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Expertin rechnet mit fünf Milliarden Euro Verlust, weil Deutschland sein Gas teuer einkaufte — am Ende könnten Verbraucher die Rechnung zahlen müssen

Die Gasspeicher wie hier in Rehden sind gut gefüllt – allerdings ist das Gas darin zu teuer. - Copyright: Picture Alliance
Die Gasspeicher wie hier in Rehden sind gut gefüllt – allerdings ist das Gas darin zu teuer. - Copyright: Picture Alliance

Im Juni 2022 hat Russland zum ersten Mal seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs den Gashahn zugedreht. Schon zu diesem Zeitpunkt war absehbar, dass Deutschland möglicherweise den Winter ohne russisches Gas auskommen muss. Damit die Menschen in Deutschland nicht frieren müssen und die Wirtschaft nicht zum Stillstand kommt, hat die Bundesregierung einen Notfallplan entworfen. Der sah vor, dass Deutschland um jeden Preis die Gasspeicher füllen wird – koste es, was es wolle.

Der Plan ist in dieser Hinsicht aufgegangen. Bereits im August konnte die Bundesnetzagentur vermelden, dass die Gasspeicher zu über 90 Prozent gefüllt seien. Über den Winter wuchsen die Reserven sogar noch weiter an. Ein Gasmangel in diesem Winter ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erwarten. Das liegt zum einen an Einsparungen der Industrie und privaten Haushalte, zum anderen an den milden Witterungen.

Verlust von fünf Milliarden Euro

Aktuell sind die Gasspeicher immer noch zu knapp 90 Prozent gefüllt. Vieles von dem eingelagerten Gas wurde zu solch hohen Preisen eingekauft, dass man, verkaufte man es aktuell, nicht kostenneutral würde. Es entstünde ein rechnerischer Verlust. Beauftragt mit der Befüllung der ehemaligen Gazptrom-Gasspeicher wurde das Trading Hub Europe (THE). Das kaufte im Auftrag der Regierung am Spotmarkt dann Gas und speicherte es ein. Auch als die Preise stark gestiegen sind.

Natasha Fielding ist Head of Gas Pricing beim Preisinformations-Dienst Argus Media und hat sich angeschaut, wie viel Gas das THE eingekauft hat und vor allem wie viel dafür gezahlt wurde. Für 50 Terawattstunden Gas habe das THE zwischen Juni und Oktober bei den damaligen Preisen rund 7,8 Milliarden Euro ausgegeben. Nur 146 Millionen Euro flossen in den Monaten danach wieder in die Kasse.

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Doch der Gaspreis ist in den vergangenen Monaten stark gesunken, was bedeutet, dass das Gas jetzt schlicht weniger wert ist. Deutschland kann das Gas nicht für den gleichen Preis wieder verkaufen, wodurch ein bilanzieller Verlust entsteht. "Insgesamt beträgt der Verlust bei dem derzeitigen Gaspreis fünf Milliarden Euro", sagt Fielding zu Business Insider.

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, verteidigte zuletzt auf dem "Handelsblatt"-Energiegipfel die Beschaffung von Gas zu solch hohen Preisen. Keiner sei auf so eine Krise vorbereitet gewesen. "Es gerät leicht in Vergessenheit, dass wir die Entscheidung unter hohem Zeitdruck und in einer Situation getroffen haben, in welcher der Markt unter einer extremen Unsicherheit gelitten hat", sagte er. Trotzdem hat Müller angekündigt, dass Gutachter die Einkaufspolitik des THE überprüfen werden.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich inzwischen zu möglichen Verlusten. Bilanziell sei es ein Verlust, aber gesellschaftlich sei es ein Gewinn, sagte er im Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Stellen Sie sich einmal vor, es wäre umgekehrt. Wir hätten aus einer falschen Sparsamkeit die Speicher jetzt zu einem Drittel voll, wir hätten also nicht eingekauft mit THE. Was wäre jetzt in der Wirtschaft los? Was wäre an den Börsen los? Wahrscheinlich würde hier niemand so entspannt über die wirtschaftliche Situation reden. Das ist eine staatliche Vorleistung, die das Land sicherer und stabiler macht."

"Es war eine große Wette"

"Es war eine große Wette, dass das Gas bis November nicht 'gehedged' wurde", erklärt Fielding. 'Hedgen' bedeutet in diesem konkreten Fall, dass der deutsche Staat Gas zu extrem hohen Preisen gekauft, ohne einen Verkaufspreis für das Gas festzulegen. "Das Gas sollte um jeden Preis eingelagert werden, um die Gasspeicher zu füllen und sicher durch den Winter zu kommen", sagt Fielding.

Sie erklärt ebenfalls, dass die Alternative möglicherweise viel dramatischer gewesen wäre, auch wenn jetzt ein großer finanzieller Schaden entstanden sei. "Das THE hatte damit gerechnet, dass sie das Gas schon in diesem Winter wieder verkaufen und einspeisen können."

Gas-Umlage sorgt dafür, dass Gaskunden zahlen müssen

Weil Deutschland zu viel Gas zu hohen Preisen eingekauft hat, könnte es zu einer Sondersituation kommen. Am Ende werden nämlich die Verbraucher Gaspreise zahlen, die über dem Marktpreis liegen. "Die Kosten trägt der deutsche Gasverbraucher über die Gas-Umlage", so Fielding. Die Gas-Umlage hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, um Gasimporteure wie Uniper vor der Insolvenz zu schützen. Gaslieferanten zahlen die Gas-Umlage an Gasimporteure, reichen die Kosten aber an ihre Kunden weiter.

Und es gibt noch ein weiteres Problem. Würde Deutschland jetzt das Gas am Markt verkaufen, könnte der Gaspreis weiter sinken durch ein dadurch erzeugtes höheres Angebot an Gas, und der Verlust damit noch größer werden. Laut Fielding plant man jetzt das Gas vorerst eingelagert zu lassen für den nächsten Winter. Sollten die Gaspreise dann wieder steigen, könnte man den Verlust verringern. Doch auch daran gibt es Kritik. Denn der Staat würde dadurch eine essenzielle Rolle als Verkäufer am Gasmarkt einnehmen. Solch einen großen Einfluss eines Staates auf den Gasmarkt sehen Experten äußerst kritisch.