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Wie das EZB-Urteil aus Karlsruhe die Bundesregierung unter Druck setzt

Finanzminister Scholz muss nun EU-Recht, deutsches Recht und die Unabhängigkeit der EZB mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts in Einklang bringen.

Die Europäische Zentralbank (links) bangt um die Unabhängigkeit ihrer Geldpolitik. Foto: dpa
Die Europäische Zentralbank (links) bangt um die Unabhängigkeit ihrer Geldpolitik. Foto: dpa

Fatal, schlimm, gefährlich: Wohl noch nie zuvor in seiner Geschichte hat das Bundesverfassungsgericht so viel Kritik auf sich gezogen wie mit seinem Urteil zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB). EU-Politiker von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis zum EP-Abgeordneten Markus Ferber (CSU) werfen den deutschen Verfassungsrichtern Kompetenzüberschreitung vor.

Die Kommission will ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland prüfen. Ökonomen wie Holger Schmieding von der Bank Berenberg sagen gar, die Richter hätten die „wesentlichen Wirkungskanäle der Geldpolitik“ nicht verstanden.

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In dem Urteil fordern die Karlsruher Richter, dass Bundestag und Bundesregierung auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe durch den EZB-Rat in den nächsten drei Monaten hinwirken müssen. Sonst darf sich die Bundesbank an dem Programm, das die nationalen Notenbanken im Auftrag der EZB ausführen, nicht länger beteiligen.

Kritiker des Urteils befürchten, dass in diesem Fall eine zweite Euro-Krise bis hin zum Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung droht.

Die Bundesregierung spielt zunächst auf Zeit. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte am Mittwoch laut Teilnehmern im Bundestags-Haushaltsausschuss: „Wir haben drei Monate Zeit, diese drei Monate werden wir nutzen, ganz in Ruhe.“ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Montag angeregt, dass eine Erläuterung des Programms durch die EZB helfen würde.

Rein praktisch wäre das kein Problem. In ihren regelmäßigen Anhörungen vor dem Europaparlament haben sich EZB-Chefin Christine Lagarde und ihr Amtsvorgänger Mario Draghi oft dazu geäußert. Auch in den Pressekonferenzen und Reden der Direktoriumsmitglieder ist dies ständig Thema.

Furcht vor einer Kettenreaktion

Viele in der EZB wollen aber unbedingt vermeiden, einem nationalen Gericht ein Mitspracherecht einzuräumen. Die EZB fürchtet um die Unabhängigkeit ihrer Geldpolitik, wenn sie der Aufforderung einer nationalen Regierung nachkäme. Auch andere nationale Gerichte könnten Karlsruhe folgen. Zum Beispiel könnte sich womöglich das oberste italienische Gericht einmischen, wenn die EZB dereinst die Zinsen anheben wollte.

Die EZB beharrt deshalb darauf, dass für sie ausschließlich der Europäische Gerichtshof zuständig ist, der die Käufe im Jahr 2018 für rechtmäßig erklärt hat.

In der EZB wünschen sich viele, dass die Bundesbank einen Weg für den Umgang mit dem Urteil findet. Der langjährige EZB-Vizechef Vítor Constâncio forderte jüngst im Handelsblatt-Interview, dass die EZB die Bundesbank anweisen solle, die erforderlichen Dokumente an das Verfassungsgericht weiterzuleiten.

Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, hält dies ebenfalls für den besten Weg, das Urteil umzusetzen. „Der EZB-Rat hat ja im Vorfeld des Programms sehr wohl auch die wirtschaftlichen Nebenwirkungen abgewogen“, sagte Feld dem Handelsblatt.

Die EZB könnte gemeinsam mit der Bundesbank ein zusammenfassendes Dokument erstellen, das dann die Bundesbank dem Verfassungsgericht übermitteln könnte. „Die EZB selbst müsste so offiziell nicht auf das Urteil reagieren.“

In diese Richtung denkt offenbar auch Scholz. „Wir werden keine Briefe schreiben, vielleicht kommt dann etwas von außen, was vom Himmel fällt, und dann schauen wir, was passiert“, zitieren ihn Haushälter. Das von Karlsruhe verlangte Dokument, so interpretieren die Haushälter Scholz, könnte plötzlich im Internet zu finden sein. Irgendwo, sodass sich auch die unabhängige Bundesbank nicht aufgefordert sehen müsste.

Die Voraussetzung dafür wäre, dass die Emotionen über das Urteil abkühlen. Zuletzt hatte Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und Bewerber um die CDU-Kanzlerkandidatur, das Urteil „fatal“ genannt. Er sieht es als Steilvorlage für autoritäre EU-Regierungen, etwa in Polen, EuGH-Urteile zu missachten.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz, der sich ebenfalls um die CDU-Kanzlerkandidatur bewirbt, wies dagegen die Auffassung der EU-Kommission als falsch zurück, dass nationale Gerichte in Europa gar keine Entscheidungsbefugnis hätten. Feld sieht in dem Urteil auch Vorteile für Anleiheprogramme der EZB: Es werfe der Notenbank keine verbotene monetäre Staatsfinanzierung vor, bestimme aber Grenzen.

„Die EZB muss diese Grenzen übers Jahr aggregiert auch beim PEPP-Anleihekaufprogramm für die Coronakrise beachten. Sonst geht der Dauerstreit in Karlsruhe in die nächste Runde“, sagte Feld. Am 25. Mai ist nun zunächst eine öffentliche Anhörung im Bundestags-Europaausschuss geplant; mit neun Sachverständigen, darunter der Bundesbank-Abteilungsleiter Recht, Andreas Guericke.

„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Auftrag an das Parlament, sich mit dem Mandat der EZB neu zu befassen“, sagte Christian Dürr (FDP) dem Handelsblatt. Der Bundestag müsse sich die Frage stellen, unter welchen Bedingungen die EZB Anleihekäufe tätigen darf. Es gehe nicht darum, die Unabhängigkeit der EZB infrage zu stellen. Die FDP strebe gemeinsam mit anderen Fraktionen an, dafür einen Unterausschuss einzusetzen.

Mehr: Merkel sieht im EZB-Urteil eine Chance für eine größere Integration der Euro-Zone.