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Experten erklären: Das passiert mit Putin, wenn er den Ukraine-Krieg verliert

Kremlchef Wladimir Putin ließ am 24. Februar die Ukraine überfallen – seitdem fährt sein Land eine Niederlage nach der nächsten ein. - Copyright: AFP:Vasily Maximov/Getty:Oleg Nikishin;07_av;Alexey Nikolsky
Kremlchef Wladimir Putin ließ am 24. Februar die Ukraine überfallen – seitdem fährt sein Land eine Niederlage nach der nächsten ein. - Copyright: AFP:Vasily Maximov/Getty:Oleg Nikishin;07_av;Alexey Nikolsky

Nach der plötzlichen Wende im Ukrainekrieg ist der russische Präsident Wladimir Putin in der Defensive. Wie ernst die Lage ist, zeigen zwei neue Entwicklungen: Am Dienstag kündigte er an, in den von Russland besetzten, ukrainischen Gebieten Referenden durchzuführen; sie damit praktisch offiziell zum Anschluss an sein Land zu zwingen. Am Mittwoch ordnete er eine Teil-Mobilmachung der russischen Streitkräfte an.

Beides wird als Reaktion auf die jüngsten Gebietsverluste in der Ukraine gewertet – es ist der verzweifelte Versuch des Kremlchefs, das Ruder herumzureißen. Denn: Noch ist zwar nichts entschieden, aber sollte Russland den Krieg tatsächlich verlieren, hätte das auch Konsequenzen für seine Herrschaft. Doch welche? Und was genau würde im Fall einer russischen Niederlage passieren?

Peter Neumann, Experte für Geopolitik und Sicherheitsfragen, und seine Kollegin, die Russland-Kennerin Domitilla Sagramoso, vom renommierten Londoner Kings College analysieren für Business Insider diese Frage.

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Die aktuelle Situation ist unübersichtlich, aber es zeichnen sich drei mögliche Szenarien ab. Die schlechte Nachricht: Keines davon würde das Verhältnis Russlands mit dem Westen verbessern, denn die Opposition, die ihm am gefährlichsten werden könnte, ist nicht demokratisch, sondern nationalistisch.

Szenario 1: Putin bleibt im Amt

Was Putin wahrscheinlich retten könnte, wäre eine Verhandlungslösung. Doch hierfür ist es möglicherweise bereits zu spät. Je mehr Territorium die Ukraine zurückgewinnt, desto geringer ist ihr Interesse an einem „Kompromiss“.

Die einzige Möglichkeit für Putin, das Blatt noch zu wenden, besteht deshalb aus Eskalation. Die in Russland momentan am häufigsten diskutierte Option war in den letzten Wochen eine Generalmobilmachung, inklusive Wehrpflichtigen – und damit das Ende der Illusion, dass es sich bei Russlands Feldzug um eine begrenzte „Spezialoperation“ handelt. Genau das scheint Kremlchef Putin nun anzugehen.

Doch dieser Schritt birgt auch Risiken, denn Russlands reguläre Armee ist längst nicht mehr so schlagkräftig wie zu Zeiten der Sowjetunion und die russische Bevölkerung würde die Verluste noch direkter zu spüren bekommen.

Sollte Russland militärisch scheitern, wird es für Putin also eng. Um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen, müsste er die staatliche Repression massiv ausweiten. Und auch innerhalb der Sicherheitsbehörden käme es zu brutalen Säuberungen. Unter diesen Bedingungen würde einzig die Angst vor einem Staatszerfall viele Russen davon überzeugen, ihm die Treue zu halten.

Doch selbst wenn es Putin gelänge, auf diese Weise im Amt zu bleiben, hätte er keine Zukunft. Sein Image als „Wiederhersteller russischer Größe“, mit dem er sich Popularität und Ansehen verschaffte, wäre dahin. Und seine Gegner müssten nur auf einen Fehler warten, um die Macht an sich zu reißen.

Szenario 2: Es gibt einen Putsch gegen Putin

Potenziell gefährlich sind für Putin deshalb vor allem seine Militärs und Geheimdienstchefs. Putin selbst hat sie in den letzten 20 Jahren zur zentralen Stütze seines Regimes gemacht.

Umso überraschender ist deshalb, dass Gerüchte über Unzufriedenheit speziell beim Militär immer lauter werden. Kommentatoren aus dem Sicherheitsapparat, wie zum Beispiel Igor Girkin, stellen die Kriegsführung öffentlich in Frage. Noch vor wenigen Wochen wäre das unvorstellbar gewesen.

Doch bis zu einem tatsächlichen Putsch könnte es noch dauern. Den Sicherheitschefs fehlt ein gewichtiger Anführer: Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, gilt als loyal; Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat an Popularität verloren; und Stabschef Waleri Gerasimow werden schwere Fehler vorgeworfen.

Gegen einen Putsch spricht auch, dass es in Russland keine Tradition militärischer Coups gibt und die wichtigsten Sicherheitschefs an allen zentralen Entscheidungen beteiligt waren. Egal, wie groß momentan die Unzufriedenheit ist: Was die Ukraine angeht, sitzen sie mit Putin in einem Boot.

Szenario 3: Die Russen organisieren einen Volksaufstand

Bleibt als dritte Option noch ein Volksaufstand. Hierfür gibt es erste, wenn auch schwache Anzeichen. Bei den Regionalwahlen in Moskau wurden so viele ungültige Stimmzettel abgegeben wie nie zuvor. Und im Fernsehen und auf Telegram regen sich mehr und mehr Stimmen, die es wagen, den Krieg zu kritisieren.

Doch die Opposition, die Putin gefährlich werden könnte, ist nicht die demokratische. Die meisten Anführer von linken und liberalen Kräften sitzen im Gefängnis, sind im Ausland oder werden von Putins Sicherheitsbehörden überwacht.

Am lautesten sind aktuell die Ultranationalisten – etwa 15 Prozent der Bevölkerung –, die Putins Krieg ursprünglich unterstützt haben, aber den Präsidenten jetzt für Inkompetenz und militärische Verluste verantwortlich machen.

Genauso wie Teile des Militärs fordern sie keinen Rückzug, sondern die Generalmobilmachung und damit ein noch härteres Vorgehen.

Für Putin ergibt sich hieraus ein Dilemma. Gibt er der Forderung nach, riskiert er einen großflächigen - einen „totalen“ - Krieg, der noch mehr sichtbare (russische) Opfer produziert. Verweigert er sich, verliert er zwei wichtige Stützen seiner Macht: die Ultranationalisten und deren Sympathisanten im Militär.

Für Putin gibt es deshalb keine guten Optionen. Mit dem Ukrainekrieg hat er seine gesamte Präsidentschaft auf eine Karte gesetzt. Wenn sich die militärische Situation nicht doch noch zu seinen Gunsten wendet, droht ihm über kurz oder lang das Aus.

Peter R. Neumann ist Autor von Die neue Weltunordnung (Rowohlt, 2022) und Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London.

Domitilla Sagramoso ist Russlandexpertin und Dozentin am King’s College London.