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EWE-Chef verliert den Job

Führungschaos in Oldenburg: Der Aufsichtsrat der EWE AG hat Matthias Brückmann als Vorstandsvorsitzenden abberufen - mit sofortiger Wirkung. Zudem wird die Ernennung zweier Vorstände zurückgestellt.

Es wird luftig in der Chef-Etage der EWE AG. Zwei Vorstände haben den Oldenburger Stromversorger in den vergangenen fünf Monaten schon verlassen. Am Mittwoch verlor der Vorstandsvorsitzende Matthias Brückmann seinen Job.

„Der Aufsichtsrat der EWE AG hat heute einstimmig beschlossen, den bisherigen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens, Matthias Brückmann, mit sofortiger Wirkung aus seinem Amt und dem Unternehmen zu entlassen“, gab das Unternehmen um 22 Uhr bekannt. Keine Höflichkeitsfloskel, kein „beiderseitiges Einvernehmen“. Es ist ein hochkantiger Rauswurf. Um 17 Uhr waren die Aufseher zusammengekommen - und hatten stundenlang über die endgültige Trennung vom Chef beraten - sowie über den Korruptionsverdacht bei der Tochter EWE Netz, über den das Handelsblatt am Freitag berichtet hatte.

Die Entscheidung des Aufsichtsgremiums basiere einerseits auf einem Bericht der vom Aufsichtsrat beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG über mehrere Vorwürfe – darunter eine Spende in Höhe von 253.000 Euro an die Klitschko-Stiftung, teilte das Unternehmen mit. Andererseits sei sie wegen „einer Vielzahl diverser grober Verfehlungen“ getroffen worden. Details wurden nicht genannt.

Die Vorwürfe gegen EWE Netz sollen nach dem Beschluss des Aufsichtsrats „unter Hinzunahme einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft rückhaltlos“ aufgeklärt werden. Die eigentlich geplante Neubesetzung der offenen Vorstandsposten Technik sowie Personal & IT wurde zurückgestellt und soll nun in einer der kommenden Sitzungen erfolgen.

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Für die beiden Posten waren Manager von EWE Netz, Timo Poppe und Torsten Maus, vorgesehen: „Wir haben ein großes Interesse daran, diese beiden Personalien möglichst kurzfristig zu klären und sind mit zwei Kandidaten weiter im Gespräch“, sagte Aufsichtsratschef Stephan-Andreas Kaulvers: „Beide haben uns aktiv angeboten, ihre Bereitschaft zur Übernahme des Vorstandsmandats in Absprache und im Einvernehmen mit uns ruhen zu lassen.“

Bei der Trennung vom wichtigsten Angestellten des Unternehmens hat sich der Aufsichtsrat nicht so viel Zeit gelassen. Erst im Dezember 2016 gingen bei der EWE AG anonyme Schreiben ein. Darin enthalten waren allerlei Vorwürfe gegen Brückmann, der das Unternehmen seit Oktober 2015 führt. Unter anderem soll Brückmann einem Pizzeria-Kellner bei der Stromrechnung geholfen haben. Außerdem gebe es eine Fahrerflucht mit seinem Dienstwagen. Der wichtigste Punkt: Brückmann überwies eine Spende von 253.000 Euro eigenmächtig an die Stiftung der Boxer Vitali und Wladimir Klitschko. Die Einrichtung hilft Kindern in der Ukraine. Am 7. Februar hatte das Präsidium über den Fall beraten und dem Aufsichtsrat die Trennung vom Vorstandschef empfohlen. Brückmann musste seither sein Amt ruhen lassen.

Der geschasste Chef ließ die Vorwürfe durch seinen Anwalt in einem Schreiben an den Aufsichtsrat zurückweisen. Beim Stichwort Pizzeria gehe es um den Zahlungsrückstand eines Kellners, der zugleich EWE-Kunde war. Der Mann habe Brückmann um Hilfe oder Rat gebeten. Doch bevor der Vorstandsvorsitzende aktiv werden konnte, sei die Rechnung schon beglichen gewesen. Die angebliche Fahrerflucht sei in Wirklichkeit ein Lackschaden. Brückmann touchierte eine Betonwand und meldete den Vorfall am nächsten Tag an der zuständigen Stelle im Unternehmen.

Beim wichtigsten Vorwurf räumte Brückmann durchaus einen Fehler ein. Schließlich hatte er sich selbst dafür starkgemacht, die Ausgabenpraxis seines Vorgängers einzudämmen. Unter Werner Brinker, der die EWE 17 Jahre lang führte, gab es einen regelrechten Spendenwucher. Das Unternehmen gab sechsstellige Beträge für die Pflege des Traditionsdampfers „Prinz Heinrich“ aus. Mit zwei Millionen Euro sponserte Brinker die private Bremer Jakobs University, weitere sechs Millionen gingen für Oldenburger Forschungsinstitute drauf.

Außerdem verteilte Brinker Geld an Sportarten, die kaum Zuschauer hatten. Basketball, Segeln, Tennis – kaum ein Verein in der Region, der sich nicht über Zuwendungen von der EWE freuen konnte. Allein die Handball-Frauen vom VfL Oldenburg erhielten 500.000 Euro. Ein Gegenwert für das Unternehmen war manchmal schwer zu erkennen, manchmal gab es einfach keinen.

2,5 Millionen Euro pro Jahr flossen für die Namensrechte an der Spielstätte des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen. Dessen Stadion hieß zwar nicht EWE-Arena, sondern Weserstadion. Aber EWE zahlte trotzdem. Wenn sich je ein Aufsichtsrat der EWE über diese Seltsamkeiten aufregte, dann nicht öffentlich und ohne Folgen. Bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand wurde Brinker 2015 in höchsten Tönen gelobt.

Doch Brückmann wollte es anders machen und musste sich deshalb mit einer anderen Latte messen lassen. Im Februar nahm er 253.000 Euro aus eigener Tasche in die Hand und gab sie der EWE zurück. „Das ist ein starkes Signal und zeigt Größe“, kommentierte Aufsichtsratschef Stephan-Andreas Kaulvers. Vier Tage später tagte das Aufsichtsratspräsidium der EWE und setzte ein anderes Signal: Das Gremium empfahl die sofortige Abberufung von Brückmann.


Brückmann konnte nicht persönlich Stellung nehmen

Der verstand die Welt nicht mehr. 2016 hatte Brückmann das Unternehmen zum besten Jahr in seiner Geschichte geführt. Jetzt sollte er über einen Pizzakellner und eine Spende fallen?

Der Vorstandschef mühte sich, mit den Aufsichtsräten ins Gespräch zu kommen. Er scheiterte. Einen letzten Termin am Montag sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Kaulvers ab. „Aus gesundheitlichen Gründen“, hieß es. Bei der Sitzung am Mittwoch war Kaulvers dann allerdings wieder gesund genug, um die Sitzung zu leiten und Brückmann zu entlassen. Der Vorstandschef selbst wurde dabei nicht angehört.

Sein Anwalt kündigte deshalb schon vorab juristische Schritte an. Brückmann sei „jegliche Möglichkeit genommen, gegenüber dem Aufsichtsrat zu den erhobenen Vorwürfen persönlich Stellung zu nehmen und diese damit in dem zuständigen Gremium auszuräumen“, schrieb der Arbeitsrechtspezialist Bernd-Wilhelm Schmitz. So könne ein Unternehmen mit einem Vorstand nicht umgehen. Nicht einmal der bestellte Untersuchungsbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zu den angeblichen Vergehen von Brückmann sei komplett gewesen, als das Aufsichtsratspräsidium Brückmanns Abberufung empfahl.

Die Eile des Rauswurfs sei völlig unangemessen, ja unzulässig. Schmitz: „Ich gehe daher davon aus, dass in der Aufsichtsratssitzung am 22.02.2017 keine meinen Mandanten betreffenden Entscheidungen getroffen werden.“ Damit lag er falsch. Ungeachtet aller Vorbehalte entschied sich der Aufsichtsrat am Mittwoch für die Abberufung von Brückmann.

Damit wird die Führungsspitze der EWE noch spitzer. Von fünf Vorständen sind nur noch zwei übrig. Und gegen einen der beiden Verbliebenen, Michael Heidkamp, ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg wegen des Anfangsverdachts der Untreue. Heidkamp hatte die Spende an die Klitschko-Stiftung mit unterschrieben.

Statt Heidkamp zu feuern, sprach das Präsidium des Aufsichtsrats ihm „das uneingeschränkte Vertrauen“ aus. Warum es bei demselben Sachverhalt und ohne Verhandlung gegen den einen Vorstand ein Urteil gab und den anderen Vorstand einen Freispruch, wurde nicht erklärt. Heidkamp sei „nicht Gegenstand der Untersuchung“, hieß es aus dem Unternehmen. So einfach ist das in Oldenburg.

Dass auch der EWE-Aufsichtsrat es sich aber nicht mit allem so einfach machen kann, erfuhr das Kontrollgremium vor einer Woche. Für die leeren Vorstandsstühle waren bereits zwei Kandidaten ausgeguckt: Timo Poppe und Torsten Maus. Beide stammen aus der wichtigsten Sparte des Konzerns, der EWE Netz. Ausgerechnet in diesem Unternehmensteil aber rumort es gewaltig.

Schon im Oktober gab es Hinweise auf Geschäfte mit „Bargeldzahlungen und Geldkuverten“, wie die Revision notierte. Außerdem würden mehrere Autohändler in der Region eine Zusammenarbeit mit der Firma ablehnen. Hintergrund sei „die Einforderung von Kick-Backs bei der Neuwagenbestellung durch EWE-Mitarbeiter“.

Die Konzernrevision hielt die Meldungen für so stichhaltig, dass sie nun umfänglich ermittelt. Externe Wirtschaftsstrafspezialisten der Kanzlei White & Case sind eingeschaltet, seit Januar ist auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG an der Untersuchung beteiligt. Ein Konzernsprecher: „Beauftragt wurde eine vorbehaltlose und vollumfängliche Prüfung aller Geschäftsvorfälle.“

Das kann noch Monate dauern. Doch schon eines ist klar: Letztlich verantwortlich für die Geschäftsvorfälle in der EWE Netz waren zwei Männer. Erstens: Timo Poppe, der ehemalige Generalbevollmächtigte Infrastruktur der EWE und heutige Vorstand der Konzerntochter SWB. Zweitens: Torsten Maus, Geschäftsführer der EWE Netz seit 2006.


Fiel Brückmann wirklich über die Klitschko-Spende?

Für beide Männer gilt strafrechtlich die Unschuldsvermutung. Mit der unternehmerischen Verantwortung ist es anders. Jedes Unternehmen hat heute Kontrollmechanismen gegen Korruption. Wurden diese bei der EWE Netz nicht befolgt? Oder waren sie unzureichend? Für beides müssten diejenigen einstehen, die das Unternehmen führen oder führten. Und obwohl beide Manager starke Fürsprecher im Aufsichtsrat hatten, vor allem die Landtagsabgeordneten Bernhard Bramlage und Heiner Schönecke, liegt die Beförderung von Poppe und Maus in den Vorstand der EWE auf Eis.

Vieles spricht dafür, dass die Krise in Oldenburg noch dauert. Offen wird im Unternehmen und seinem Umfeld inzwischen die Frage gestellt, ob Brückmann wirklich über die Klitschko-Spende fiel. Oder nicht vielmehr über sein Vorhaben, die größte Konzernsparte umfänglich auf Korruption zu durchleuchten. Bevor die Affäre öffentlich wurde, sprach man sich angeblich im Aufsichtsrat dafür aus, die Untersuchung möglichst schnell wieder zu beenden.

Und schon geriet auch ein bestimmter Aufsichtsrat selbst ins Zwielicht. Schriftverkehr zeigt, dass sich der EWE-Aufsichtsrat und CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Schönecke für seine private Biogasanlage persönliche Beratung von Timo Poppe einholte. Der hatte vorher einen ganzen Reigen von Mitarbeitern für die „Ertragsoptimierung“ von Schöneckes Biogasanlage eingespannt. Ohne Rechnung.

Sowohl Schönecke als auch Poppe wiesen die Kritik zurück. Ein ganz normaler Vorgang sei das, sagte der Aufsichtsrat. Ein EWE-Sprecher nannte das persönliche Engagement des Generalbevollmächtigten Poppe „eine Sache der Höflichkeit gegenüber einem Kunden (und ja: Gremienmitglied von EWE), der direkt bei ihm angefragt hat.“

Poppe und Schönecke wollen also weitermachen. Und überhaupt – bei all den Vorwürfen und Hinweisen auf Korruption, Bestechung, Geldumschläge und anderes, gibt es bisher nur einen, der bei der EWE seinen Job verloren hat: Matthias Brückmann.

Aufsichtsratschef Kaulvers, der im Vorfeld aus Kreisen des Aufsichtsrates heftig kritisiert wurde, gibt angesichts der Schlammschlacht der vergangenen Wochen Durchhalteparolen aus: „Wir schauen nun nach vorne und nehmen uns die erforderliche Zeit, die es braucht, um ein kompetentes und kraftvolles Vorstandsteam zusammenzustellen, das in der Lage ist, bei Kunden und Mitarbeitern verloren gegangenes Vertrauen in das Unternehmen zurückzugewinnen.“