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Hedgefondsmanager Hohn hält Wirecard-Sanierung für unmöglich: „Die Firma ist nicht zu retten“

Der Shortseller Christopher Hohn warnte frühzeitig vor dem Finanzdienstleister – und wettete gegen ihn. Nun geht er hart mit den deutschen Aufsehern und Anlegern ins Gericht.

19.06.2020, Bayern, Aschheim: Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters zu sehen. Dem in einen Bilanzskandal verwickelten Dax-Konzern Wirecard droht der Verlust von Milliardenkrediten. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa
19.06.2020, Bayern, Aschheim: Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters zu sehen. Dem in einen Bilanzskandal verwickelten Dax-Konzern Wirecard droht der Verlust von Milliardenkrediten. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa

Der britische Hedgefondsmanager Christopher Hohn fordert ein schärferes Vorgehen der deutschen Aufseher im Wirecard-Skandal. „Ich frage mich, ob die deutschen Behörden der Firma nicht umgehend die Lizenz als Bank und Zahlungsdienstleister entziehen sollten“, sagte Hohn am Donnerstag im Interview mit dem Handelsblatt. „Sie können die Firma nicht einfach weitermachen lassen, sondern müssen die Wirecard-Kunden und das deutsche Bankensystem schützen.“

Hohn fordert eine umfassende Aufklärung des Bilanzskandals. „Ich denke, es wird noch mehr Übeltäter geben“, sagte er. „Ein Bilanzskandal dieser Größenordnung kann nicht von ein oder zwei Leuten begangen worden sein. Die deutschen Behörden müssen alle Verantwortlichen ausfindig machen.“

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Scharf geht der Brite auch mit dem Aufsichtsrat von Wirecard ins Gericht: „Der Aufsichtsrat hat diese Machenschaften viel zu lange zugelassen. Der gesamte Aufsichtsrat hat versagt und sollte zur Verantwortung gezogen werden“, so Hohn.

Der Shortseller, der mit seinen Wirecard-Leerverkäufen bereits 200 Millionen Dollar verdient hat, hält eine Sanierung des Konzerns für aussichtslos. Auch als Übernahmekandidat habe der Techkonzern keine Zukunft. „Wirecard hat in meinen Augen keine Assets, die als Übernahmekandidat attraktiv wären“, sagte er. „Alle Kunden werden zu anderen Anbietern wechseln. Und aus meiner Sicht hat Wirecard keine einzigartige Technologie, es gibt viele andere Wettbewerber. Die Firma ist nicht zu retten.“

Die Leerverkäufer sieht Hohn durch den Skandal rehabilitiert. „Shortseller spielen eine wichtige Rolle, um Betrug ans Licht zu bringen“, sagte er. „Die Behörden sollten ihre Einstellung ändern. Statt sich auf die Seite des Vorstands zu schlagen und aggressiv gegen Leerverkäufer vorzugehen, sollten sie offen für unsere Argumente sein. Man sollte uns respektieren, statt auf uns herabzuschauen.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Hohn, Wirecard hat Insolvenz angemeldet. Fühlen Sie sich bestätigt?
Das war zu erwarten, seit die Firma eingeräumt hat, dass 1,9 Milliarden Euro auf ihren Konten fehlen. Es gab keine Alternative.

Was muss nun passieren?
Ich frage mich, ob die deutschen Behörden der Firma nicht umgehend die Lizenz als Bank und Zahlungsdienstleister entziehen sollten. Sie können die Firma nicht einfach weitermachen lassen, sondern müssen die Wirecard-Kunden und das deutsche Bankensystem schützen. Wirecard hat knapp zwei Milliarden Euro an Kundeneinlagen. Das Ausmaß des Skandals ist immer noch unklar. Wir wissen auch nicht, ob die Machenschaften weitergehen. Aus meiner Sicht ist Wirecard ein schwarzes Loch.

Welche Konsequenzen muss es für den Vorstand und Aufsichtsrat geben?
Ich denke, es wird noch mehr Übeltäter geben. Ein Bilanzskandal dieser Größenordnung kann nicht von ein oder zwei Leuten begangen worden sein. Die deutschen Behörden müssen alle Verantwortlichen ausfindig machen.

Wie konnte es so weit kommen?
Der Aufsichtsrat hat diese Machenschaften viel zu lange zugelassen. Zwei der fünf Aufsichtsratsmitglieder sitzen seit über zehn Jahren in dem Gremium. Wir haben Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann im April aufgefordert, Braun zu entlassen. Stattdessen schlug er sich auf die Seite des Vorstands und sah keinen Grund für personelle Änderungen. Der gesamte Aufsichtsrat hat versagt und sollte zur Verantwortung gezogen werden.

Ex-Chef Braun hatte diese Woche noch getwittert, das Unternehmen habe alle Ressourcen für eine großartige Zukunft.
Persönlich sehe ich keine Zukunft für Wirecard. Wie sich jetzt herausstellt, war ein signifikanter Teil der Vermögenswerte nicht real, was wiederum Zweifel über die Substanz historischer Gewinne aufwirft. Wirecard war nicht in der Lage, KPMG eine Liste der Endkunden im Third-Party-Acquiring-Geschäft für den Zeitraum 2016 bis 2018 vorzulegen.

Welcher Kunde will sich mit so einer Firma noch einlassen? Berichten zufolge scheint Revolut bereits die Geschäftsbeziehungen zu Wirecard beenden zu wollen. Das asiatische Unternehmen Grab, das zum Portfolio der Softbank gehört, distanziert sich von Wirecard. Zahlungsabwicklung ist ein Geschäft, das auf Vertrauen basiert. Und das Vertrauen ist unwiderruflich weg.

Wirecard wäre also auch kein attraktiver Übernahmekandidat?
Wirecard hat in meinen Augen keine Assets, die als Übernahmekandidat attraktiv wären. Alle Kunden werden zu anderen Anbietern wechseln. Und aus meiner Sicht hat Wirecard keine einzigartige Technologie, es gibt viele andere Wettbewerber. Die Firma ist nicht zu retten.

Wenn es kein nennenswertes Geschäft gibt, wie konnte das Unternehmen dann in den Dax gelangen?
Es ist in der Tat erstaunlich, wie eine aus unserer Sicht nahezu wertlose Firma eine Bewertung von 24 Milliarden Euro erreichen konnte. Die Kontrollen haben versagt. Warum die Wirtschaftsprüfer von Ernst and Young das nicht erkannt haben, ist noch unklar. Ich erwarte eine große Klagewelle gegen die Gesellschaft.

Auch der Aufsichtsrat und Vorstand von Wirecard waren viel zu eng miteinander. Manchmal wollen die Leute nicht so genau hingucken. Und die Behörden sind monatelang untätig geblieben, obwohl die „Financial Times“ (FT) Beweise veröffentlicht hatte. Alle Warnungen wurden ignoriert, alle wollten dem CEO glauben.

Wann sind Ihnen erstmals Zweifel an Wirecard gekommen?
Wir haben über die Vorwürfe in der FT gelesen und uns daraufhin informiert. Wir kamen schnell zu dem Schluss, dass es ernsthafte Probleme gab. Der Kauf der indischen Firma Hermes von einem Investmentfonds in Mauritius war aus unserer Sicht faul. Dass Wirecard bei einem rund 300-Millionen-Euro-Deal nicht die wirtschaftlich Berechtigten dieses Fonds kennt, ist unvorstellbar.

Wann haben Sie angefangen, ihre Shortpositionen gegen Wirecard aufzubauen?
Wir haben unsere Position im Dezember 2019 veröffentlicht, als sie die meldepflichtige Grenze von 0,5 Prozent überschritt. Wir haben sie im April nach der Veröffentlichung des KPMG-Berichts noch einmal erhöht. Am 29. April haben wir eine Shortposition in Höhe von 1,53% veröffentlicht.

Die Bafin hatte vergangenes Jahr zwischenzeitlich ein Leerverkaufsverbot verhängt, um den Kurssturz aufzuhalten. Diese Woche lobte Bafin-Chef Felix Hufeld, dass die Leerverkäufer richtig gehandelt hätten. Glauben Sie, dass sich die öffentliche Meinung über Shortseller nun ändern könnte?
Ich hoffe es. Shortseller spielen eine wichtige Rolle, um Betrug ans Licht zu bringen. Die Behörden sollten ihre Einstellung ändern. Statt sich auf die Seite des Vorstands zu schlagen und aggressiv gegen Leerverkäufer vorzugehen, sollten sie offen für unsere Argumente sein.

Was sagt der Skandal über Deutschland als Investitionsstandort?
Die große Mehrheit der deutschen Firmen ist sauber. Aber für mich ist es ziemlich klar, dass die Wirtschaftsprüfer und Aufseher genauer hinsehen sollten. Man muss daher vorsichtig sein beim Investieren in Deutschland. Man muss die Vorstände und Aufsichtsräte genau auf ihre Integrität prüfen.

Aufseher in anderen Ländern haben höhere Standards?
Wenn Wirecard in den USA oder Großbritannien gelistet wäre, hätten die Behörden viel früher interveniert. Ich denke, sie wären gleich nach dem ersten FT-Bericht aktiv geworden. Ich sehe die Verantwortung aber auch noch bei einer anderen Gruppe: Die Großanleger blieben passiv und stumm. Sie hätten den Aufsichtsrat zum Rücktritt zwingen und eine Sonderprüfung verlangen müssen. Sie tun bis heute viel zu wenig.

Mehrere Großanleger haben ihre Positionen sogar noch aufgestockt, nachdem die „Financial Times“ die Unregelmäßigkeiten aufgedeckt hatte. Wie erklären Sie sich das?
Es gibt diese Einstellung unter Investoren, dass es falsch sei, aktiv zu werden, öffentliche Briefe zu schreiben und Änderungen einzufordern. Wir denken genau das Gegenteil: Die institutionellen Anleger, die geschwiegen haben, während diese Machenschaften vonstattengingen, erfüllen nicht ihre Treupflichten und schützen nicht das ihnen anvertraute Kapital.

Die Kultur in Deutschland muss sich ändern. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bei der Auseinandersetzung mit der Führung der Deutschen Börse 2005 als „Heuschrecke“ bezeichnet wurde. Aktive Investoren sollten willkommen geheißen werden, weil sie Vorstände und Aufsichtsräte angemessen kontrollieren. Es gibt einen Mangel an engagierten Großaktionären in Deutschland.

Sie waren aber nie Wirecard-Aktionär, sondern nur Shortseller.
Man muss nicht Anteilseigner sein, um aktiv zu sein. Warum sollte es einen Unterschied machen, ob Sie Aktionär oder Leerverkäufer sind, wenn Sie die Wahrheit aussprechen? Mein Punkt ist: Engagement hat einen Wert. Wir würden natürlich nie Anteile einer Firma kaufen, von der wir glauben, dass sie wertlos ist. Das wäre dumm.

Nun sind Sie einer der wenigen Gewinner in der Wirecard-Geschichte. Wie viel haben Sie mit Ihren Wetten auf den fallenden Kurs verdient?
Rund 200 Millionen Dollar. Die Strategie, ein aktiver Investor zu sein, war in den vergangenen 15 Jahren sehr erfolgreich. Aber sie ist nicht populär. Aktive Investoren werden nicht respektiert. Das muss sich ändern, denn sie bereichern das finanzielle Ökosystem.

Gibt es ein generelles Governance-Problem in Deutschland?
Das Problem ist folgendes: Wenn Aktien auf viele Anteilseigner verteilt sind und es keinen dominierenden Großaktionär gibt, fühlt sich niemand für die Kontrolle zuständig. Die rechtliche Struktur in Deutschland sollte so geändert werden, dass Aktionäre den Vorstand und Aufsichtsrat leichter zur Rechenschaft ziehen können. Damit aktive Investoren effektiv sein können, brauchen sie das Ohr des Boards und anderer Anteilseigner. Man sollte uns respektieren, statt auf uns herabzuschauen.

Es wird aber doch immer einen Interessenkonflikt zwischen Aktionären und Leerverkäufern geben, schließlich wetten die einen auf steigende, die anderen auf fallende Kurse. Sie werden immer unpopulär sein.
Es stimmt, wir bekommen viele unfreundliche Briefe von Wirecard-Anlegern. Aber die Wahrheit kommt irgendwann raus, ob es den Anlegern gefällt oder nicht. Es ist besser für die Leute, sich der Realität zu stellen als sie zu leugnen. Wir sollten zusammenarbeiten.

Sie haben den Vorstand der Deutschen Börse entfernt, den Abgang des Chairmans bei der Londoner Börse erreicht, jetzt Wirecard. Was kommt als Nächstes?
Wir sprechen nicht über unsere nächsten Ziele. Wir investieren aber nicht gern in schlechte Unternehmen mit schlechter Governance. Wir haben nie in deutsche Banken investiert zum Beispiel. Ich sehe keinen Sinn darin. Das wäre ein aussichtsloser Kampf.

Ist der Fall Wirecard ein Zeichen für das Platzen einer Fintech-Blase?
Es gibt definitiv Blasen im Fintech-Sektor. Manche Leute hören zu gern die nächste große Geschichte.

Stellt die Insolvenz auch das Geschäftsmodell der Zahlungsdienstleister generell in Frage?
Die Zahlungsabwicklung ist eine wesentliche Dienstleistung, und einige Firmen werden damit weiter Geld verdienen. Ich glaube, die Kunden werden künftig kleinere Anbieter meiden, die nicht stark kapitalisiert sind. Sie werden sich zu größeren, etablierten Firmen mit guter Compliance hinwenden.

Herr Hohn, vielen Dank für das Interview.