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Europas Energie-Binnenmarkt ist ein Experiment mit offenem Ende

Wirtschaft, Verbraucher und Energieunternehmen sollen vom europäischen Energie-Binnenmarkt profitieren – doch gerade Deutschland sorgt für Probleme.

Für Maros Sefcovic gibt es keinen Zweifel: „Die Energieunion ist Realität geworden“, sagte der Vize-EU-Kommissionspräsident kürzlich bei der Präsentation des vierten Berichts zur Lage des europäischen Energiebinnenmarktes – und betonte wie stolz er sei. Der EU-Politiker ist zufrieden mit den Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre.

Die EU habe gezeigt, dass man sich nicht zwischen Wachstum und Klimaschutz entscheiden müsse: „Weil es möglich ist, unsere Wirtschaft um 58 Prozent zu vergrößern und gleichzeitig die Emissionen um 22 Prozent zu senken.“ Die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien habe auch die Abhängigkeit der Europäer von externen Lieferanten fossiler Brennstoffe verringert, so Sefcovic. Dies ist eines der erklärten Ziele der Energieunion. Außerdem soll sie einen gemeinsamen, vernetzten Energiebinnenmarkt schaffen sowie die CO2-Emissionen verringern.

Deutschland ist alles andere als ein Vorreiter

Sefcovics Optimismus überrascht. Denn die Realität ist eine ganz andere. Das Zusammenwachsen der europäischen Energiemärkte ist eher ein quälender Prozess als eine rasante Erfolgsstory. Zu groß sind die Differenzen, zu ausgeprägt ist der Hang der Mitgliedstaaten zu energiepolitischem Eigenbrötlertum – und für Deutschland gilt das besonders.

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Die energiepolitischen Sonder- und Irrwege des größten Mitgliedstaats treiben manchen Nachbarstaat an den Rand der Verzweiflung. Anfang April freute sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), seine Amtskollegen aus Deutschlands „elektrischen Nachbarn“ zu Gast zu haben. Das sind die Länder Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Österreich, Schweiz, Norwegen, Schweden, Dänemark, Polen und Tschechien. Mit ihnen tauscht Deutschland Strom aus.

Ziel des Treffens war es, die Folgen des in Deutschland geplanten Kohleausstiegs zu besprechen. „Wir senden heute ein wichtiges politisches Signal: Deutschland macht beim Kohleausstieg keine Alleingänge und stimmt sich eng mit seinen Nachbarn ab“, sagte Altmaier.

Das ist euphemistisch. Denn die Länder wurden in erster Linie über das informiert, was die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission bereits zu Papier gebracht hatte. Eingebunden in die jahrelangen Diskussion um den deutschen Kohleausstieg waren die elektrischen Nachbarn nicht. Gleichwohl müssen sie sich mit den Folgen arrangieren.

Wenn sich die Niederländer von der Kohle verabschieden, so ist das in europäischen Dimensionen eine Randnotiz wert, steigt Deutschland aus, könnten die Folgen gravierend sein: Es spielt für ganz Nordwesteuropa eine zentrale Rolle in der Stromversorgung.
Ein simples Beispiel: In Frankreich wird in langen, trockenen Sommern immer wieder das Kühlwasser für die Kernkraftwerke knapp, manche Meiler müssen heruntergefahren oder abgeschaltet werden.

Zugleich ist der Strombedarf hoch, weil überall im Land die Klimaanlagen laufen. Ohne Kohlekraftwerke bleibt Deutschland wenig Spielraum, um die Franzosen zu diesen Zeiten mit Strom zu beliefern. Dass jemand die Franzosen gefragt hätte, ob sie mit dem deutschen Kohleausstieg umgehen können, ist nicht überliefert.

Problematischer Gleichschritt

Altmaier betonte bei dem Treffen mit seinen Kollegen, Deutschland befinde sich mit dem Kohleausstieg in bester Gesellschaft. Neun der elf Stromnachbarn verfolgten ähnliche Pläne oder hätten sie bereits vollzogen. Für ihn scheint das nach einer europäischen Erfolgsgeschichte zu klingen. Tatsächlich ist es der Beleg für ein weitestgehend unkoordiniertes Vorgehen. Der unabgesprochene, gleichzeitige Abbau gesicherter Kraftwerksleistung könnte noch zu großen Problemen führen.

Die krasseste Aufkündigung europäischer Solidarität im Stromsektor liegt schon eine Weile zurück: Im März 2011, kurz nach der Kernkraftwerkskatastrophe von Fukushima, verordnete Bundeskanzlerin Angela Merkel die Abschaltung von acht Atomkraftwerken in Deutschland. Die Verwerfungen im Stromsektor waren grenzüberschreitend zu spüren – und zwar in Form steigender Strompreise.

Traditionell unkoordiniert und wenig effizient betreiben die EU-Mitgliedstaaten auch die Förderung erneuerbarer Energien. Viele Jahre war auch hier Deutschland eher Störer als Versöhner. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien brachte und bringt das Stromnetz in Deutschland, aber auch in den angrenzenden Ländern, häufig an die Grenzen der Belastbarkeit: Weil an stürmischen Tagen so viel Windstrom ins Netz drückt, dass er nicht mehr über deutsche Leitungen abtransportiert werden kann, sucht sich der Strom einen Umweg über Leitungen im benachbarten Ausland – und verstopft dort die Netze.

Künstliche Sperren, sogenannte Phasenschieber, sollen das verhindern. An der Grenze zu Polen sind sie Realität, an der deutsch-tschechischen Grenze ebenso. Diese erzwungene Trennung des deutschen vom polnischen und vom tschechischen Netz ist eine Notmaßnahme, die auf Drängen der beiden Nachbarländer ergriffen wurde. Sie symbolisiert das Gegenteil eines zusammenwachsenden Strom-Binnenmarktes.

Überlastete Stromnetze

Beim Netzausbau steht gerade Deutschland seit Jahren als einer der Bremser da. Angesichts der zentralen Lage ist das für den europäischen Stromtransit besonders gravierend. Nachbarstaaten, etwa Dänemark, beklagen, ihre Unternehmen könnten Strom nicht ausreichend nach oder durch Deutschland leiten. Das sei eine massive Behinderung des Binnenmarktes.

Die EU-Kommission teilt dieses Argument und droht, Deutschland in zwei Stromgebotszonen aufzuteilen. Das würde bedeuten, dass es im Norden mit seinem Überangebot an Stromerzeugungskapazitäten niedrigere Strompreise gäbe als im Süden Deutschlands, wo die Stromerzeugungskapazitäten knapp sind.

Das Kalkül dahinter: Der Preisunterschied soll einen Anreiz liefern, in Süddeutschland zusätzliche Erzeugungskapazitäten zu bauen und zugleich den Druck erhöhen, den Netzausbau zu forcieren. Wesentlich weiter ist der Ausbau der europaweiten Gasnetzinfrastruktur. Hier war die Not der Treiber der Entwicklung. Als sich Russland und die Ukraine über den Gastransit stritten, waren viele Haushalte in osteuropäischen Ländern ohne Gas. Das Pipelinenetz musste robuster werden.

Seitdem ist viel geschehen. Der sogenannte Reverse-Flow ist dabei ein schönes Beispiel für gelebte europäische Solidarität: Viele Gaspipelines sind mittlerweile technisch so umgerüstet, dass Erdgas nicht nur aus dem Osten – also im Wesentlichen aus Russland – in Richtung Westen fließen kann, sondern bei Bedarf auch in die Gegenrichtung.

Zudem sind viele neue Leitungen hinzugekommen. Zusätzlich wird der Bezug von Gas aus Zentralasien vorangetrieben, neue Terminals für die Verarbeitung von verflüssigtem Erdgas (liquefied natural gas, kurz LNG) entstanden, sodass die Gasversorgung insgesamt deutlich robuster geworden ist.

Dass aber auch das Gasthema konfliktbehaftet ist, wird am Fall der Ostseepipeline Nord Stream 2 deutlich. Sie soll russisches Gas direkt nach Deutschland leiten. Die Sorge vieler EU-Staaten: Damit mache sich der Block abhängig von russischem Gas – zu einer Zeit, in der die EU-Russland-Beziehungen belastet sind.

Zudem schade das Projekt auch dem Partnerland Ukraine, das an Durchleitungsgebühren von russischem Gas verdient. Besonders die baltischen Staaten und Polen haben Angst vor ihrem riesigen Nachbarn und wollten den Pipelinebau stoppen. Die Entkopplung der Balten aus den russischem Energienetzen gilt als eine der größten Errungenschaften der Energieunion.

Auch der Kommission gefiel das Pipelinevorhaben nicht. Durch eine Reform der EU-Gasrichtlinie versuchten die EU-Institutionen Nord Stream 2 zu verhindern: Die strengen Regeln des Energiebinnenmarkts, die für innereuropäische Leitungen gelten, sollten auch bei neuen Gaspipelines von außerhalb der EU – wie Nord Stream 2 – Anwendung finden.

Demnach müssen Pipelinebetrieb und Gaslieferung getrennt sein, andere Lieferanten Zugang haben und der Preis Regulierungen unterliegen. Auflagen, die der hinter Nord Stream 2 stehende russische Gazprom-Konzern nicht erfüllen kann: Er ist sowohl als Lieferant als auch als Betreiber an dem Projekt beteiligt.

Länder wie Spanien ließen sich durch Ausnahmeregelungen für ihre Drittstaat-Energieprojekte auf die Seite der Kritiker ziehen. Andere, wie Österreich, Tschechien und Italien, befürworteten Deutschlands Kurs – da sie von den Gaslieferungen profitieren. Der Streit dauerte über ein Jahr, bis schließlich auf EU-Ebene ein Kompromiss mehrheitsfähig war: Nord Stream 2 fällt unter die EU-Regulierung.

Um die Umsetzung soll sich allerdings Berlin kümmern – und nicht Brüssel, wie ursprünglich beabsichtigt. Damit ist Nord Stream 2 zwar nicht gestoppt. Die Kritiker wollten vor der Europawahl Deutschland zumindest noch einige Steine in den Weg legen, vermuten Insider. Mehr war zeitlich wohl nicht möglich. Polen könnte nun versuchen, den nächsten Energiekommissar zu stellen, der dann weiter daran arbeiten würde, russisches Gas aus der EU fernzuhalten. Der Streit wird also vermutlich weitergehen.

Bündnis mit anderen Interessen

Derzeit hat die Kommission ein Auge auf den deutsch-italienischen Gasstreit. Deutschland plant eine Erhöhung der Fernleitungsentgelte, wodurch den Italienern Mehrkosten in Höhe 300 Millionen Euro entstehen könnten – mit erheblichen Auswirkungen auf den gesamten italienischen Gasmarkt.

Außerdem moniert die italienische Gasbehörde, das neue Preissystem, das eng vernetzte Gasnetze begünstigt, wie sie innerhalb von Deutschland bestehen, könnte die Gaspreisbildung in verschiedenen EU-Ländern verfälschen. Auch die Drei-Meere-Initiative wird in Brüssel kritisch beobachtet. Diese Initiative ist ein Zusammenschluss von zwölf mittel- und osteuropäischen Ländern, die unter anderem in der Energiepolitik eine Gegenmacht zu Berlin und Paris bilden wollen.

Befürchtet wird, dass das Bündnis Konflikte schürt, statt auf einen Energiebinnenmarkt hinzuarbeiten. „Ich fand immer, dass Europa mit beiden Seiten seiner Lunge atmen muss: dem Osten und dem Westen, weil ihm sonst die Luft ausgeht“, mahnte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf dem Drei-Meere-Gipfel in Bukarest im vergangenen September.

„Manchmal habe ich den Eindruck, dass es außer Atem gerät, weshalb wir uns unter Europäern über eine verstärkte Zusammenarbeit verständigen müssen, im Sinne der gemeinsamen Sprache zwischen Ost und West.“ Die Kommission habe geliefert, nun komme es auf die Mitgliedsländer an, meint Junckers Vizepräsident Sefcovic. Sie müssten, die Energie- und Klimapläne umzusetzen. Ebenso sollten sie ihre Energiebesteuerung überdenken und Anreize für Nachhaltigkeit geben.

Besonders wichtig sei zudem eine gemeinsame Strategie für den Batteriemarkt: „Werden keine Maßnahmen ergriffen, um die Batterieproduktion zu fördern, besteht die Gefahr, dass Europa endgültig hinter seinen Konkurrenten auf dem globalen Batteriemarkt zurückbleibt und von der Einfuhr von Batteriezellen abhängig wird“, warnt die Kommission. Europas Anteil an der weltweiten Batteriezellenproduktion liegt derzeit bei nur drei Prozent, während Asiens Anteil 85 Prozent ausmacht.