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Finanzminister Scholz warnt vor Sparkurs in Europa nach der Coronakrise

Die wirtschaftliche Erholung in Europa soll nicht durch einen zu frühen Defizitabbau abgewürgt werden, sagt der Bundesfinanzminister. Deutschland dürfe nicht „oberlehrerhaft“ auftreten.

Olaf Scholz sagte mit Blick auf die heutige Lage, man müsse „pragmatisch“ mit den europäischen Schuldenregeln umgehen. Foto: dpa
Olaf Scholz sagte mit Blick auf die heutige Lage, man müsse „pragmatisch“ mit den europäischen Schuldenregeln umgehen. Foto: dpa

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) warnt die europäischen Staaten davor, nach Ende der Coronakrise zu schnell auf einen Sparkurs einzuschwenken. „Sparpolitik ist kein guter Einfall für Europa“, sagte Scholz auf der Konferenz „Europe2021“, die gemeinsam vom „Tagesspiegel“, der „Zeit“, der „Wirtschaftswoche“ und dem Handelsblatt ausgerichtet wird.

„Wir dürfen nicht den Fehler von nach der Finanzkrise wiederholen und nach der Coronakrise direkt in eine Sparpolitik einmünden, sondern müssen die Wachstumsprozesse überall in Europa zur Geltung kommen lassen“, forderte Scholz.

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Insbesondere Deutschland hatte damals darauf gedrängt, die Defizite und Schuldenstände, die wegen der Ausgaben für Bankenrettungen und Konjunkturpakete stark gestiegen waren, möglichst schnell zu senken. Scholz bezeichnete das nun als „schweren Fehler“ der damaligen Bundesregierung.

Die Haushaltskonsolidierung hat nach Ansicht von Ökonomen den Aufschwung nach der Krise in vielen Ländern abgewürgt und so dafür gesorgt, dass auf die Finanzkrise eine Staatsschuldenkrise folgte, bei der dann südeuropäische Euro-Länder wiederum Rettungspakete benötigten.

Derzeit sind die EU-Fiskalregeln wegen der Corona-Pandemie temporär ausgesetzt. Einige EU-Staaten fordern, die Schuldenregeln aufgrund der hohen Schuldenstände dauerhaft zu lockern, weil die Maastricht-Kriterien ohnehin nicht mehr eingehalten werden können. Andere Länder wie Österreich wollen dagegen die Regeln möglichst schnell wieder in Kraft setzen.

Scholz sagte mit Blick auf die heutige Lage, man müsse „pragmatisch“ mit den europäischen Schuldenregeln umgehen. Er warnte davor, dass Deutschland in Europa „oberlehrerhaft“ oder gar als Finanzkontrolleur für andere Länder auftritt. „Da rate ich zur Mäßigung.“

Wird die Schuldenbremse erneut ausgesetzt?

In Bezug auf Deutschland wollte sich Scholz nicht konkret dazu äußern, ob er wie zunächst angepeilt im Jahr 2022 wieder die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse einhalten kann. „Ich versuche seit Monaten allen zu sagen, dass wir im März dieses Jahres die Stunde der Wahrheit haben“, so Scholz.

Dann wird das Bundesfinanzministerium die Eckwerte für den Haushalt 2022 sowie die Finanzplanung für die gesamte nächste Wahlperiode präsentieren. „Da werden die Fragen beantwortet werden müssen“, so Scholz.

Schon im Vorjahr klaffte in Scholz‘ Finanzplanung eine gewaltige Einnahmelücke, die durch die zweite Welle der Pandemie eher noch größer geworden ist. Scholz warnte daher davor, sich Illusionen hinzugeben.

Auch wenn Deutschland mittelfristig aus den Corona-Schulden dank Wachstum herauswachsen könne, „werden wir nicht auf den alten Pfad der Einnahmeentwicklung zurückkehren“, sagte der Finanzminister. „Auch bei gutem Wachstum und steigenden Einnahmen werden die Einnahmen nicht die gleichen sein wie vorher.“

In noch viel stärkerem Maße gilt dies für andere EU-Staaten, die fast alle deutlich höher verschuldet sind als Deutschland. „Wer Europa zusammenhalten will, darf in Krisen nicht an roten Linien haltmachen. Wir zeigen in der Coronakrise, dass wir es ernst meinen mit der europäischen Solidarität“, sagte Scholz.

Wenn man wieder wie die schwarz-gelbe Bundesregierung in der Finanzkrise „diejenigen alleingelassen hätte, die weniger finanzielle Polster haben als wir, wäre auf die ökonomische die politische Spaltung gefolgt. Das haben wir verhindert“, sagte Scholz.

Viele hätten noch nicht realisiert, welch historischer Schritt die Schaffung des 750 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds in der Coronakrise sei. Dadurch könne Europa erstmals eigene Schulden machen. Der Fonds sei damit der Einstieg in eine Fiskalunion, in der die EU über eigene Einnahmen verfüge. „Und diesen Weg werden wir jetzt weitergehen“, so Scholz.

Das Thema Europa gehört zu einem von drei Schwerpunkten, auf die der SPD-Kanzlerkandidat im Wahlkampf setzen will. Scholz skizzierte in seiner Rede, welche weiteren Reformen in Europa er für geboten hält.

Zu einem gerechten Europa gehöre etwa das Ende von Steuerdumping. „Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Sommer eine Einigung für eine globale Mindeststeuer hinbekommen und digitale Geschäftsmodelle steuerlich besser berücksichtigen können“, sagte Scholz.

Europa muss beim Handelsabkommen selbst die Regeln setzen

Vorantreiben will der SPD-Politiker auch eine einheitliche Unternehmensbesteuerung in der EU. Die Vorschläge lägen seit Jahren auf dem Tisch. „Wir können uns nicht mehr erlauben, dass der Langsamste das Tempo vorgibt“, so Scholz. Deshalb wolle er sich dafür einsetzen, dass bei der Steuerpolitik Entscheidungen in der EU künftig nicht mehr einstimmig, sondern per Mehrheitsentscheidung getroffen werden.

Entscheidend seien daneben hohe Sozialstandards. Dazu zähle etwa die Lohn- und Tarifpolitik, die in Deutschland ihren Niederschlag etwa in einem Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro finden müsse. Scholz mahnte aber auch mehr Gestaltungswillen bei der Globalisierung an. „Trump und Brexit zeigen, dass die Fundamente ins Wanken geraten, wenn Globalisierung nicht für alle greifbare Vorteile bringt.“

Es sollten bei EU-Freihandelsabkommen robuste Sozial- und Nachhaltigkeitskapitel mit Durchsetzungsmöglichkeiten enthalten sein. Europa müsse bei Handelsabkommen selbst die Regeln setzen.

Plan für die 20er-Jahre

Probleme räumte der Vizekanzler bei der Bestellung der Corona-Impfstoffe durch die EU ein. Man habe sich bewusst dafür entschieden, die Impfstoffe gemeinsam zu beschaffen und fair unter den Mitgliedstaaten zu verteilen. Dies sei richtig gewesen. Jedoch: „Zu dieser Entscheidung gehört aber auch, dass wir kritisch eingestehen müssen: Es hätte wohl mehr bestellt werden müssen.“

Scholz forderte, dass Europa jetzt mit Nachdruck auf möglichst schnelle Lieferungen von Impfstoff bestehen müsse. „Wir müssen die Produktionskapazitäten für die Impfstoffe in Europa ausweiten, sehr rasch, mit allen Möglichkeiten, die wir dafür haben. Das Impfen muss jetzt oberste Priorität haben.“ Nur über das Impfen finde man einen Weg aus der Pandemie, betonte Scholz.

Der Vizekanzler glaubt, dass Europa die Pandemie dank der neuen Impfstoffe in diesem Jahr überwinden werde. Für die Zeit danach brauche Europa „einen Plan für die 20er-Jahre, die eine Zeit der Diskontinuität und Disruption“ werden.

Der Bundesfinanzminister forderte verstärkte Investitionen, etwa in die digitale Infrastruktur und in Technologien für den Klimaschutz. „Sonntagsreden werden nicht genügen.“ Alle Europäer hätten etwas zu verlieren. „Europa wird aus Mut gemacht.“