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Warum Fleisch- und Wursthersteller um ihre Kunden kämpfen müssen

Die Mehrheit der Deutschen isst zwar täglich Fleischprodukte. Doch ihre Erwartungen haben sich stark verändert. Neue Leitfigur ist der Flexitarier. Die Hersteller müssen reagieren, denn der Trend läuft gegen sie.

Das Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold hat für den westfälischen Wursthersteller The Family Butchers (TFB) den Wurst – und Fleischmarkt analysiert. Heraus kam die nach eigenen Angaben umfangreichste Untersuchung des Wurstmarkts in Deutschland. TFB ist mit rund 750 Millionen Euro Deutschlands zweitgrößter Wursthersteller hinter der Tönnies-Tochter Zur Mühlen-Gruppe. Entstanden ist TFB aus der Fusion der beiden Familienunternehmen Reinert und Kemper Ende vergangenen Jahres.

Der Studie zufolge gehören für 80 Prozent der Befragten Wurst und Schinken nach wie vor zum täglichen Genuss dazu. Allerdings zeige die Studie auch, dass die Branche Gefahr laufe den Anschluss an die Verbrauchererwartungen zu verlieren, kommentiert TFB-Geschäftsführer Hans-Ewald Reinert. Denn das Verhältnis zu den Produkten hat deutlich gelitten. Zu viele schlechte Nachrichten aus Tierhaltung und Fleischproduktion fordern ihren Tribut. Die Folge: Etwa 55 Prozent der Bundesbürger bezeichnen sich mittlerweile als Flexitarier. Sie wollen also ihren Konsum an Fleisch und Wurst bewusst reduzieren. „Es wird Zeit, dass wir unsere Produktentwicklung und die Produktionsbedingungen auf die Bedarfe der Verbrauchertypen umstellen,“ sagt Reinert.

Von Luxus bis billig

Mit einer Online-Befragung von mehr als 1200 Verbrauchern und rund 120 tiefenpsychologischen Gesprächen entwickelten die Rheingold-Experten folgende Käufer-Typologien:

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  • Unschulds-Lämmer (18 Prozent): Sie mögen Wurst gern, haben aber oft ethische Bedenken. Dass Tiere dafür sterben, macht ihnen zu schaffen. Sie wollen künftig weniger Wurst und Fleisch essen, dafür aber nachhaltige Produkte. Und zwischendurch darf es auch mal was Vegetarisches oder Veganes sein.

  • Wurst-Romantiker (18 Prozent): Wurst schmeckt und macht glücklich, der Rest ist egal. Mit der Herstellung möchte er sich nicht näher befassen.

  • Wurst- Rudel (11 Prozent): Hier sind stets Gäste im Haus, denen man gern eine breite Auswahl an Wurst und Schinken bietet. Im Kühlschrank muss immer gute Wurstauswahl sein. Es müssen keine Spezialitäten sein, aber Abwechslung.

  • Wurst-Gourmets (17 Prozent): Für sie sind Qualität und Herkunft entscheidend, sie kaufen gern im Fleischereifachgeschäft, maßvoll und ausgesucht. Wurst ist für sie ein kleiner Luxus.

  • Sportliche Jung-Vögel (10 Prozent): Sie achten auf eine proteinreiche, fettarme Ernährung, so wie etwa magere Hähnchenbrust. Gesundheit und Fitness sind wichtig für sie.

  • Raubtiere (13 Prozent): Sie lieben es deftig, Qualität ist wichtig, daher kaufen sie gern im Fachgeschäft oder an der Bedientheke. Mit dem Schlachten oder Jagen von Tieren haben sie keine Probleme.

Blickt man vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse nun in die Zukunft und fragt sich: „Quo Vadis Wurst- und Fleischindustrie?“, so lassen sich laut den Rheingold-Experten klare Zukunftstrends ableiten.

Neue Leitfigur: Flexitarier

Einer davon gilt der Konsumenteneinstellung und dem Essstil von heute, der unter dem Begriff des Flexitariers zunehmend weiter gefasst wird: statt hin und wieder Fleisch und Fleischprodukte zu konsumieren, gilt eher die bewusste Reduktion des Fleischkonsums als Hauptkriterium für den gelegentlichen Wurstverbraucher und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

So entpuppt sich der Flexitarier, auch in Deutschland, wohl zur neuen kulinarischen Leitfigur. Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumentenforschung wird dieser Essstil bereits in 37 Prozent der deutschen Haushalte gelebt, in denen durchschnittlich um 20 Prozent weniger Fleisch und 18 Prozent weniger Wurst konsumiert wird als in nicht-flexitarischen Haushalten. Darüber hinaus gibt generell jeder dritte Deutsche an, seinen Fleischkonsum zu reduzieren. Nimmt man den Flexitarier als kulinarische Leitfigur, sind der Studie zufolge vor allem die regionale Erzeugung und artgerechte Haltungsbedingungen für die Tiere wichtige Aspekte beim Wurstkauf. Der antibiotikafreien Aufzucht und Haltung bescheinigt die Befragung ebenfalls Potenzial: 36 Prozent der Befragten verwenden bereits entsprechende Produkte, 54 Prozent wollen das in Zukunft tun.

Antibiotikafreie Wurst

„Wir bei TFB nehmen die Studienergebnisse sehr ernst und wir wissen, dass wir gefordert sind uns neu zu erfinden. Herzenssache war erst der Anfang“, sagt TFB-Chef Reinert. Bisher holte das Unternehmen für seine antibiotika-freie Wurstmarke Herzenssache die Schweinehälften aus Dänemark. Doch jetzt stellt TFB die Marke neu auf. Von Beginn an setzte Reinert ausschließlich auf die Innovation „100 Prozent antibiotikafreie Aufzucht“ als zentrales Unterscheidungsmerkmal zu allen anderen Wettbewerbern. Nun erweitert er das Programm um regionale Aspekte und Tierwohl-Themen unter Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette. Die wichtigste Änderung dabei: Die goA-Schweine kommen nicht mehr aus Dänemark, sondern aus Deutschland. „Wir haben in Kooperation mit dem Schlachthof Brand in Lohne bei Oldenburg Landwirte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachen überzeugen können, mit uns gemeinsam das Herzenssache-Konzept zu erweitern“, sagt Reinert. Dies sei ein Zusammenschluss von Partnern, denen handwerklich hochwertige Qualität, Tierwohl und Nachhaltigkeit sowie faire Partnerschaft wichtig sind, sagt der Unternehmer. Einen Namen für die beteiligten Partner hat Marketing-Profi Reinert auch gleich parat: „Reinerts Genuss-Genossenschaft“. Bei den Genuss-Genossen handelt es sich laut Reinert um sieben landwirtschaftliche Betriebe mit 200 bis maximal 4000 Mastplätzen. Im ersten Halbjahr habe Reinert rund 70 Tonnen dänisches goA-Fleisch verwurstet. Diese Menge soll nun durch Schweine aus den sieben deutschen Schweineställen ersetzt werden.

Um dies zu ermöglichen, habe TFB die Rahmenbedingungen geschaffen, welche die Landwirte bei der Umsetzung einer tierwohlgerechteren Offenstallhaltung absichern. Dazu haben Reinert und Kemper-Inhaber Kühnl ein Modell entwickelt, bei dem TFB, der Schlachthof Brand und die Landwirte für jedes produzierte Kilogramm einen Betrag in einen Topf zahlen. Falls die antibiotikafreie Aufzucht der Tiere nicht gelingt, bekommt der Landwirt einen Betrag als Ausgleich dafür, dass ein oder mehrere Tiere konventionell vermarktet werden müssen. „Dies sichert die Betriebe ab und verringert das persönliche Risiko der Landwirte“, erklärt Reinert. Geplant sei, die Zusammenarbeit kontinuierlich auszubauen und entsprechend der Nachfrage fortlaufend weitere Landwirte in das Herzenssache-Programm zu involvieren.

Fleischersatz gewinnt an Bedeutung

Eine Leitrolle werden laut Rheingold zum einen hochwertige Fleischersatzprodukte spielen, die nicht nur von Veganern gerne regelmäßig im Speiseplan integriert werden. Zum anderen steht eine Verbesserung der Fleischqualität bestehender Produktionen im Fokus, die sich vor allem für mehr Tierwohl und die Unterstützung regionaler Landwirte einsetzt.

Eine Fleischproduktion, die sich mehr Auslauf, den Einsatz von gen- und antibiotikafreien Futtermitteln und ein verbessertes Tierwohl auf die Fahne schreibt, hätte zwangsläufig eine deutliche Erhöhung der Fleischpreise zur Folge. Dies setzt auf der anderen Seite jedoch die Bereitschaft der Konsumenten voraus, im Sinne der Nachhaltigkeit und für mehr Tierwohl tiefer in die Tasche zu greifen, wofür die Mehrheit der Deutschen nach Untersuchungen der Marktforschung durchaus bereit wäre. „TFB wird sich deutlich stärker mit Innovationen befassen und dabei ohne Scheuklappen auf die Anforderungen der unterschiedlichen Verbrauchertypen eingehen,“ lautet das Resümee von TFB-Chef Reinert.

Mehr zum Thema: Während Deutschland über Skandale in Schlachthöfen diskutiert, dringen innovative Anbieter mit neuen Produkten in die Supermärkte vor.