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FFF: „Gas is over, Siemens Energy“

Vor einem Jahr wurde Siemens wegen der Zulieferung an eine australische Kohlemine zum Feindbild von Fridays for Future. Zur Hauptversammlung wirft die Bewegung Siemens Energy nun erneut Fehlentscheidungen vor.

Die australische Kohlemine Adani wird wohl noch viele Jahre mit dem Namen Siemens verknüpft bleiben. In der Lieferung einer Signalanlage für die Zugstrecke der Mine sahen die Umweltschützer der Fridays for Future Bewegung ein persönliches Vergehen von Siemens-Chef Joe Kaeser. Die Konzernzentrale in München wurde für Wochen zum Zentrum des Protests der Kohlegegner. Dass Kaeser der Aktivistin Luisa Neubauer einen Sitz im Aufsichtsrat von Siemens Energy angeboten haben soll, konnte die aufgeheizte Stimmung damals nicht beruhigen – ganz im Gegenteil.

Siemens-Chef ist Joe Kaeser mittlerweile nicht mehr. Dafür führt er den Aufsichtsrat des Spin-Offs Siemens Energy an, das im September als eigenständiges Unternehmen von Siemens abgespalten wurde. Das Unternehmen soll vor allem mit umweltfreundlichen Stromquellen wie Wind und Wasserstoff wachsen, ist aber gleichzeitig noch stark bei fossilen Energiequellen wie Gas und Kohle engagiert. Viele Investoren sehen das kritisch – und auch Fridays for Future ist nicht zum Friedensschluss mit Kaeser bereit, wie der folgende Meinungsbeitrag zeigt.

Zwölf Monate liegen die Proteste gegen die Beteiligung des Siemens-Konzerns an der Adani-Kohlemine in Australien zurück. Seitdem schwor der Nachfolger Siemens Energy der Kohle jedoch höchstens halbherzig ab. Kaesers Nachfolger, Ex-Linde-Manager Christian Bruch, baut in Indonesien weiter am Kohlekraftwerk Jawa 9 und 10. Zudem will er sich nicht davon abbringen lassen, bestehende Kohlekraftwerke nachzurüsten, um damit den Betrieb auf Jahrzehnte zu ermöglichen.

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Somit beruht auch heute noch die Hälfte des Geschäfts von Siemens Energy auf klimaschädlichen Energieträgern. Während Bruch zumindest öffentlich den Fokus von den unbeliebten Kohleprojekten weglenkt, sind für den Konzern längst die nächsten fossilen Vorhaben in den Mittelpunkt gerückt: Gasinfrastruktur und Flüssiggas-Terminals. Bereits vor dem Börsengang im vergangenen Herbst machte Bruch deshalb deutlich: „Wir haben keine Planung, aus Erdgas auszusteigen“.

Damit steht Siemens Energy exemplarisch für große Teile der deutschen Wirtschaft, die gerade drohen, ihre Investitionen von dem einen fossilen Energieträger direkt auf den nächsten umzuschichten. Damit wird die globale Energiewende nicht nur verpasst, sondern weiter blockiert.

Welche Rolle Gas im Geschäft von Siemens Energy spielt, zeigt das 750 Millionen Euro teure Gaskraftwerk in Israel, das nach der Absage der Regierung Netanjahus wohl nicht mehr fertig gebaut werden kann. Umso wichtiger werden für den Konzern deshalb die Lieferungen nach Mosambik. Hier sollen Kompressoren und Turbinen des Konzerns mitten im Kriegsgebiet zwischen dem sogenannten Islamischen Staats und der Regierung eine der größten Gasreserven der Welt erschließen. Das Erdgas, das vor der Küste gewonnen und in Flüssiggas umgewandelt wird, soll über drei LNG-Terminals den asiatischen Markt beliefern. Kostenpunkt des Projekts bislang: rund 60 Milliarden US-Dollar. Jetzt die nächste Region damit an fossile Energieträger binden und den Ausbau erneuerbarer Energien verhindern? Um die weltweite Entwicklung zu einer klimagerechten und dekarbonisierten Wirtschaft voranzutreiben, ist das die denkbar schlechteste Strategie.

Gemeinsam mit den Chefs der Energiekonzerne Uniper und Evonik präsentiert Bruch den fossilen Energieträger seit Monaten nicht nur als klimafreundliche Alternative zur Kohle, sondern als Brücke hin zu Erneuerbaren. Brückentechnologie? Als solche wurden in der Vergangenheit schon Atomkraftwerke, Steinkohlekraftwerke und ja, sogar Braunkohlekraftwerke angepriesen. Gestimmt hat das noch nie. Berücksichtigt man die gesamten Emissionen, die in der Herstellung und im Transport von Gas anfallen, zeigt sich: Es stimmt auch heute nicht. Wegen der hohen Klimawirkung von Methan heizen Gasprojekte die Klimakrise häufig ähnlich stark an wie Kohleprojekte.

Die massiven Investitionen in den fossilen Energieträger Gas werden außerdem zum zunehmenden Finanzrisiko für Siemens Energy – und damit auch für die Anleger und Anlegerinnen. Die durchschnittliche Lebensdauer von Gasinfrastruktur beträgt rund 80 Jahre; alleine um nach den immensen Startkosten rentabel zu wirtschaften, müssen Kraftwerke Jahrzehnte in Betrieb sein. Das hat inzwischen sogar die neue US-Regierung erkannt und bezeichnet neue Gasvorhaben als „stranded assets“. Denn um die globale Erhitzung unterhalb der kritischen 1,5-Grad-Grenze zu halten, muss der Gasverbrauch laut den führenden Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern des IPCC weltweit sofort fallen. Am Ende heißt das: Entweder erhalten wir den Großteil unserer Lebensgrundlagen, indem wir vor der Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden, oder neue fossile Projekte laufen lange genug, damit sich die heutigen Investitionen auszahlen. Beides zusammen funktioniert nicht mehr.

Zur Hauptversammlung von Siemens Energy müssen sich Bruch, der restliche Vorstand und der Aufsichtsrat entscheiden, ob sie mit Gas auf die nächste fossile Fehlinvestition setzen. Während die weltweiten Energiesysteme immer schneller auf klimafreundliche Technologien umgebaut werden, muss der Konzern seinen Mitarbeitern und Anlegerinnen gegenüber ehrlich werden und sich von Verpflichtungen im Gasbereich verabschieden, die sie für Jahrzehnte an fossile Energien binden. Ansonsten wird das Unternehmen schon bald überholt – denn um es mit den Worten des Europäische Bankenchefs, Werner Hoyer, zu sagen: „Gas is over“.

Helena Marschall ist 18 Jahre alt und studiert VWL und Politik in Lüneburg. Seit Ende 2018 organisiert sie bei Fridays for Future Demonstrationen und Kampagnen. Im letzten Jahr hielt sie stellvertretend für die Bewegung die Rede auf der Aktionärsversammlung des Siemens Konzerns.

Nick Heubeck ist 22 Jahre alt und studiert Kommunikation und Politik in Bamberg. Bei Fridays for Future ist er für die politische Strategie und die digitale Kommunikation mitverantwortlich. Ende 2019 initiierte er die deutschlandweite Kampagne von Fridays for Future gegen die Beteiligung von Siemens an der australischen Adani-Kohlemine.

Mehr zum Thema: Siemens Energy will 7800 Arbeitsplätze streichen. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Robert Kensbock erklärt im Interview, welche Maßnahmen er nun plant und warum Atomkraft ein Wachstumsbereich sein könnte.