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Für Gerry Weber beginnt das Endspiel

Gerry Weber muss Insolvenz anmelden. Der Absturz ist ein Beispiel eines misslungenen Generationswechsels – und für das Versagen von Kontrollgremien.

Die Enttäuschung ist groß in der Firmenzentrale von Gerry Weber. In dem hellen Zweckbau aus den 90er-Jahren im kleinen Städtchen Halle in Westfalen hatte Vorstandschef Johannes Ehling bis zuletzt um ein Sanierungskonzept gerungen. Er wollte und musste auf Druck der Banken bis Ende Januar einen solchen Plan aushandeln, um den Modekonzern vor dem Aus zu retten.

Doch Ehling ist gescheitert. Am Freitagmittag teilte Gerry Weber in einer Pflicht-Mitteilung nüchtern mit: „Die Gerry Weber International AG hat heute beim zuständigen Amtsgericht Bielefeld die Anordnung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens mit dem Ziel beantragt, das Unternehmen im Zuge der laufenden Restrukturierung zu sanieren.“

Das heißt: Das Unternehmen will sich in Eigenregie unter der Aufsicht des vom Gericht bestellten Sachwalters, dem Sanierungsexperten Stefan Meyer von der renommierten Anwaltskanzlei Pluta, sanieren. Das Management um Johannes Ehling und Restrukturierungsvorstand Florian Frank bleibt an Bord.

Vorstandschef Ehling begründete das Scheitern in einer Telefonkonferenz am Freitagnachmittag mit der „zu geringen Zeit für die komplizierten Sanierungs-Verhandlungen“. Die Finanzierungsstruktur des Modekonzerns sei wegen der vielen beteiligten Banken – darunter viele Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen – zu komplex gewesen, um innerhalb der Frist zu einer Lösung zu kommen.

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Das Scheitern lag offensichtlich nicht an den beiden Großaktionären, den Familien Weber und Hardieck, die mit rund 51 Prozent die Mehrheit halten. „Die Großaktionäre haben sich bis zum Schluss sehr konzeptiv verhalten“, sagte Restrukturierungsvorstand Frank. Die Arbeitnehmer waren dem Management bereits entgegengekommen und hatten am vergangenen Wochenende ein Eckpunktepapier zum Sanierungstarifvertrag genehmigt.

Der Absturz des Modekonzerns aus dem westfälischen Städtchen Halle, nordwestlich von Bielefeld, ist ein Beispiel für einen misslungenen Generationswechsel eines Familienunternehmens.

Er wirft aber auch ein schlechtes Licht auf Kontrollgremien und Banken, die zu lange zugeschaut und nicht auf die sich abzeichnenden Probleme reagiert haben. Und neben den hausgemachten Schwierigkeiten muss das Management noch den großen Strukturwandel in der Modebranche bewältigen.

Der Aufstieg und Fall von Gerry Weber ist ein Beispiel für das Scheitern eines lange Zeit florierenden Familienunternehmens in der zweiten Generation. Die vielen Probleme, die heute sichtbar werden, sind auch dadurch entstanden, dass der Mitgründer und langjährige Vorstandschef Gerhard Weber zu spät Andere an die Macht ließ.

Die extreme Expansionsstrategie rächt sich

Der Firmenpatriarch, der das Unternehmen 1973 mit seinem Partner Udo Hardieck gründete, gab seinen Posten als Vorstandschef erst Ende 2014 ab und zog sich in den Aufsichtsrat zurück. Damals hatte das Unternehmen längst seinen Zenit überschritten.

Im Geschäftsjahr 2013/14 hatte der Modekonzern noch ein operatives Ergebnis von 109 Millionen Euro erzielt. Danach stürzte es im Geschäftsjahr 2015/16 auf 14 Millionen Euro ab. Und für das Geschäftsjahr 2017/18 steht ein Minus von 192 Millionen Euro zu Buche.

Gerhard Webers Sohn Ralf, der ihn 2015 schließlich im Alter von 50 Jahren als Vorstandschef beerben durfte, hatte wenig Chancen, das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Er versuchte zwar gleich, sich gegenüber seinem mächtigen Vater dadurch zu profilieren, dass er die Textilkette Hallhuber kaufte. Außerdem bemühte er sich, mit neuen Zweitmarken neuen Umsatz zu generieren. Schließlich legte er auch mehrere Sanierungsprogramme auf – doch die Kehrtwende kam zu spät.

Zu sehr hatte der Vater das Unternehmen geprägt und auf sich zugeschnitten. Sohn Ralf versuchte immerhin, eine neue Führungskultur zu etablieren. Während der Vater für einen patriarchalisch-autoritären Führungsstil bekannt war und schon mal cholerisch lospolterte, versuchte es der Sohn mit mehr Teamgeist. Zum ersten Interview mit dem Handelsblatt kam er deshalb damals nicht allein, sondern mit seinen beiden Vorstandskollegen. „Wir liegen alle auf einer Wellenlänge“, freute er sich über die neue Harmonie.

Der eher zurückhaltende Sohn des Firmengründers blühte im Gespräch regelrecht auf, wenn er von Tennisstars wie Roger Federer schwärmte, die das berühmte Rasenturnier Gerry Weber Open in Halle besuchten – die Veranstaltung, die Ralf Weber als Turnierdirektor groß gemacht hat.

Er schien sich in seiner Rolle als Vorstandschef nicht so richtig wohlzufühlen. Zu groß war der Schatten des Vaters. Der Senior hatte zusammen mit seinem Partner Udo Hardieck die Hatex KG gegründet, einen Hersteller von Damenhosen. Später ließ er sich den Namen Gerry Weber schützen, baute eine komplette Damenkollektion auf und führte das Unternehmen 1989 an die Börse.

Er baute das Geschäft immer weiter aus, nahm weitere Marken wie Samoon und Taifun hinzu. Vor allem begann er, seine Kleidung nicht mehr nur über Handelspartner zu verkaufen, sondern auch über eigene zum Teil große Läden.

Die extreme Expansionsstrategie rächt sich heute, wo das Geschäft einbricht. „Das Unternehmen hat den Vertrieb viel zu stark ausgebaut“, kritisiert Beate Hölters, Handelsexpertin von der Unternehmensberatung Tailorit in Düsseldorf. „Gerry Weber gab es in vielen Städten an jeder Straßenecke.“

Der Senior folgte damit einer Euphorie, welche viele Modekonzerne erfasst hatte. So übertrieben Unternehmen von Esprit über Tom Tailor bis zu Hugo Boss den Ausbau ihrer Filialnetze. Doch nun muss Ehling, der Anfang November Ralf Weber als Vorstandschef ablöste, das Filialnetz radikal ausdünnen.

Von 820 Gerry-Weber-Läden und Verkaufsflächen „werden wir rund 230 schließen müssen, deren Ergebnis meist tiefrot ist“, räumte Ehling kurz vor Weihnachten im Gespräch mit dem Handelsblatt ein. Doch das lässt sich nicht so schnell umsetzen, wie es notwendig wäre. Denn viele Mietverträge laufen noch etliche Jahre. Den vorzeitigen Ausstieg lassen sich die Vermieter teuer bezahlen. Vielleicht ist mancher jetzt, wo der Insolvenzantrag gestellt ist, eher bereit, über eine Senkung der Miete zu verhandeln.

Neue Manager werden sich schwer finden lassen

Sicherlich war es auch ein Fehler, dass zu spät ein Nachfolger für den Senior aufgebaut wurde. „Wir haben seit dem Börsengang 1989 immer wieder in Hauptversammlungen darauf hingewiesen, frühzeitig eine geeignete Nachfolge für Gerhard Weber mit einem funktionierenden Vorstandsteam aufzubauen“, sieht Aktionärsschützerin Jella Benner-Heinacher von der DSW in Düsseldorf Defizite auch beim Aufsichtsrat.

Dort sitzt seit vielen Jahren Ernst F. Schröder, der ehemalige persönlich haftende Gesellschafter der Dr. August Oetker KG, an der Spitze. Beobachter bemängeln eine zu enge Verbindung zwischen dem langjährigen Chef des Kontrollorgans und dem langjährigen Vorstandschef Gerhard Weber. Schröder wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.

Zudem gab es in den vergangenen zwei Jahren einen regelrechten Exodus beim Führungspersonal. Viele Manager haben das Unternehmen verlassen. Übrig geblieben sind seit November lediglich Johannes Ehling, der von der Textilkette Ernsting‘s Family kam, und Restrukturierungsvorstand Florian Frank.

„Es wird schwer sein, neue gute Mitarbeiter und Manager zu finden, um das Unternehmen langfristig auf Kurs zu bringen“, schätzt Tailorit-Beraterin Hölters. Es war schon früher nicht leicht, Topmanager in das Städtchen Halle in die westfälische Provinz zu locken, als es dem Unternehmen noch gut ging. Umso weniger dürften gestandene Manager jetzt bereit sein, zu einem komplexen Sanierungsfall zu wechseln.

Es geht schließlich auch darum, viel Personal abzubauen. Immerhin ist es Ehling nach hartem Ringen gelungen, sich mit den Arbeitnehmervertretern auf Einschnitte zu einigen. „Am vergangenen Wochenende hat die Vollversammlung der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmervertreter dem Eckpunktepapier zum Sanierungstarifvertrag zugestimmt“, berichtet Betriebsratschef Lutz Bormann und ergänzt: „Uns ist es gelungen, auch die nicht tarifgebundenen Parteien an Bord zu holen.“

Die derzeit noch 6.500 Arbeitnehmer verzichten demnach von 2019 bis 2021 auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Außerdem haben sie zugestimmt, ihre Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu reduzieren. Doch das alles stand unter dem Vorbehalt, dass sich das Management mit den Banken einigt. Außerdem wird es nicht ausreichen, um die Personalkosten deutlich zu senken. Zusätzlich will das Management insgesamt rund 900 Stellen in der Firmenzentrale sowie in dem überdimensionierten Filialnetz streichen.

Angesichts der äußerst komplexen und brenzligen Situation freuen sich die Beteiligten selbst über kleine Erfolge. „Wir werden etwas weniger Stellen in der Zentrale abbauen als die ursprünglich geplanten 300“, sagte Betriebsratschef Bormann vor Bekanntwerden des Insolvenzantrags dem Handelsblatt.

Generationswechsel fordert Modefirmen heraus

Gerry Weber ist nicht das einzige Modeunternehmen mit Problemen beim Generationswechsel. Auch Bernd Freier, Gründer von S.Oliver, fällt es schwer, seinen Modekonzern, zu dem auch Liebeskind gehört, in neue Hände zu geben. Bereits zwei Versuche, einen neuen CEO dauerhaft in der Firmenzentrale in Rottendorf bei Würzburg zu installieren, sind gescheitert.

Nun führt Freier wieder selbst die Geschicke seiner Firmengruppe. Auch Willy Bogner, Inhaber der gleichnamigen Münchener Sportmodemarke, hat bereits den zweiten Manager in kurzer Zeit auf den Chefposten gehievt, um sein Lebenswerk zu sichern.

Bei Gerry Weber haben sich nun die beiden Vorstände Ehling und Frank Verstärkung geholt, um das Unternehmen zu retten. So berät ab sofort der erfahrene Sanierungsexperte Christian Gerloff als Generalbevollmächtigter das Duo an der Spitze. Bei einer Telefonkonferenz am Freitagnachmittag machten die drei Herren klar, dass alles bei Gerry Weber auf den Prüfstand kommt: von der Lieferkette bis zum E-Commerce-Geschäft. Überall gebe es noch Spielraum für Verbesserungen.

Experten jedoch haben Zweifel, dass die Veränderungen weit genug gehen. „Gerry Weber muss dringend schrumpfen und das Geschäftsmodell ändern“, fordert etwa Lena-Katharina Gerdes vom Aktienresearch der Commerzbank. „Wir glauben, dass sich der Konzern mit seiner Kernmarke auf lange Sicht ausschließlich auf den Wholesale konzentrieren sollte“ – also den Verkauf über Handelspartner.

Von dieser Radikallösung, dem Abschied von den eigenen Läden, hält Vorstandschef Ehling wenig. „Das ist für mich der falsche Weg“, sagte er dem Handelsblatt vor Kurzem im Interview. „Wir haben ja auch viele profitable Filialen. Und wir brauchen beide Vertriebswege auch in Zukunft, um erfolgreich zu sein“, ist er überzeugt.

Die größte Herausforderung für Ehling wird es sein, die Modemarke und die Kollektion zu verjüngen. Denn sie ist wie viele deutsche Marken in den vergangenen Jahren mit ihren Kunden gealtert. Außerdem hat sich die Handelsstruktur in den vergangenen Jahren massiv geändert.

Billigketten machen Traditionsmarken Druck

Viele Marken in dem Geschäft für klassische Mainstream-Mode wie Basler oder Delmod haben nicht überlebt. Außerdem gerät die Mitte des Modemarktes massiv unter Druck, weil Billigketten wie Primark und internationale Trend-Läden wie Zara ihnen Marktanteile streitig machen.

„Marken in der Mitte des Marktes haben es immer schwerer, sich gegenüber den Segmenten erschwinglicher Luxus und Luxus einerseits sowie den Discount-Filialisten zu behaupten“, beobachtet Achim Berg von McKinsey. Vor allem beim Discount- sowie im Luxussegment sieht er in den nächsten Jahren das größte Wachstum.

So gibt es zwar die Hoffnung, dass Gerry Weber „dem Fachhandel erhalten bleibt“, wie es Daniel Terberger, Chef des größten europäischen Modedienstleisters Katag in Bielefeld, formuliert. Doch es gibt nicht wenige in der Branche, die ihre Zweifel haben, dass die Sanierung dabei hilft, das Unternehmen dauerhaft auf Erfolgskurs zu bringen.

Skeptisch ist auch Gerdes von der Commerzbank. Sie verweist darauf, dass selbst bei der Tochter Hallhuber, die gerne als Erfolgsstory gesehen werde, „im Einzelhandel dieselben Fehler gemacht wurden wie bei Gerry Weber“. Auch Hallhuber betreibe zu viele Filialen.

Vorstandschef Ehling jedoch lässt sich seinen Optimismus nicht nehmen. „Trotz der ersten Enttäuschung, die das eingeleitete Eigenverwaltungsverfahren mit sich bringt, ist vielerorts zu spüren, dass unsere Restrukturierungsmaßnahmen mit dem Performance-Programm bei Kundinnen, Geschäftspartnern und Mitarbeitern ankommen“, findet er. „Dafür werden wir weiter täglich hart arbeiten.“ Das ist aber auch notwendig.