffentlichkeit stattfindet, zeigen zwei Reaktionen auf „Framing Britney Spears“. Mitte Januar entschuldigte sich Justin Timberlake auf seinem Instagram-Kanal. Er habe die zahlreichen Kommentare gelesen und wisse, dass er versagt habe. Die Musikindustrie sei fehlerhaft und auf den Erfolg für Männer ausgerichtet. „Wegen meiner Ignoranz habe ich das nicht erkannt, während es in meinem eigenen Leben passiert ist, aber ich möchte nicht mehr davon profitieren, dass andere heruntergemacht werden.“
Ende März dann äußerte sich Britney Spears auf ihrem Instagram-Kanal zum Wirbel um die Dokumentation. Sie schrieb, dass sie beschämt sei und zwei Wochen lang geweint habe. Aber: „Ich bin nicht hier, um perfekt zu sein .... perfekt ist langweilig. Ich bin hier, um Freundlichkeit weiterzugeben.“ Den Text kombinierte sie mit einem Video, das sie freudestrahlend beim Tanzen zeigt. Das Lied, das dabei zu hören ist, kommt von Aerosmith und trägt den Titel „Crazy“.
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