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„Finanzwende“-Chef Gerhard Schick: „Die Bafin hat bei fast jedem Skandal geschlafen“

Der langjährige Grünen-Politiker und Finanzaktivist fordert eine schärfere Kontrolle der Geldbranche und die Entflechtung von Finanzriesen wie Blackrock.

Gerhard Schick zählt zu den profiliertesten Kritikern der Finanzbranche in Deutschland. 13 Jahre saß er für die Grünen im Bundestag, bevor er 2018 die „Bürgerbewegung Finanzwende“ gründete.

Im Interview mit dem Handelsblatt beklagt Schick die „Kuschel-Aufsicht“ der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Die Behörde mache „ihren Job nicht“ und habe „bei fast jedem Skandal geschlafen“. Als Konsequenz aus dem Versagen der Aufsicht im Wirecard-Skandal fordert Schick den Rücktritt von Bafin-Chef Felix Hufeld und seiner Stellvertreterin Elisabeth Roegele. Die staatlichen Finanzkontrolleure müssten selbst schärfer kontrolliert werden.

Außerdem warnt Schick vor der Machtkonzentration in der globalen Finanzbranche. Die weltgrößte Fondsgesellschaft Blackrock vergleicht Schick mit Internetriesen wie Google oder Amazon. „Es handelt sich um dieselbe datenbasierte Marktdominanz.“ Der Finanzaktivist diagnostiziert eine „problematische Machtzusammenballung“. Seine Forderung: „Blackrock ist alles in allem so mächtig, dass es entflochten werden müsste.“

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Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Schick, seit Mitte 2018 leiten Sie die „Bürgerbewegung Finanzwende“. Bewegen Sie jetzt eigentlich mehr als im Bundestag?
Es dauert Jahre, eine solche Organisation als Gegengewicht zur riesigen Finanzlobby aufzubauen. Finanzwende ist schneller gewachsen, als wir gedacht haben. Die Unterstützung aus der Bürgerschaft ist groß, viele Experten, aber auch von Finanzskandalen Betroffene, wirken ehrenamtlich mit. So erreichen wir zusammen mehr als ein einzelner Abgeordneter im Bundestag. Nur beim Wirecard-Untersuchungsausschuss habe ich einmal kurz gezuckt und mir gesagt: „Das würdest du jetzt schon gern machen.“

Welche Lehren ziehen Sie aus dem Wirecard-Skandal? Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?
2021 darf sich nicht wiederholen, was wir bei anderen Finanzskandalen erlebt haben: erst große Empörung, dann Versprechungen – und nachher passiert rein gar nichts. Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin macht ihren Job seit Jahren oft nicht. Bei fast jedem Skandal – auch bei Cum-Ex oder der Pleite von P & R – hat sie geschlafen. Gute Leute dort werden ausgebremst und gehen.

Die Bafin muss endlich so aufgestellt werden, dass sie sich als harter Aufpasser versteht. Bisher gibt es eine Kuschel-Aufsicht: Wir reden mit den Vorständen, und dann finden wir gemeinsam eine Lösung. Das ist wie bei einem Fußball-Schiedsrichter, der von allen Spielern geliebt werden will – und lieber dafür sorgen sollte, dass das Spiel fair ist.

Miteinander reden, zuhören, ist ja wohl nicht das Problem...
Doch, wenn ich es mit Kriminellen zu tun habe – wie bei Wirecard. Da muss man Dokumente sichern und Verbrechensbekämpfung betreiben. Künftig muss in der Bafin der Verbraucherschutz gestärkt werden. Sie braucht ein Mission Statement: „Wir sind für die Bürgerinnen und Bürger da.“ Alle Bundesfinanzminister der vergangenen Jahre waren aber völlig d’accord mit dem Selbstempfinden der Bafin als Sprachrohr der Finanzbranche.

Sie sprechen von Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble, Olaf Scholz?
Ja. Jetzt müssen endlich Konsequenzen aus dem Schaden gezogen werden, den diese laxe Haltung für unser Land angerichtet hat. Bafin-Chef Felix Hufeld sollte sofort zurücktreten und seine Stellvertreterin Elisabeth Roegele gleich mit. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, wie man langfristig sicherstellen kann, dass die Aufsicht ihren Job macht: In Großbritannien kann man sich bei einer Ombudsstelle über die Aufsicht beschweren, in den USA und auf europäischer Ebene müssen sich Behördenchefs öffentlichen Befragungen stellen, in Österreich kontrolliert regelmäßig der Rechnungshof. Wenn Olaf Scholz dies nicht bis zur Bundestagswahl im Herbst hinbekommt, ist es verspielt.

Wird ihm das gelingen?
Meine Gespräche im Ministerium stimmen mich zuversichtlich. Ich habe aber auch 15 Jahre Erfahrung in der Finanzmarktpolitik in den Knochen – und weiß, wie sehr die Finanzlobby zufrieden ist mit dieser Aufsicht und wie sie es immer geschafft hat, jede Reform auszubremsen.

Neben der Bafin haben die Wirtschaftsprüfer im Fall Wirecard versagt.
Auch das ist nicht überraschend. Leider ist aus der EU-Reform vor einigen Jahren nichts geworden, bei den Wirtschaftsprüfern Kontrolle und Beratung zu trennen. Das fällt uns auf die Füße. Bisher hat sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier als Schutzpatron der Wirtschaftsprüfer aufgespielt. Künftig sollte nicht mehr der Vorstand einer Firma die Wirtschaftsprüfer beauftragen, sondern eine unabhängige Stelle. Zudem sollte die Bafin selbst prüffähig werden. Warum braucht sie immer Wirtschaftsprüfer?

Neben Wirecard war die Coronakrise das große Thema in der Finanzbranche im vergangenen Jahr. Bislang sind die Banken recht glimpflich durch die Pandemie gekommen. Was erwarten Sie für 2021?
Durch den Gesetzgeber ist bei Firmeninsolvenzen einiges aufgeschoben worden. Zusammenbrüche würden die Bankbilanzen enorm belasten. Wir haben da derzeit kein klares Bild. Sicher ist: Alles kann der Staat auch nicht abpuffern. Die Kombination aus Kreditausfällen und Niedrigzinsen wird zu Ertragsausfällen führen. Die Commerzbank oder einzelne Volksbanken und Sparkassen sind heute schon gewinnschwach. Da wird es unangenehme Nachrichten geben, gerade von Banken mit hohen Kreditvolumina an Krisensektoren.

Das bedeutet Sanierungen und weniger Filialen?
In Europa ist die Bereinigung im Bankensektor weitgehend ausgeblieben. Es gibt zu viele Stellen, und die Gehälter der Führungsetagen sind zu hoch. Außerdem haben wir einen völlig aufgeblähten Versicherungsvertrieb. Das betrifft nicht nur Strukturvertriebe wie die DVAG, sondern auch Sparkassen und Volksbanken, die über ihre Schalter teils Produkte verkaufen, die den Kunden wenig nützen.

Viele prophezeien, dass sich große Geldhäuser in Europa zusammenschließen.
Wenn sich die Banken durch grenzüberscheitende Fusionen europäisieren, ist das ein völlig normaler Prozess. Wir wollen einen Binnenmarkt und haben eine europäische Bankenaufsicht geschaffen. Es war schon immer Deutschtümelei zu sagen, die Deutsche Bank sei „unser Institut“. Sie gehört nun einmal mehrheitlich ausländischen Investoren. Europäische Fusionen sind also nicht das Problem, solange die fusionierten Institute ein beherrschbares Risiko im Fall einer Schieflage darstellen.

Was mir wichtiger ist: Ich glaube, der Staat ist den Banken in der Krise sehr entgegengekommen und hat einige Regeln ausgesetzt. Er sollte aber nicht wie nach 2008 den Zeitpunkt verpassen, endlich ausreichende Risikopuffer vorzuschreiben. Künftig sollte die Bilanzsumme einer Bank mit zehn Prozent Eigenkapital gedeckt sein und nicht mehr nur mit drei Prozent.

Wie viel Vertrauen haben Sie eigentlich in die Kraft der Finanzwirtschaft, die nächste Krise zu bewältigen?
Insgesamt ist das Finanzsystem instabiler geworden. Das Verhältnis der Schulden zur Realwirtschaft hat sich seit 2008 weiter vergrößert. Es gibt viele Baustellen. Die Qualität der Schuldtitel amerikanischer Unternehmen hat zum Beispiel sehr abgenommen. Auch ist Chinas Expansion stark schuldenfinanziert. Schließlich könnte die Entwicklung einiger Schwellenländer zu Erschütterungen führen. Sie leiden unter dem Wegfall von Tourismus und einzelner Handelsgeschäfte. Vermutlich können sie Kredite irgendwann nicht zurückzahlen. Man kann aber nicht genau vorhersagen, wann es wo kracht.

Viele Ökonomen befürchten, der Staat übernehme sich in der Coronakrise mit immer neuen Krediten.
Wir sehen am Beispiel Japan, dass das mit niedrigen Zinsen und geringem Wachstum eine ganze Weile funktioniert, solange die Staatsschulden bei der Zentralbank oder den Bürgern bleiben. Nein, nicht öffentliche Zahllasten, sondern private Schulden sind das Problem. Fast sieben Millionen Deutsche sind nach Schätzungen überschuldet. Die Coronakrise verschärft bei vielen die finanzielle Lage. Viele gehen dann zu Finanzdienstleistern, die das Ganze noch verschlimmern. Das Thema wird uns 2021 beschäftigen.

Was schlagen Sie zur Lösung vor?
Alle Menschen müssen zum Beispiel zügig und überall Beratung bekommen. Und wir sollten verhindern, dass manche Banken das Problem noch verschärfen. In Testkäufen haben wir festgestellt, dass die Zinsen mancher Konsumentenkredite letztlich bei mehr als 20 Prozent liegen. Da wird oft einfach mal eine teure Restschuldversicherung mitverkauft.

Viel Risikogeschäft ist längst von den Banken zu Schattenbanken abgewandert, zu Hedgefonds, Vermögensverwaltern, und Kreditfonds. Fürchten Sie hier den nächsten Crash?
Ich liebe die Fakten mehr als die Glaskugel. Und die Fakten sind beunruhigend genug. Im März 2020 mussten die Zentralbanken stärker intervenieren als im September 2008. Plötzlich waren Anlagen nicht mehr liquide. Die Fed in den USA hat sogar börsennotierte Indexfonds gekauft. Das ist in der Öffentlichkeit weitgehend untergegangen.

Einige Geschäftsmodelle sind zu überprüfen. Was ist das für ein System, wo in guten Zeiten gigantische private Gewinne entstehen und in schlechten Zeiten der Staat sofort eingreifen muss? Die Zentralbanken müssten aus der ewigen Retterrolle herausgenommen werden. Das überfordert sie.

Wie sichern wir uns gegen den Kollaps einer Schattenbank ab?
Immer wenn es bei Schattenbanken um Kredit geht, brauchen wir die gleichen Sicherungsregeln wie bei den Banken. Also mehr Eigenkapital und einen Einlagensicherungsfonds. Und es ist destabilisierend, wenn automatische Anlagesysteme alle gleichzeitig auf „Verkaufen“ gestellt werden. Das kann jederzeit wieder passieren.

Allein die US-Finanzfirma Blackrock verwaltet ein Finanzvermögen von 7,4 Billionen Dollar. Sie gilt vielen als Nummer eins im Finanzmarkt. Wird sie noch mächtiger?
Wenn es um die Tech-Giganten dieser Welt geht, also Google, Amazon, Facebook und Apple, darf man Blackrock nicht weglassen. Es handelt sich um dieselbe datenbasierte Marktdominanz. Blackrocks Computersystem „Aladdin“ wird weltweit für Investments in Höhe von 20 Billionen Dollar genutzt.

Das ist eine problematische Machtzusammenballung, wenn man die starke Rolle bei börsengehandelten Fonds miteinbezieht. Hinzu kommen massive Interessenkonflikte, wenn die Firma Investor und Regierungsberater zugleich ist. Blackrock ist alles in allem so mächtig, dass es entflochten werden müsste.

Blackrock setzt sich wie viele andere Finanzkonzerne dafür ein, bei Investments stärker Auswirkungen auf Umwelt und Arbeit mit zu beachten und auf eine gute Unternehmensführung zu dringen.
Das ist eine positive Entwicklung. Viele in der Finanzbranche sind bei Nachhaltigkeitsthemen weiter als die politischen Akteure. Allianz-Chef Oliver Bäte etwa versteht von Klimaschutz wesentlich mehr als der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. Leider stellt man fest, dass mancher Appell besser zunächst nur im eigenen Briefkasten gelandet wäre.

Der entscheidende Punkt ist: Kommen wir vom „talking“ zum „doing“, vom Marketing zum Umlenken von Finanzströmen? Die EU hat in einem ersten Schritt mit der „Taxonomie“ definiert, was „nachhaltig“ ist. Das Ganze muss aber erst noch beim Beratungsgespräch in Banken ankommen. Es langt auf jeden Fall nicht, so wie die Sparkassen eine laue Absichtserklärung abzugeben.

Sie entdecken Scheinheiligkeit?
Noch ist global, gemessen am Börsengang, kein Unternehmen wertvoller als Saudi-Aramco – eine Ölfirma! Das kann nicht sein, denn der Markt müsste sich an zukünftigen Gewinnen orientieren. Die können für eine Ölfirma nicht sehr hoch sein, wenn die Pariser Klimaziele von 2015 eingehalten werden sollen. Es darf kein Geld für neue Kohlekraftwerke geben. Branchen wie Stahl, Auto oder Luftfahrt muss beim Umbau geholfen werden, aber dann auch mit klaren Verpflichtungen für die Unternehmen.

Wie sieht die Rolle des Staats dabei aus?
Noch gibt es weder bei den Beamtenpensionen des Bundes noch bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder eine Anbindung an Klimaziele. Und die öffentliche Hand sollte bei einem Konzern wie Lufthansa nur einsteigen, wenn sich das Management gleichzeitig zu einer klar klimafreundlichen Politik verpflichtet.

Herr Schick, vielen Dank für das Interview.