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Fehler, Fallstricke, Unwägbarkeiten: Warum die Impf-Strategie gegen Corona so komplex ist

Der Lockdown kostet die Volkswirtschaft Milliarden Euro – pro Woche. Schnelles Impfen soll Abhilfe schaffen. Doch in diesem Prozess hat die Politik Fehler gemacht und muss nachsteuern.

Der Gesundheitsminister hat in den vergangenen Tagen den Eindruck gewonnen, dass es einigen Erklärungsbedarf in Sachen Corona-Impfungen gibt. Jens Spahn musste viel Kritik einstecken für die Impfstrategie der Bundesregierung, die er maßgeblich verantwortet.

„Ich verstehe das Bedürfnis nach einer Beschleunigung der Impfkampagne“, sagte der CDU-Politiker, als er sich am Mittwoch in seinem Ministerium an der Berliner Friedrichstraße vor die Kameras stellte. „Aber dieser Wunsch nach Schutz und neuer Normalität sollte uns nicht den Blick auf die Fakten versperren und auf das, was in kurzer Zeit möglich ist.“

Genau zum richtigen Zeitpunkt kam für Spahn an diesem Mittwoch die Nachricht, dass die Europäische Arzneimittelbehörde Ema nun auch dem Corona-Impfstoff des US-Biotechkonzerns Moderna die bedingte Zulassung erteilt hat.

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Nach dem Mittel von Biontech und Pfizer ist es der zweite in der EU zugelassene Covid-19-Impfstoff. Das erweckt zumindest den Eindruck, dass es demnächst schneller voran gehen könnte mit den Impfungen in Deutschland.

Deutschland soll von dem über die EU bestellten Moderna-Vakzin insgesamt 50 Millionen Dosen erhalten, teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Die aktuellen Engpässe beim Impfstoff wird die Zulassung kurzfristig trotzdem nicht beheben. Spahn rechnet im ersten Quartal nur mit knapp zwei Millionen Dosen des Moderna-Mittels. Erste Lieferungen könnten nächste Woche eintreffen.

Trotz allem: Spahn wertet den holprigen Impfstart im Großen und Ganzen als Erfolg. Es gebe kein „Mengenproblem“, entgegnet er den Kritikern. Deutschland habe sich über die Europäische Union und mit nationalen Vereinbarungen mehr als genug Impfstoffe von einer Reihe von Herstellern gesichert.

Entscheidend ist aber, wann die bestellten Dosen tatsächlich für Impfungen bereitstehen. Daher sind viele der unbequemen Fragen berechtigt: Hätte die Einkaufspolitik in der EU besser zugeschnitten werden müssen? Wie können die Prozesse bei der Impforganisation beschleunigt werden? Und warum hat die Regierung sich nicht viel früher um den Aufbau von Produktionskapazitäten in Deutschland gekümmert?

Die Ökonomie des Corona-Impfstoffes ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Einem noch äußerst knappen Gut steht die größte nur denkbare Nachfrage gegenüber: 7,85 Milliarden Menschen, die Bevölkerung der ganzen Welt. Auch in Deutschland stehen Angebot und Nachfrage in einem krassen Missverhältnis.

Seit dem 27. Dezember sind laut Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit rund 370.000 Menschen gegen Covid-19 geimpft worden, die Priorität liegt auf Bewohnern und Personal in Pflegeheimen. Das sind etwas mehr als 0,4 Prozent der Bevölkerung. Weit vorn im internationalen Vergleich liegt Israel, wo bereits etwa 15 Prozent der Menschen geimpft sind.

Auch die USA und Großbritannien liegen vor der Bundesrepublik: Beide Länder hatten ihre Impfkampagnen nach einer Notfallzulassung des Biontech-Präparats aber auch früher gestartet. In Deutschland sollen im Sommer alle Menschen ein Impfangebot bekommen. Nach der Kritik an der Impfstrategie versucht die Bundesregierung aber, die heimischen Produktionskapazitäten kurzfristig zu erhöhen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beriet an diesem Mittwoch mit Spahn, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) über Möglichkeiten, die Impfstoffproduktion auszuweiten. Von einem „Impfgipfel“ will Spahn nicht sprechen. Es sei normal, dass sich die zuständigen Ressortchefs mit der Kanzlerin abstimmen.

Konkrete Ergebnisse hatte der Minister dann auch nicht zu berichten. Man habe sich ausgetauscht, wie man „Logistik, Abfüllung und Produktion in Deutschland hochskalieren“ könne. Dazu sollten Gespräche mit in Deutschland ansässigen Pharmafirmen geführt werden.

Große Hoffnungen setzt die Bundesregierung auf das neue Werk von Biontech und Pfizer im hessischen Marburg, das voraussichtlich im Februar den Betrieb aufnimmt. Die zusätzlichen Impfdosen aus dieser Produktionsanlage seien hauptsächlich für den europäischen Markt bestimmt, sagte Spahn.

Die Frage ist allerdings, ob sich die Produktion beliebig schnell ausweiten lässt. Vor der Pandemie wurden jährlich insgesamt aber überhaupt nur fünf Milliarden Impfdosen hergestellt, davon allein 1,5 Milliarden für die jährliche Grippeschutzimpfung.

Auch dank staatlichen Fördergeldern und Abnahmegarantien gelang es der pharmazeutischen Forschung, in Rekordzeit vielversprechende Impfstoffkandidaten zu entwickeln. Nicht weniger kompliziert ist der Schritt, das zugelassene Vakzin zu einem Massenprodukt zu machen.

Beispiel Biontech und Pfizer: Um den Impfstoff-Output weiter hochzufahren, müssen die beiden Unternehmen die Kapazitäten in der gesamten Produktionskette ausbauen. Eine der Herausforderungen besteht darin, dass eine großindustrielle Fertigung von mRNA-Wirkstoffen bisher noch gar nicht etabliert war.

Die Wirkstoffklasse wurde bislang nur an einigen Tausend Probanden in klinischen Studien getestet und war vor der Zulassung des Biontech-Impfstoffs noch mit keinem einzigen zugelassenen Medikament im Pharmamarkt vertreten.

Die in der mRNA-Technik engagierten Biotechfirmen wie Biontech, Moderna oder Curevac waren daher darauf angewiesen, eigene Produktionsverfahren zu entwickeln und ein passendes Netzwerk an Zulieferern und Partnern aufzubauen.

Die Impfstoffhersteller stehen zudem vor einem Dilemma: Sie wissen, dass ihnen der Impfstoff jetzt aus den Händen gerissen wird. Sie wissen aber auch, dass die Nachfrage in kurzer Zeit einbrechen kann, wenn alle Menschen geimpft sind oder eine Herdenimmunität gegen das Virus aufgebaut ist.

Wie lange der Impfschutz anhält und welchen Markt es möglicherweise für Auffrischungsimpfungen geben wird, ist unklar. Jetzt in Windeseile Fabriken zur Massenherstellung des Impfstoffes hochzuziehen, ist mit betriebswirtschaftlichen Risiken verbunden.

US-Ökonomen – darunter auch ein Nobelpreisträger – haben bereits vor Monaten skizziert, was die Politik unter diesen ungewöhnlichen Rahmenbedingungen tun muss, um dennoch möglichst schnell einen Impfstoff zu entwickeln und zu produzieren. So müsse die Politik zunächst die Erforschung des Impfstoffs fördern und den Unternehmen schon in dieser Phase eine wirtschaftliche Perspektive bieten.

Die Ökonomen bezeichneten dies als „Pull-Faktor“. Die Politik hat sich an diesen Rat gehalten. Sie hat den Pharmakonzernen zugesagt, eine bedeutende Menge an Impfstoffen zu einem angemessenen Preis abzunehmen. So hat allein die EU mit einer Einwohnerzahl von 450 Millionen zwei Milliarden Dosen bei den verschiedenen Herstellern bestellt.

Nach der erfolgreichen Entwicklung eines Impfstoffs folgt laut Ökonomen dann das zweite Element, der „Push-Faktor“: Der Impfstoff muss schnell in großen Mengen produziert werden können. Dies könnten die Unternehmen nicht alleine schaffen, sie seien deshalb auf staatliche Hilfe angewiesen.

Genau an diesem Punkt hat die Politik laut DIW-Chef Marcel Fratzscher jedoch nicht genug getan und sich zu sehr auf die Unternehmen verlassen, die Kapazitäten schnell auszubauen. Dieser Fehler werde nun viele Menschenleben kosten und den Wirtschaftsaufschwung hinauszögern.

Auch Ifo-Chef Clemens Fuest sagt: „Klar ist, dass bei den Impfstoffen Markmechanismen allein nicht zum richtigen Ergebnis führen.“ Es wäre richtig gewesen, den Aufbau der Produktionskapazitäten staatlich zu fördern und die Firmen gegen die damit verbundenen Risiken abzusichern.“

Wöchentliche Kosten in Milliardenhöhe

Die harten Corona-Maßnahmen kosten die deutsche Volkswirtschaft mehrere Milliarden Euro die Woche. Selbst wenn die Unterstützung für Impfmittel-Hersteller in die Milliardenhöhe ginge, würde sich das schnell rechnen. Bertram Häussler, Chef der Gesundheitsforschungsinstitut Iges, hält von einer staatlichen Förderung etwa für Biontech und Pfizer für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten wenig.

Der Staat könne aber helfen, indem er bei der Umrüstung von Produktionsstätten keine Steine in den Weg lege und Genehmigungen so schnell wie möglich erteile. „Biontech und Pfizer produzieren bereits zusammen mit dem Lohnhersteller Rentschler, und es gäbe noch mehr Lohnhersteller, die jetzt kurzfristig ihre Produktionsstätten umbauen könnten.“

Auch Spahn sagte am Mittwoch, bei dem von Biontech übernommenen Werk in Marburg gehe es vor allem darum, die „Genehmigungsprozesse“ zügig abzuschließen. Die Fachkräfte seien schon vor Ort, der Umrüstungsbedarf der Produktionsanlagen überschaubar. Nach ähnlich geeigneten Produktionsstätten lässt Spahn nun bundesweit fahnden.

Das sei „deutlich effektiver, als Zwangslizenzen zu verteilen“ oder in der Impfstoffherstellung unerfahrene Firmen zu beauftragen. Auch hier stellt sich allerdings eine Frage: Warum hat die Regierung nicht im vergangenen Sommer mit der Suche begonnen?