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Experten für Künstliche Intelligenz sind selten – und heiß begehrt

Von der Bahn bis zur Unternehmensberatung: Immer mehr Unternehmen setzen auf Algorithmen. Doch sie eint ein Problem: Das Personal ist knapp.

Wenn ein Sturm übers Land peitscht, bleiben viele Züge aus Sicherheitsgründen an den Bahnhöfen und in den Depots stehen. Die Deutsche Bahn braucht oft mehrere Stunden, um umgestürzte Bäume zu entdecken und Trupps mit Motorsägen loszuschicken – vorher geht es nicht weiter.

Damit will sich Sabina Jeschke aber nicht zufriedengeben: „Warum sind in den Schienen keine Sensoren?“, fragt die Managerin, die im Vorstand der Deutschen Bahn das Ressort Digitalisierung und Technik verantwortet.

Jeschke, die zuvor an der RWTH Aachen Professorin für Informatik im Maschinenbau war, will eine Infrastruktur schaffen, die selbst Probleme meldet und automatisch ein Notfallteam zum Einsatzort lotst. Künstliche Intelligenz (KI), die Daten auswertet und Entscheidungen trifft, soll solche Entscheidungsketten möglich machen. Diese Technologie sei nicht nur etwas für Visionäre, betont Jeschke – „es ist eine Antwort auf heutige Probleme“.

Der Staatskonzern steht für eine Entwicklung, die die Wirtschaft verändern wird: Immer mehr Unternehmen nutzen Algorithmen, um effizienter zu arbeiten, bessere Entscheidungen zu treffen oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Allerdings tun sie sich schwer, Spezialisten zu finden, wie am Donnerstag auf dem Handelsblatt KI Summit in München immer wieder zu hören war: Das Personal ist begehrt und selten.

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Der Hype kommt nicht von ungefähr. Ökonomen sehen Künstliche Intelligenz als Querschnittstechnologie – sie könne in den meisten Sektoren die Produktivität deutlich steigern, sagt der Innovationsforscher Dietmar Harhoff, der das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München leitet. Google mag bei der Zukunftstechnologie führend sein, relevant ist sie auch für Industriebetriebe oder Logistikanbieter.

Nach Einschätzung der Unternehmensberatung McKinsey hat Künstliche Intelligenz das Potenzial, die Wirtschaftsleistung bis 2030 um zusätzlich ein Prozent pro Jahr zu steigern. Allein in Deutschland beträgt das potenzielle Plus 400 Milliarden Euro. Von einem größeren Effekt habe er in seinen 30 Jahren als Innovationsforscher noch nicht gehört, so Harhoff. So mancher Forscher vergleicht den Effekt gar mit der Dampfmaschine.

In der Wirtschaft hat sich diese Erkenntnis längst durchgesetzt. Nach einer Umfrage des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Gartner nutzen 37 Prozent der großen Unternehmen weltweit Künstliche Intelligenz, viermal so viele wie 2015. KI habe sich zu einer reifen Technologie entwickelt, meint Gartner-Analyst Chris Howard. Daher seien Unternehmen bereit, sie einzusetzen. „KI ist ein integraler Bestandteil jeder Digitalstrategie geworden“, bilanziert er.

Zum Beispiel bei Wacker Chemie. Der Konzern aus München nahm sich 2017 vor, innerhalb von zehn Jahren zu einem „Digital Leader“ zu werden – mit der Vernetzung von ‧Maschinen, Cloud-Computing und eben Künstlicher Intelligenz. Die ermögliche „wirtschaftliche Erfolge, die „einen Beitrag für die Zukunftssicherung leisten“, so IT-Chef Dirk Ramhorst bei der Handelsblatt-Tagung.

Die Voraussetzungen seien gut: „Die Prozessindustrie ist sehr datenreich“, erklärt IT-Spezialist Ramhorst: Die Unternehmen, die beispielsweise Rohstoffe verarbeiten, sammelten bereits Informationen jeder Art, ob bei der Erforschung neuer Stoffe oder der Steuerung der Produktion. „Es geht aber darum, sich diese Ressource zu erschließen und sie zu veredeln.“

Als Ramhorst antrat, entwickelte er zunächst eine Datenstrategie – und baute etwa eine Plattform für die Informationen. Dann führte er Technologien zur Auswertung ein – etwa um die Eigenschaften neuer Chemikalien mit früheren Forschungsergebnissen abzugleichen.

„Daten sind das neue Öl“, wiederholt Ramhorst eine bekannte Metapher. „Künstliche Intelligenz ist eine Veredelungstechnologie.“ Und das Endprodukt sei – wie in einer Raffinerie – abhängig vom Rohstoff, auf dem es basiere.

Der KI Summit zeigt: Derartige Beispiele gibt es in nahezu allen Branchen. Die Unternehmensberatung Capgemini etwa half einem Kreuzfahrtanbieter, den Umgang mit den Kunden zu verbessern. Etwa mit einer Gesichtserkennung beim Einchecken: „Sie kommen an, Sie werden erkannt – alles ist erledigt“, fasste Capgemini-Experte Stéphane Girard das Prinzip zusammen.

Andere Firmen setzen Chatbots für den Kundenservice oder die Mustererkennung für die vorausschauende Wartung ein. Was als Künstliche Intelligenz zusammengefasst wird, ist eigentlich ein großer Werkzeugkasten.

Allerdings braucht es qualifiziertes Personal, um die Daten auswerten zu können. „Das ist eines der Schlüsselthemen, wenn wir KI erfolgreich implementieren wollen“, sagt Alfons Riek, Manager beim Automatisierungsspezialisten Festo. „Bildung, Bildung, Bildung – wir müssen da unglaublich viel tun.“ Schließlich benötige eine Firma nicht nur „Nerds“, die die Technologie selbst entwickeln, sondern auch Mitarbeiter, die diese anwenden könnten.

Das Familienunternehmen aus Esslingen, das für intelligente Automatisierungslösungen bekannt ist, hat eine eigene Tochter für die Aus- und Weiterbildung, um seine Mitarbeiter auf den Stand der Technik zu bringen. Zudem pflegt es eine Übersicht über alle, die sich mit der Auswertung von Daten auskennen, und vernetzt diese untereinander.

Andere Firmen holen Dienstleister wie Galvanize ins Haus, um die Belegschaft weiterzubilden. Der Anbieter aus Denver in den USA verschafft zum einen dem Management einen Überblick, was KI für die Strategie bedeutet, und bildet zum anderen Mitarbeiter zu „Data Scientists“ weiter – bei Bedarf im laufenden Betrieb.

„Es geht um die Anwendbarkeit von KI“, sagt Galvanize-Manager Ryan Nadeau. In vielen Fällen sei es möglich, konkrete Probleme zu lösen und so die Investition wieder einzuspielen, warb er.

Mehr Tempo in der Politik

Deutschland hat bei der Erforschung der Künstlichen Intelligenz einen hervorragenden Ruf – zu Recht: Es gibt Institute von Weltruf wie das DFKI, und zahlreiche Veröffentlichungen sprechen für die Qualität der Ausbildung.

Allerdings gibt es einen internationalen Wettbewerb: Andere Länder haben ambitionierte KI-Strategien und stellen Milliardensummen zur Verfügung. Und Konzerne wie Google und Microsoft, Alibaba und Tencent haben Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie erkannt, für die sie Spezialisten in aller Welt anheuern. Geld spielt dabei kaum eine Rolle.

Um in diesem Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren, müsse Deutschland mehr tun, fordert Innovationsforscher Harhoff. So sei eine starke Vernetzung in Europa sinnvoll, um den USA und China etwas entgegenzusetzen. Es brauche attraktive Bedingungen für den internationalen Nachwuchs und mehr Möglichkeiten, die Erkenntnisse aus der Theorie in die Praxis zu transferieren.

Die Bundesregierung hat die Dringlichkeit erkannt, sie hat einen Masterplan aufgestellt, der viele dieser Maßnahmen vorsieht, und will ihn mit drei Milliarden Euro finanzieren. Innovationsforscher Harhoff, der die Politik berät, mahnt dabei jedoch deutlich mehr Tempo an: „Wir haben in Deutschland für die Entwicklung einer KI-Strategie ein Jahr gebraucht – wir müssen agiler werden, um das Potenzial in Wertschöpfung umzusetzen.“