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Europa: Welche Narben bleiben nach Corona und Brexit?

Der Börsen-Herbst verspricht stürmisch zu werden. Prägend wird der Dreiklang Wachstum-Corona-Politik, alle sind eng miteinander verbunden. Aber es gibt Anzeichen, dass das nur eine heilsame Übergangsphase sein könnte.

Die erste und kurzfristig größte Herausforderung für Europa ist die zweite Corona-Welle. Die Heftigkeit dieser Entwicklung übertrifft alle Pessimisten, auch ich bin von der Dramatik überrascht. Die Dynamik der vergangenen Wochen hat nicht nur die Hochpunkte der Frühjahrssaison weit überschritten, sie hat erneut das erreichte Verständnis von Corona hinterfragt. Ein amerikanisches Newsportal titelte kürzlich, sinnbildlich übersetzt: „Italien hat alles richtig gemacht und konnte Corona trotzdem nicht aufhalten“.

Ich glaube, diese Headline trifft es gut. Geschockt von der ersten Welle, die in Norditalien besonders dramatisch und tödlich war, waren Maskenpflicht und Abstandsregeln in Italien ausgeprägter als anderswo in Europa. Dennoch sind in einem Monat die Zahlen von 1.600 Neuinfektionen pro Tag auf zuletzt über 20.000 gestiegen und damit mehr als dreimal so hoch wie die gemessenen Spitzenwerte im Frühjahr. Auch Spanien und Frankreich reihen sich in den Kreis der bislang acht Länder ein, die inzwischen über eine Million Corona-Fälle haben.

Die zweite Herausforderung Europas betrifft die EU. Sie büßt an internationaler Statur ein, weil sie eine ihrer führenden Volkswirtschaften und das bedeutendste europäische Finanzcenter verliert: Das Vereinigte Königreich. Sicher ist nur, dass die Scheidung kommt. Der künftige Umgang miteinander wird noch verhandelt. Derzeit sieht es so aus, als ob Nebengefechte und Selbstdarstellung das Erreichen eines zumindest abgemagerten („Skinny“) Freihandelsdeals gefährden. Dieses Verhältnis ertragreich für beide Seiten zu gestalten, ist für Europas Zukunft in der Welt entscheidend.

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Die dritte große Herausforderung für Europa ist, im Konzert der Weltmächte eine Stimme zu bleiben, die gehört wird. Der sich verschärfende „Kalte Krieg“ im Technologiebereich zwischen den USA und China birgt große Herausforderungen und die aggressive Positionierung der Türkei gegenüber den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern zeigt, dass der Respekt, der der EU von außen entgegengebracht wird, gelitten hat. Steht nun Europa, insbesondere Kontinentaleuropa davor, wirtschaftlich und an den Kapitalmärkten abgehängt zu werden? Ist Europa sozusagen die globale „Stahlindustrie“ im Regionenvergleich?

Nein. Wer das Grablied dieser Region singt, singt zu früh. Fangen wir mit der aktuell größten Herausforderung an: Corona. Europa hat die Pandemie von Anfang an ernst genommen, so ernst wie nur wenige andere. Wie viele andere hat man sich vielleicht zu sehr auf die Hoffnung der Impfung verlegt, die aber in der jetzigen Welle niemanden weltweit schon helfen kann. Großflächige wirtschaftliche Lockdowns (nicht die Frage von Vorziehen von Sperrstunden) erwarte ich derzeit weiterhin nicht, dazu ist die Pandemie in den Komponenten Sterblichkeit und Belastung des Gesundheitssystems nicht mehr so ausgeprägt wie noch im Frühjahr. Die Abflachung des Wirtschaftswachstums im vierten Quartal war erwartet, sie dürfte nun aber ausgeprägter ausfallen.

Europa geht in diese zweite Welle mit wirtschaftspolitischen Instrumenten, die in der ersten Welle bereits vereinbart und durchgesetzt wurden: Einer Europäischen Zentralbank EZB, die weniger gebunden ist durch den Kapitalschlüssel (Anteil der Mitgliedstaaten am EZB-Kapital) und einem European Recovery Fund/ Next Generation EU, der die Notwendigkeit, Schwachen in der Krise zu helfen, auf ein supranationales Level gehoben hat. Allerdings sollte dieser dann auch baldmöglichst durch die Ratifizierungsverfahren genehmigt werden und darf nicht im EU-Institutionenkampf stecken bleiben – das ist meine feste Grundannahme.

Trotz der dramatischen Meldungen hierzulande dürfte damit Europa im internationalen Vergleich nicht schlecht aus der Krise kommen, schlechter sicher als China, aber keinesfalls als Region, die insgesamt die Herausforderungen der Pandemie bislang schlecht gemanagt hat. Und bei all den Hoffnungen auf einen Impfstoff: auch europäische Unternehmen sind hier führend in der Entwicklung tätig.

Die einzig wirklich positive Nachricht zum Stand der Brexit-Verhandlungen ist, dass ein Ende absehbar ist. In den nächsten Wochen werden wir wissen, wie die zukünftigen Beziehungen zwischen EU und UK institutionalisiert werden. Ich glaube immer noch an das rationale Kalkül bei beiden Verhandlungsparteien und deswegen ist mein Basisszenario ein abgespecktes Freihandelsabkommen vor Jahresende.

Den Ballast dieser Verhandlungen abgeworfen zu haben, wird im positiven Sinne Ressourcen freisetzen. Der Wettbewerb zwischen EU und UK wird die Tendenz verstärken, nicht alles Heil in den staatlichen Ausgaben und Regulierung zu suchen. Insofern besteht sogar ein positives Überraschungsmoment: ein guter Brexit-Deal könnte sich für beide Seiten als heilsam erweisen und marktwirtschaftliche Kräfte stärken.

Ressourcen und Stimmen braucht die EU auch im Außenverhältnis. Dabei sind die Herausforderungen durch die Türkei eher die kleinere Aufgabe, Die größere Herausforderung dürfte im sich stets beschleunigenden „Cold Tech War“ zwischen den USA und China liegen. Die kritische Sicht Chinas ist eines der wenigen Themen, wo in den USA Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern besteht, und Europa hat sich im Zuge der internationalen Arbeitsteilung gut positioniert, billige Breitentechnologie aus China und führende Technologie aus den USA zu importieren. Daraus ist aber eine Abhängigkeit von beiden Seiten auf vielfache Weise entstanden und damit hat Europa in einem neuen kalten Krieg im Technologiebereich am meisten zu verlieren.

Vielleicht ist das aber auch ein Weckruf, in Technologien zu investieren, die Europa bislang verschlafen hat. So wie Lieferketten in vielen Industrien hinterfragt werden, dürfte auch Europa anfangen darüber nachzudenken, unabhängiger zu werden, einerseits durch Förderung technischer Entwicklungen in Europa. Andererseits ist Europa auf politischer Ebene gefragt und bringt erhebliches Know-how ein, wie kalte Kriege zu beenden sind.

Fazit: Europa wird durch Corona und den Brexit Narben davon tragen. Aber Europa bewegt sich. Es abzuschreiben, wäre ein Fehler, auch an den Kapitalmärkten.

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