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Wie die Fleischwirtschaft zum neuen Corona-Hotspot werden konnte

Viele Beschäftigte der Branche leben in Sammelunterkünften, wo das Virus leichtes Spiel hat. Hygienestandards sind noch schwieriger durchzusetzen als etwa bei Erntehelfern.

Die Fleischwirtschaft stand schon oft am Pranger. Die Arbeit ist hart, die Bezahlung schlecht, häufig sind es Beschäftigte aus Rumänien und Bulgarien, die in den Schlachthöfen arbeiten. Nun rückt die Coronakrise die Branche erneut in ein schlechtes Licht. Hunderte Mitarbeiter von Fleischbetrieben in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein haben sich mit dem Coronavirus infiziert.

Die Sozialdemokraten wundert das nicht: „Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in der Fleischwirtschaft neue Corona-Hotspots entstehen“, teilten die stellvertretenden Fraktionschefs Katja Mast und Matthias Miersch mit. Tausende Werk- und Saisonarbeiter schufteten unter zweifelhaften Bedingungen und würden in engen Sammelunterkünften von Subunternehmen untergebracht. „Für die Ausbreitung des Coronavirus sind das ideale Bedingungen.“

Nach Schätzung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind in der Fleischwirtschaft rund 30.000 Menschen über Werkverträge beschäftigt, darunter 5.000 aus anderen EU-Ländern entsandte Arbeitnehmer mit ausländischem Arbeitsvertrag. Die Werkvertragsbeschäftigten sind also nicht beim Fleischerzeuger selbst angestellt, sondern bei einem Subunternehmer, der oft auch für die Unterbringung sorgt.

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Zwar gilt seit Oktober 2015 eine freiwillige Selbstverpflichtung der Branche. Sie sieht unter anderem vor, dass die Fleischbetriebe den Anteil der Stammbelegschaften erhöhen und seltener auf Werkverträge zurückgreifen und die Schlachter und Zerleger häufiger nach deutschem Sozialversicherungsrecht beschäftigten sollen. 21 Unternehmen mit rund 60 Betriebsstätten haben sich bislang der Selbstverpflichtung unterworfen.

Gebracht habe sie aber nicht viel, kritisiert Thomas Bernhard, Referatsleiter für die Fleischwirtschaft bei der NGG: „Die freiwillige Selbstverpflichtung führt vor allem dazu, dass Schlachtbetriebe die Verantwortung auf die Subunternehmer abwälzen können.“

Infektionsrisiko in den Sammelunterkünften

Mit den Subunternehmen seien vertragliche Mindeststandards vereinbart worden, die sich an einschlägigen Arbeitsschutznormen für Unterkünfte orientierten und bei der Unterbringung von Mitarbeitern einzuhalten seien, argumentiert etwa die Müller-Gruppe aus Birkenfeld bei Pforzheim. Das Unternehmen, das Fleischbetriebe in Baden-Württemberg und Bayern betreibt, hatte mit Coronafällen Schlagzeilen gemacht.

In einem Schlachthof in Birkenfeld bei Pforzheim sind insgesamt rund 400 Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes im baden-württembergischen Enzkreis am Dienstag. Das ist knapp ein Viertel der Belegschaft von etwa 1.100 Mitarbeitern.

Die Einhaltung der Quarantänerichtlinien bei der Unterbringung der Beschäftigten obliege nicht Müller-Fleisch, argumentierte die Firma. „Der Gesetzgeber untersagt dem Unternehmen, Einblick in die Privaträume seiner Mitarbeiter zu halten.“

Das gelte unabhängig davon, ob es sich um eigene Mitarbeiter handele oder die einer Fremdfirma. Die infizierten Mitarbeiter, die in beengten Wohnverhältnissen lebten, sind vom Landratsamt seit einiger Zeit aber in Ausweichunterkünften untergebracht.

Nach Einschätzung der NGG besteht das Infektionsrisiko nicht so sehr bei der Arbeit im Betrieb, sondern auf dem Transport dahin und vor allem in den Sammelunterkünften, wo Arbeiter oft auf engstem Raum leben. Die Arbeitsstättenverordnung mit ihren Vorgaben zu Mindestgrößen oder -ausstattung gilt hier nicht.

Zwar kann das Gesundheitsamt bei begründetem Verdacht nach dem Infektionsschutzgesetz auch die Wohnung überprüfen. „Das geht aber in der Regel nur, wenn sich jemand beschwert oder einen Tipp gibt“, sagt NGG-Experte Bernhard.

Und dass ein Rumäne oder Bulgare, der hier oft den dreifachen Verdienst wie in seiner Heimat habe, sich über räumliche Enge und unhygienische Bedingungen beschwere, sei eher unwahrscheinlich. „Alle Corona-Hotspots in der Fleischwirtschaft stehen unserer Kenntnis nach im Zusammenhang mit Werkverträgen und ausländischen Beschäftigten“, so Bernhard.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) empfiehlt in seinen Mitte April vorgelegten Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandards, für die Unterbringung in Sammelunterkünften möglichst kleine, feste Teams festzulegen, die auch zusammenarbeiten. Für Schlafräume sei grundsätzlich Einzelbelegung vorzusehen.

Die NGG fordert, diese Standards jetzt auch wirksam durchzusetzen. „Eine Kontrolle der Umsetzung dieser Verordnung findet nach unserer Kenntnis nur bedingt statt“, heißt es in einem Brief der Gewerkschaftsspitze an Heil, Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) und die Bundestagsfraktionen. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt vor.

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) fordert von den Fleischbetrieben ein schlüssiges Hygienekonzept. Es gehe dabei nicht nur um den Betrieb, sondern auch um die Wohnsituation der Arbeiter und um den Transport von der Wohnung zum Schlachthof. Doch Kontrollen sind schwierig, weil Artikel 13 des Grundgesetzes die Unverletzlichkeit der Wohnung schützt.

In Nordrhein-Westfalen werden nach dem Corona-Ausbruch in einem Betrieb in Coesfeld nun alle Beschäftigten in den Schlachthöfen getestet, bis zu 20.000 Mitarbeiter. Nach Angaben von Laumann handelt es sich um die größte Reihenuntersuchung in der Corona-Krise in Deutschland.

Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), deren Vorsitzender Laumann ist, will das Problem aber auch bei der Wurzel packen. „Die Praxis der Werkvertragsarbeit ist ein System der Ausbeutung, das gegen die Menschenwürde verstößt“, kritisiert der stellvertretende CDA-Bundesvorsitzende Christian Bäumler.

Das seit Mitte 2017 geltende „Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft“, das vor allem auf die Einhaltung der Mindestlohnvorschriften zielt, müsse verschärft werden. Arbeit in Schlachthöfen dürfe nur noch im Rahmen einer Festanstellung mit dem Betreiber des Schlachthofs möglich sein, fordert Bäumler.

Die SPD hat er dabei auf seiner Seite: „Das Geschäftsmodell, bei dem sich Unternehmen mittels Subunternehmen aus der Affäre ziehen und Mitarbeiter unter fragwürdigen Bedingungen zusammenpferchen, gehört abgeschafft“, fordern die stellvertretenden Fraktionschefs Mast und Miersch. Sie erwarteten, dass die zuständige Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) „das System mit uns grundlegend verändert“.

Auch die Gewerkschaft NGG fordert in ihrem Brief an die Ministerien und Fraktionen unter anderem das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der unternehmerischen Tätigkeit, klare und bestenfalls bundeseinheitliche Regelungen für die Unterkünfte und Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Die deutlich erhöhten Corona-Fallzahlen in den Schlachtbetrieben seien tragisch und erforderten ein sofortiges Handeln, um die weitere Ausbreitung unter den Beschäftigten und in den Regionen
einzudämmen, heißt es in dem Schreiben weiter. „Es ist davon auszugehen, dass wir es hier nicht mit einzelnen Vorkommnissen zu tun haben, da die Arbeits- und Lebensbedingungen in der gesamten
Fleischwirtschaft vergleichbar sind.“ Die NGG fordert, dass nun „unverzüglich und ausnahmslos alle Beschäftigten der Schlacht- und Zerlegeindustrie auf Corona-Infektion getestet werden“.

Klöckner appelliert an Bundesländer

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat eine Aktuelle Stunde zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie beantragt. Sie treibt aber noch eine andere Sorge um: „Auch in der Landwirtschaft können sich einzelne Betriebe zu Zentren der Pandemie entwickeln“, warnt der Sprecher für Agrarpolitik, Friedrich Ostendorff.

Das betreffe insbesondere die großen Betriebe im Bereich Sonderkulturen, also etwa im Spargelanbau: „Dort arbeiten die Arbeitnehmer oft dicht an dicht nebeneinander, die Unterbringung erfolgt in Sammelunterkünften bei schlechten hygienischen Bedingungen“, sagte Ostendorff dem Handelsblatt.

Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf kleinbäuerlichen Betrieben seien hier im Vorteil: „Da die Höfe weniger Arbeitskräfte auf jedem einzelnen Betrieb beschäftigen, sind Massenunterkünfte nicht notwendig.“

Um Hotspots wie in fleischverarbeitenden Betrieben in der Landwirtschaft zu verhindern, appellierte Agrarministerin Klöckner bereits mehrfach an die Bundesländer, die Auflagen zur Einreise ausländischer Saisonarbeitskräfte einzuhalten.

Die Kontrolle des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie der Unterbringungs- und Hygienesituation liegt bei den Ländern. „Besonders im Sinne der vielen landwirtschaftlichen Betriebe, die sich an die Vorschriften halten, müssen sie dieser Verantwortung nachkommen“, sagte Klöckner zuletzt am Freitag nach einem Treffen mit den Agrarministern der Länder. Die Alternative wäre, dass die gefundene Lösung in ihrer derzeitigen Form nicht fortbestehen könne.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium und das Innenministerium hatten Anfang April unter Beteiligung des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie des Arbeitsministeriums Bedingungen formuliert, unter denen dringend benötigte Saisonarbeiter zur Erntehilfe per Flugzeug nach Deutschland einreisen können.

Die Landwirte sollen die Arbeitskräfte in Gruppen einteilen, die nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch zusammen untergebracht werden, um mögliche Infektionsketten schnell unterbrechen zu können.

Sie sind zudem verpflichtet, ausreichend räumlich getrennte Unterbringungsmöglichkeiten für Verdachts- und Krankheitsfälle bereitzustellen. Bei begründetem Verdacht auf Infizierung eines Arbeitnehmers mit dem Coronavirus ist dieser umgehend zu isolieren und ein Arzt zu kontaktieren, der den Virustest vornehmen kann.

Zusätzlich sollte das gesamte Team isoliert und ebenfalls auf das Virus getestet werden, um etwaige Infektionsketten zu unterbrechen. Dasselbe gilt im Falle einer Erkrankung. Verpflichtend ist auch die Meldung an das zuständige Gesundheitsamt.

Mit den Schlachtbetrieben sei die Situation aber nicht vergleichbar, hieß es beim Bauernverband auf Nachfrage. Bei den Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft liege die Zahl der Arbeitskräfte pro Betrieb deutlich niedriger. Zudem finde die Unterbringung nicht extern, sondern auf dem Hof selbst statt.

Nach einigen Verstößen gegen die Hygiene- und Abstandsregeln auf einigen Betrieben sah sich Bauernpräsident Joachim Rukwied indes dazu gezwungen, die Landwirte zu ermahnen, die Vorgaben beim Einsatz von Erntehelfern strikt einzuhalten.

Ein Ausfall dringender Pflanz- und Erntearbeiten habe dank des Konzeptpapiers der Bundesregierung vom 2. April vermieden werden können, stellt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Bauernverbandes, fest. Die Zahl der Saisonarbeitskräfte sei aber derzeit geringer als in den Vorjahren.

„Die Ursachen sind vielfältig: Offenbar zögern viele ausländische Erntehelfer, während der Pandemiesituation ihre Heimatorte zu verlassen. Auch hat die Schließung der Gastronomie offenbar zu einer geringeren Nachfrage nach Spargel geführt.“

Die Obst- und Gemüsebetriebe müssten die Hygiene- und Abstandsvorgaben strikt umsetzen, forderte auch Krüsken noch einmal. „Kontrollen werden durch die Gesundheitsbehörden in den Kommunen durchgeführt.“

Der nächste Schritt auf dem Weg zu einer Normalisierung könne die Freigabe des Landwegs für Erntehelfer sein, so Krüsken. „Die Vorkehrungen zum Infektionsschutz in den Betrieben müssen aber weitergehen.“

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