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„Erst kam die Ära des Kinos, dann die Ära des Fernsehens – dann kam Quibi“

Ist Meg Whitman ein Workaholic? Muss sich die Ex-Chefin von Ebay und Hewlett-Packard (HP) immer noch etwas beweisen? Whitman prustet los. „Ja, ich gebe zu, ich arbeite einfach sehr gern.”

Für den Moment blickt die 62-Jährige durch die Glaswand ihres Büros in dem hellen Co-Working-Space, wo Programmierer und Designer auf Tastaturen einhämmern. Ein rotes Gummibärchen verschwindet in ihrem Mund. „Außerdem mag ich es, Neues aufzubauen.”

Von der Zentrale in einer ruhigen Seitenstraße West Hollywoods aus treiben Whitman und ihr neuer Geschäftspartner die Revolution der Video-Industrie voran.

Die Managerin, die sich seit der Teilung von HP den Ruf einer harten Saniererin erwarb, ist bei der Videofirma Quibi von Jeffrey Katzenberg eingestiegen, dem legendären Gründer und Chef von Dreamworks Animation und ehemaligen Chairman der Walt-Disney-Studios.

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Die Eiserne Lady von Silicon Valley und der 68-jährige Hollywood-Kreative – ein merkwürdiges Paar, selbst für die kalifornische Traumfabrik und Künstlerenklave, räumt Whitman ein. Sie grinst diebisch. Auf den ersten Blick habe sie wenig gemein mit Katzenberg. „Außer, dass wir beide vielleicht die ältesten Start-up-Gründer sind, die es je gab.” Ob seltsam oder nicht, das Duo zog Investoren an wie Stars und Sternchen Kinofans.

Noch bevor die Entwickler bei Quibi in 6.555 Barton Avenue auch nur eine Zeile Computercode schrieben, erhielt ihre Firma schon eine Milliarde Dollar Kapital von der Alibaba-Gruppe und zehn der größten Filmstudios, darunter Walt Disney, 21st Century Fox und Time Warner.

Whitman, die als CEO von Quibi die Videofirma steuert und ihre Villa im Edelörtchen Atherton gegen ein Apartment in Los Angeles tauschte, genießt in Tech-Kreisen einen ausgezeichneten Ruf. „Gott CEO” nannte sie mal der Netscape-Erfinder und Risikokapitalgeber Marc Andreessen.

Quibi startet in den USA und Kanada

Der Name von Katzenberg wiederum öffnet jede Tür in Los Angeles. Der Filmmanager überzeugte bereits Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio, Regisseur Antoine Fuqua und Oscar-Preisträger Guillermo del Toro, für Quibi zu arbeiten. Der seltsame Name steht für „Quick bites”, kleine Video-Happen. Ende des ersten Quartals 2020 soll der Service starten.

Die Besonderheit: Quibi will Inhalte für Smartphones in „Game of Thrones“-Qualität mit einer Länge von höchstens zehn Minuten produzieren. Das soll die Aufmerksamkeit der 18– bis 35-jährigen Nutzer bannen, unterwegs in der Bahn zur Arbeit oder vor dem Boarding des Flugs.

Langfristig entsteht eine Bibliothek mit Shows von einer Länge um die zehn Minuten, schwebt Whitman vor, darunter Nachrichten-, Sport-, Unterhaltungs- oder Musik-Clips, die Nutzer für einen monatlichen Abo-Preis von fünf Dollar mit Werbung und acht Dollar ohne Unterbrechung streamen. Quibi startet in den USA und Kanada, will danach nach Großbritannien und Westeuropa expandieren und in ein bis zwei Jahren auch in Deutschland sein.

Auf der South by Southwest (SXSW) in Austin, einer der international führenden Digital- und Vordenkermessen, die von diesem Freitag an die wichtigsten Inspirationen und Visionen aus Technologie, Film, Musik und Medien zeigt, wird das Duo Whitman/Katzenberg Quibi erstmals einem breiten Publikum präsentieren. Mehr als 400.000 Menschen, darunter 40 Prozent aus dem Ausland, zieht es jährlich in die texanische Stadt.

Die Digitalbranche sucht in Austin nach Antworten auf Netflix, das heute 139 Millionen Menschen zur Dauerglotzerei verführt und in zehn Jahren vielleicht sogar 377 Millionen, wie Morgan Stanley vorrechnet. Die Zeit, die Kunden bei Netflix streamen, entgeht den anderen Plattformen, egal ob sie nun Facebook, Youtube oder Fortnite heißen.

Die Film- und Technologieindustrie rüstet um die Wette. Apple will laut Medienberichten schon Ende März einen eigenen Video-Streaming-Dienst präsentieren, Disney zeigt Portal Disney + am 11. April. Comcast und AT & T folgen.

„Video-Streaming ist der wichtigste Medientrend des Jahres”, analysiert Branchenexperte Tim Mulligan vom Dateninstitut MIDiA Research. „Bald wird es mehr Inhalte im Markt geben, als Kunden sehen oder gar bezahlen wollen.” Sehr zum Nachteil für Neuankömmlinge wie Whitman und Katzenberg, glaubt er. „Wenn Quibi erfolgreich sein will, muss es die Aufmerksamkeit der Nutzer von bestehenden Plattformen abziehen.”

Kein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Netflix und Amazon

Doch Start-up-Chefin Whitman will sich gar nicht erst auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Milliardenkonzernen einlassen. „Alle jagen Netflix, Apple, Disney und Amazon.” Sie kaut auf Süßkram herum. Der Markt mit langen Formaten von 45, 60 oder gar 90 Minuten Länge sei völlig überlaufen.

Nur zehn Prozent der Netflix-Zuschauer und acht Prozent der Fans von Konkurrent Hulu hingegen griffen mobil auf Inhalte zu, da sei noch viel Platz für neue Angebote wie Quibi.

Die Nutzergewohnheiten veränderten sich rasant. Die beste Analogie dafür sei der Bestseller „The Da Vinci Code”, sagt die Unternehmerin. Das Buch bestehe aus 464 Seiten bei 105 Kapiteln, jedes davon nur fünf Seiten lang. Autor Dan Brown habe herausgefunden, dass die Leute nicht mehr 45 Minuten lang lesen.

„Das Internet hat unsere täglichen Konsumgewohnheiten verschoben”, sagt Whitman. „In zehn Jahren werden wir zurückschauen und sagen: ,Erst kam die Ära des Kinos, dann die Ära des Fernsehens – und dann kam Quibi.‘”

Paul Verna, Videoexperte von eMarketer, hält die Strategie für aussichtsreich: „Nutzer wollen diese Art von kurzen, für das Smartphone optimierten Inhalten”, sagt er. „Doch bisher sind sie nicht gewillt, dafür auch zu zahlen, anders als bei Netflix oder Amazon mit ihren Kinofilmen und Serien-Paketen.”

Youtube, Instagram TV (IGTV) oder Facebook Watch finanzierten sich immer noch vor allem durch Werbung, nicht durch Abos. „Es würde mich nicht wundern, wenn Quibi bald komplett auf ein werbefinanziertes Modell umschwenkt”, so der Branchenbeobachter.

Die Belegschaft verdoppeln

All diese Fragen liegen laut Whitman noch weit in der Zukunft. Quibi dürfe sich nicht verzetteln, sondern müsse ein Problem nach dem anderen lösen. „Wenn wir unser Portal gelauncht haben, werden wir von den Kunden lernen, was sie bevorzugen.” Die Belegschaft will sie von heute 95 Mitarbeitern bis zum Start verdoppeln. Im ersten Jahr sollen 5300 Videos über die Plattform flimmern.

Die aktuellen Wachstumsschmerzen kennt die Tech-Ikone noch aus ihrer Zeit bei Ebay. Sie stieß zum Online-Auktionshaus, als es gerade einmal 30 Angestellte hatte, machte schnell Karriere und führte die Plattform von 1998 bis 2008 als CEO und Mitglied im Aufsichtsrat.

Dann wechselte sie zu IT-Dinosaurier Hewlett-Packard, wo sie bis Januar 2018 die aus der Teilung hervorgegangenen Software- und Services-Firma Hewlett-Packard Enterprise (HPE) führte. Eine völlig andere Welt, wie sie sagt. „Große Firmen zu führen ist kompliziert.”

Sie klingt fast ein wenig wehmütig. „Um die notwendigen Veränderungen durchzuführen, müssen Dinge gestoppt, ab- oder umgebaut werden. In einem Start-up geht es immer nur ums Aufbauen.“

Doch in beiden Welten sei nichts so wichtig wie das richtige Team. „Jeffrey und ich sind zwar sehr unterschiedlich, doch wir ergänzen uns perfekt.” Sie selbst, die Analytische, Technische, Strategische, sei eher so etwas wie „die linke Gehirnhälfte von Quibi”, Katzenberg der kreative Gegenpart. Auf den ersten Blick haben die zwei Gründer wenig gemeinsam. Der Filmemacher unterstützt traditionell die Demokraten, sie trat schon mal für die Republikaner bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien an.

Sie trägt nach wie vor ein rotes Jackett zur schwarzen Anzughose, Katzenberg bevorzugt hippe Sneakers. Doch die beiden vertrauen sich blind, sind befreundet seit der gemeinsamen Zeit bei Disney 1989.

An den legendären Abend Ende 2017, als Katzenberg sie nach einem dreistündigen Dinner beim Edeljapaner Nobu in Palo Alto endlich überzeugt hatte, als CEO bei Quibi einzusteigen, erinnert sich Whitman noch sehr genau: „Ich sagte ihm: Weißt du was, ich glaube, das könnte spaßig werden.”