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Experte über Takko, Primark und New Yorker: "Reine Textildiscounter werden es schwer haben, zu überleben"

Überfüllte Warenlager, hohe Rabatte und kaum Laufkundschaft: Der Modeeinzelhandel ist eine von der Corona-Krise am stärksten getroffenen Branchen. Der monatelange Lockdown zehrt an den Kräften der Händler. Besonders schwer haben es Unternehmen, die davon leben, dass sie viel Ware bei kleinen Margen umsetzen. Die Bekleidungshändler Adler oder Pimkie mussten im vergangenen Jahr schon Insolvenz anmelden. Primark schwächelt im deutschen Markt bereits seit 2019 und wächst hierzulande nur noch durch Neueröffnungen. 2020 verkleinerte das Unternehmen sogar drei Filialen auf dem hiesigen Markt, nachdem es zuvor nur auf Wachstumskurs war.

Auch der Modediscounter Takko aus dem nordrhein-westfälischen Telgte ist finanziell stark angeschlagen. Der erneute Shutdown hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben in „eine wirtschaftliche Extremsituation gebracht“ und Woche für Woche zehn Millionen Euro gekostet. Zunächst hatte sich Takko um eine Bürgschaft des Landes bemüht, die Verhandlungen waren aber gescheitert. Erst im März erhielt das Unternehmen von seinem Eigentümer, dem britischen Investor Apax, von Investoren und von Banken zusätzliche Mittel von rund 54 Millionen Euro. Der Kredit ermögliche es, kurzfristig operative Kosten zu decken und den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, sagte Interims-Vorstandschef Karl-Heinz Holland damals. Seit April hat das Unternehmen nun ein neues Management, das sich "aktuell im Detail mit den entsprechenden strategischen Fragestellungen" hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit von Takko beschäftige.

Martin Fassnacht, der Direktor des Lehrstuhls für Strategie und Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management berät Unternehmen in der Konsumgüterindustrie. Er hat sich auf Preis- und Markenstrategien spezialisiert und attestiert nun den Textildiscountern keine rosige Zukunft. „Reine Textildiscounter wie Takko, New Yorker oder Primark werden es schwer haben zu überleben“, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler Fassnacht.

Textildiscounter haben oft kein Onlinegeschäft

Der Grund: "Der Onlinehandel setzt die Modediscounter seit Jahren unter Druck und nun zehrt die Corona-Krise sie aus", sagt Fassnacht. Das große Problem der Anbieter im niedrigeren Preissegment: Sie haben meist kein Online-Geschäft oder erst sehr spät eines aufgebaut. Weil die stationären Geschäfte geschlossen waren, wanderten die Kunden im Lockdown zu Online-Plattformen ab, die seitdem nur so boomen. Takko hat noch nicht lange einen Onlineshop, die Braunschweiger Firma New Yorker hat gar keinen und auch die Strategie der britischen Primark enthält kein Digitalgeschäft. Viele Händler hätten es verschlafen, rechtzeitig zu investieren, so Fassnacht.

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Der Chef der Textilhandelskette New Yorker, Friedrich Knapp, sagte etwa im Interview mit dem Fachmedium "Textilwirtschaft", er könne gar nicht "so doof" sein, einen Onlineshop zu eröffnen. E-Commerce im Modehandel bedeute erfahrungsgemäß mindestens 50 Prozent Retouren. "Das kann sich nie und nimmer rechnen, und an den sinkenden Margen von zum Beispiel Inditex, H&M und Bestseller lässt sich das ja auch deutlich erkennen", sagte Knapp, für den "E-Commerce die Wette auf eine Zukunft [ist], die nie eintreffen wird."

Gleichzeitig sagt auch Fassnacht, dass es sich aufgrund der geringen Margen im Textildiscount kaum lohne, ein Online-Geschäft aufzubauen. Die Marge für ein Herrenhemd liegt im Durchschnitt etwa bei 15 Prozent. Damit ein solches Konzept funktioniert, ist eine kritische Masse notwendig, es muss also ein hohes Warenvolumen umgesetzt werden. Dagegen stehen die Kosten für den Aufbau einer digitalen Präsenz: IT-Infrastruktur, Logistik, Updates und vieles mehr. Gerade Modediscounter haben diese hohen Investitionskosten scheinbar lange gescheut oder hierfür keine Rücklagen gehabt — was ihnen nun zum Verhängnis wird.

Denn die Pandemie hat das Einkaufsverhalten der Deutschen nachhaltig verändert. Der Onlineanteil im Verkauf von Textilien liegt in Deutschland mittlerweile schon bei rund 45 Prozent. Dies ist in kaum einer anderen Warenkategorie so hoch. Künftig werde dieser Wert nur noch weiter steigen, sagt Fassnacht.

Wegen Home Office: Schnäppchen-Effekt fällt weg

Zahlen des GfK Consumer Panel Fashion zeigen außerdem, dass Verbraucher in Deutschland seit der Pandemie seltener und weniger Kleidung kaufen. Basierend auf Umfragen des Konsumforschungsinstituts haben die 83,1 Millionen Menschen in Deutschland hochgerechnet im vergangenen Jahr pro Kopf statt 36 Teilen nur knapp 30 Teile gekauft. Denn durch das Arbeiten im Home Office benötigen wir deutlich weniger Kleidung. Dieser Trend werde sich auch weiterhin fortsetzen und noch weiter verstärken, prognostiziert Fassnacht. Der typische Schnäppchen-Effekt, von dem die Discounter leben, fällt dadurch weg.

Das veränderte Konsumentenverhalten rührt auch von einem zunehmenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Seit Jahren boomen Second-Hand-Plattformen und auch die großen Onlinehändler wie Zalando und About You bieten mittlerweile den An- und Verkauf von gebrauchter Kleidung an. "Langfristig gesehen passt sehr günstige und nicht nachhaltig produzierte Kleidung aufgrund des zunehmenden Nachhaltigkeits-Bewusstseins der Verbraucher nicht mehr wirklich in die Zeit", so Fassnacht.

Diese Veränderung scheint mittlerweile auch den Weg in die Unternehmensstrategien zu finden. Auf Anfrage von Business Insider heißt es dazu von Takko: "Wir sehen auch bei unseren Kunden ein steigendes Nachhaltigkeitsbedürfnis, kaufentscheidend bleibt jedoch letztendlich immer der Preis." Das Unternehmen habe laut eigener Aussage in diesem Bereich bereits erste Schritte getan und ist seit 2011 etwa Mitglied der Fair Wear Foundation und Teil des Bündnisses für nachhaltige Textilien.

Druck kommt auch von Lidl und Aldi

Konkurrenz kommt aber auch von den Lebensmitteldiscountern wie Aldi und Lidl, die ebenfalls stark im Niedrigpreis-Segment sind. Lidl machte 2018 rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz mit Textilien und war damit der zweitgrößte Textildiscounter in Deutschland. Für diese Händler sei der Textilverkauf lukrativ, da durch die hohen Warenvolumen und anderen Warensegmente Skaleneffekte zum Tragen kommen, so Fassnacht. So schreiben auch die Autoren der Studie "Fashion 2030" von der Unternehmensberatung KPMG, dass die Lebensmitteldiscounter immer weiter Marktanteile in diesem Segment gewinnen. "Den Lebensmitteldiscountern ist es mittlerweile gelungen, ihr Image für preiswerte Qualität von den Lebensmitteln auch auf den Fashion-Bereich zu übertragen." Das setzt die reinen Textildiscounter, die keine andere Ware anzubieten haben, zusätzlich unter Druck.

Die zu dem Tengelmann-Konzern gehörenden Textildiscounter Kik oder auch die Kaufhaus-Kette Woolworth sind dagegen anders aufgestellt, da sie auch zunehmend andere Produkte verkaufen. In Fassnachts Augen verspricht diese Strategie mehr Erfolg. Kik konnte seinen Umsatz im Jahr vor der Pandemie auf insgesamt rund 2,1 Milliarden Euro steigern. "Es ist für Textildiscounter profitabler und einfacher, das Überleben zu sichern, wenn sie auch andere Warenkategorien verkaufen und das Sortiment erweitern, wie Kik oder NKD", sagt Fassnacht. Doch auch, wenn der Wirtschaftswissenschaftler hier eine Chance für die Textildiscounter sieht, fällt seine langfristige Prognose nicht gut aus: "Ich sehe keine positive Zukunft für reine Textildiscounter. Die Probleme, die sie bewältigen müssen, sind nicht trivial."