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„Wer soll für all das bezahlen?“

Frankreich braucht weniger, nicht mehr Sozialstaat, sagt der französische Ökonom Gilbert Cette. Warum Macrons Reformen notwendig sind und ob der Präsident damit durchkommt, erklärt er im Gespräch mit Florian Bayer

Gegen die geplante Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron wird heftig protestiert. Ökonom Gilbert Cette hält die Reformen jedoch für notwendig. Foto: dpa
Gegen die geplante Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron wird heftig protestiert. Ökonom Gilbert Cette hält die Reformen jedoch für notwendig. Foto: dpa

Herr Cette, von Ihrem Wohnzimmer aus blicken wir auf die Place de la Bastille, wo diesen Moment einmal mehr demonstriert wird. Verstehen Sie die Streiks, die nun schon viele Wochen andauern?
Der Protest ist typisch französisch: Die Demonstrierenden erwarten sich alles vom Staat, wie es auch die Gelbwesten getan haben. Sie sagen: Meine Pension ist nur 800 Euro pro Monat, ich will mehr – unabhängig davon, wie viel man selbst beigetragen hat. Es ist nicht möglich, ihnen zu sagen: Du bist erst 60, du könntest noch länger arbeiten. Ich glaube, das gibt es in keinem anderen Land.

Warum ist das Verhältnis der Franzosen zum Sozialstaat so einzigartig, wie Sie sagen?
Seit der Französischen Revolution erwarten die Menschen, dass der Staat all ihre Wünsche erfüllt. Das geht aber nicht. Wir haben den größten Sozialstaat aller entwickelten Länder. Viele Leute sagen trotzdem, wir sollen noch mehr ausgeben, noch mehr verteilen, Reiche mehr besteuern. Viel wichtiger wäre soziale Mobilität, sodass Menschen sich spezialisieren und aufsteigen können. Aber so denkt man nicht.

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Macron sagte von Anfang an, er wolle das Pensionssystem reformieren, wurde auch dafür gewählt. Warum jetzt diese Proteste?
Es protestieren die Verlierer der Reform. All jene, die aktuell von Privilegien profitieren – etwa Pension mit Mitte 50 –, die man nie und nimmer auf ganz Frankreich ausweiten könnte. Die Lebenserwartung steigt und steigt, doch das Pensionsalter bleibt gleich. Wer soll für all das bezahlen? Der Staat schießt schon jetzt drei Milliarden pro Jahr allein für die Pensionen der Staatsbahn SNCF zu.

Hat Macron versäumt, den Menschen verständlich zu machen, warum es die Reform braucht?
Die Reform ist komplex, doch man hätte sie definitiv besser erklären können. Auch war es ein Fehler, die Vereinheitlichung der 42 Pensionssysteme und die Finanzierung gleichzeitig anzugehen. Die Gewerkschaften argumentieren jetzt, dass die Umstellung so viel koste, dass deshalb alle länger arbeiten müssen. Das ist falsch. Unser Pensionssystem ist nicht nachhaltig, das ist der wahre Grund.

Vor Macron sind bereits andere Präsidenten an einer großen Pensionsreform gescheitert, zuletzt Jacques Chirac 1995. Wird Macron es schaffen?
Macron ist grundsätzlich der Richtige für die Reform, er hat auch schon den Arbeitsmarkt und das Steuersystem grundlegend erneuert. Das Problem diesmal: Macron hat zwar den Willen zur Reform, aber nicht das Herz. Er brennt zu wenig dafür.
Ich rechne mit einem Kompromiss. Die Reform wird kein voller Erfolg mehr werden, dafür wurden schon zu viele Sonderregelungen, etwa für Soldaten, Polizei, Feuerwehrleute, verabschiedet.

Warum fällt der Regierung einerseits und den Gewerkschaften andererseits ein Kompromiss so schwer?
Das Problem: Keiner schaut auf das Ausland. Das war schon immer so in Frankreich. Alles, was wir machen wollen, haben andere Länder schon vor uns gemacht. Wenn wir den Rückstand nicht einholen, werden wir in zehn Jahren umso mehr darunter leiden.
Und wenn Macrons Politik neoliberal genannt wird, widerspreche ich. Wir sind das Land mit der höchsten Steuerbelastung, in dem der Staat am meisten in der Wirtschaft interveniert. Das muss sich ändern.

In Deutschland sieht man den Neoliberalismus spätestens seit der Hartz-4-Reform kritisch. Der Bereich der „working poor“ hat enorm zugenommen.
Dabei vergisst man aber, dass Deutschland vor 20 Jahren der schwache Mann Europas war. Dank vieler Reformen ist das Land ist nun in einer guten Position. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss von neun Prozent des BIP ist allerdings eine Schwäche.
Die dortige Regierung müsste längst mit einem Ankurbeln der Nachfrage, mit höheren Gehältern und Steuersenkungen reagieren. Deshalb ist Deutschland zwar ein Erfolg, aber kein Musterbeispiel.

Was müsste sich auf europäischer Ebene ändern – muss die EU zur Fiskalunion werden?
Das wäre das endgültige Ziel. In den nächsten 20 Jahren ist das aber nicht realistisch. Vielmehr muss die Europäische Kommission die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, den Brexit gut überwinden. Die großen Antworten müssen aus Deutschland kommen.
Trotz all der Proteste da draußen: Das einzige große Land mit einer starken Regierung ist derzeit Frankreich, die anderen schwächeln. Deutschland nimmt seine globale Verantwortung nicht wahr, übrigens auch nicht in der Verteidigungspolitik. Es ist nicht normal, dass wir 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch den US-amerikanischen nuklearen Schutzschirm brauchen.

Zurück zu Frankreich: Neben Macron erfreut sich aktuell nur Marine Le Pen vieler Stimmen. Was bedeutet das, so kurz vor den Kommunalwahlen?
Es gibt keine großen Parteien in der Mitte, weder links noch rechts. Das ist natürlich nicht Macrons Schuld. Der einzige ernsthafte Gegenpol Macrons ist der (rechtsextreme, Anm.) Front National. Das ist schlecht, denn wichtige politische Debatten werden in dieser Konstellation nicht geführt.

Woran scheitern die Mitteparteien?
Es gibt keine potenziellen Verantwortungsträger in ihren Reihen. Besonders die Linken sind immer nur dagegen, haben aber keine eigenen Ideen. Sie müssen verstehen, in Frankreich braucht es starke Führungsfiguren, jemanden der sagt: Ich kann der nächste Präsident werden. Das ist nicht leicht, denn der französische Präsident hat größere Macht als die meisten Kanzler und Ministerpräsidenten. Mögliche Kandidaten an der Spitze zerfleischen sich gegenseitig, deshalb ist es aktuell schwierig.

Glauben Sie, dass Macron bei der Gemeinderatswahl im März von der Pensionsreform profitieren wird?
Es kommt darauf an, wie es ausgeht. Ich hoffe, dass Macron eine Einigung mit den Gewerkschaften findet. Mit einem besseren Reformmangement hätte es Macron sicher leichter gehabt.