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Europa-Staatsminister Roth kritisiert Blockadehaltung bei EU-Erweiterung auf dem Balkan

Die Aufnahme neuer EU-Mitglieder auf dem Westbalkan ist ins Stocken geraten. Michael Roth warnt vor negativen Folgen, sollte die EU die Region Russland und China überlassen.

Bulgarien verhindert bisher weitere Schritte im Beitrittsprozess der Balkan-Staaten. Foto: dpa
Bulgarien verhindert bisher weitere Schritte im Beitrittsprozess der Balkan-Staaten. Foto: dpa

Michael Roth setzt seine Hoffnungen auf Portugal. Das westeuropäische Land übernimmt am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland und könnte dann Bewegung in den Prozess der EU-Erweiterung auf dem Westbalkan bringen. Ein Thema, bei dem die Bundesrepublik in den vergangenen sechs Monaten keine Fortschritte erzielen konnte. Aus seinem Unmut darüber macht der Europa-Staatsminister keinen Hehl.

„Natürlich bin ich darüber enttäuscht, dass wir im Kreis der EU jetzt nicht den nächsten Schritt machen konnten. Denn wir brauchen dringend positive Signale für den Westbalkan. Auf dem Spiel steht nicht weniger als unsere Glaubwürdigkeit“, sagte Roth dem Handelsblatt in Brüssel.

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„Wir müssen in die Puschen kommen. Denn Frieden, regionale Versöhnung und Demokratie auf dem Westbalkan sind für ganz Europa von zentraler strategischer Bedeutung, auch und gerade für die unmittelbare Nachbarschaft.“ Er sei zuversichtlich, dass die EU in der anstehenden portugiesischen Ratspräsidentschaft die nächsten Schritte machen und dann endlich die ersten Regierungskonferenzen mit Nordmazedonien und auch Albanien in die Tat umsetzen könne.

Deutschland musste zum Ende seiner halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft in der EU-Balkan-Politik im Dezember einen herben Rückschlag erleben. Nachdem bereits Bulgarien aus innenpolitischen Gründen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit seinem Nachbarland Nordmazedonien verhindert hatte, blockierten zuletzt auch Tschechien und die Slowakei einen wichtigen Text zu den Fortschritten der geplanten EU-Erweiterung in Südosteuropa.

Die beiden EU-Länder begründeten dies mit ihrer Verärgerung über das Verhalten Bulgariens. Auf Druck Sofias war ein Verweis auf Geschichtsstreitigkeiten mit Nordmazedonien aufgenommen worden. Bei manchem EU-Mitglied stelle er eine „gewisse Mutlosigkeit“ fest, sich über innenpolitisch motivierte Bedenken hinwegzusetzen, sagte Roth.

Deutsche Ratspräsidentschaft warnt vor Einfluss Russlands und Chinas

Durch die diplomatischen Querelen werden auch die Beitrittsgespräche mit Albanien blockiert. Die EU hatte im März beschlossen, mit Nordmazedonien und Albanien Verhandlungen über eine Mitgliedschaft aufzunehmen. Bereits seit Jahren laufen die Beitrittsgespräche mit Serbien und Montenegro. Doch beide Länder kommen in ihrem Annäherungsprozess nur mühsam voran. Auch Kosovo und Bosnien-Herzegowina streben in die EU.

Doch die jungen Staaten stehen noch am Anfang ihres Weges nach Europa. Neben Deutschland macht auch Österreich politischen Druck in Brüssel. „Der Prozess darf nicht gestoppt werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Integration in den nächsten zehn Jahren erreichen werden“, sagte die österreichische Europa-Ministerin Karoline Edtstadler zuletzt dem Handelsblatt. „Die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan ist auch eine Frage der Sicherheit und Stabilität, gerade für Österreich wegen seiner geografischen Nähe zur Region.“

Die Balkan-Staaten werden seit Jahren von Großmächten wie Russland und China umworben. Aber auch die Türkei baut ihren Einfluss in Südosteuropa aus. In Brüssel und Berlin wird befürchtet, dass die politischen und wirtschaftlichen Interessen von Mächten außerhalb der EU den noch langen Weg zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und grenzüberschreitender Zusammenarbeit verlangsamen könnten.

„Wenn die EU auf dem Westbalkan ein Vakuum hinterlässt, werden andere Mächte aus geostrategischen Gründen in dieses Vakuum stoßen, welche die demokratischen Werte der Europäischen Union nicht teilen“, warnt Roth. Sollte die EU nicht Wort halten und deshalb die nationalistischen und populistischen Kräfte in der Region stärken, dann habe das auch Konsequenzen für die Sicherheit und Stabilität der EU, vor allem der angrenzenden Staaten, fürchtet der Sozialdemokrat.

„Man schneidet sich ins eigene Fleisch“, sagt Roth eindringlich. Jedes weitere Zögern der EU werde als Schwäche ausgelegt in einer Welt, in der das Autoritäre an Kraft gewonnen hat und die Demokratie zunehmend unter Druck gerate. Deutschland setzte sich zuletzt intensiv ein, um Bulgarien zum Einlenken im Streit mit Nordmazedonien zu bewegen.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Sofia gelten als gut. Doch die Bemühungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft scheiterten bislang. „Gute Vorschläge lagen auf dem Tisch, auch mit Blick auf die schwierigen Sprach- und Namensfragen zwischen Bulgarien und Nordmazedonien. Aber zu meinem großen persönlichen Bedauern, und zum Bedauern der überwältigenden Mehrheit der Mitgliedstaaten, konnten wir unter deutscher Ratspräsidentschaft den nächsten Schritt nicht gehen“, sagt Roth.

Der bulgarische Premier Bojko Borissow war nicht zum Einlenken zu bewegen. „Wir sind Bulgarien sehr weit entgegengekommen. Doch nationalistische Reflexe scheinen fairen und tragfähigen Kompromissen im Wege gestanden zu haben“, vermutet der Staatsminister. Man könne Ländern wie Nordmazedonien und Albanien nicht erst schwierige und anstrengende Reformen abverlangen und dann selbst nicht liefern.

Das werde dort verständlicherweise als „ausgesprochen unfair“ empfunden. Nordmazedonien hatte 2019 einen langen Namensstreit mit Griechenland beigelegt. Albanien hat eine kontroverse Justizreform durchgesetzt, die zu mehr Rechtsstaatlichkeit führen soll.

Portugal weiß um die Bedeutung des Balkans

Unter der portugiesischen Ratspräsidentschaft wird es keinen harten Wechsel in der Balkanpolitik geben. Denn Berlin hat Portugal und Slowenien, das den EU-Ratsvorsitz in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres übernehmen wird, früh eingebunden.

„Portugal weiß um die Bedeutung des Balkans für die Stabilität ganz Europas. Ich vertraue darauf, dass Portugal den Beitrittsprozess vorantreiben wird.“ Lissabon könne auf die volle Unterstützung der Bundesregierung zählen.

In Südosteuropa wird der Erweiterungsprozess der EU mit Argusaugen beobachtet. Denn weitere Fortschritte im Kampf gegen Korruption oder bei der Unabhängigkeit der Justiz beeinflussen unmittelbar die Auswanderungsbereitschaft vor allem junger Arbeitskräfte.

„Die junge Generation stimmt längst mit den Füßen ab. Sie verlässt die Heimat, weil sie für sich keine Perspektive mehr sieht. Das ist eine Tragödie für die Balkanländer“, sagt Roth. Schon heute fehlen in vielen Staaten der Region Ärzte, Krankenschwestern, Fachkräfte und Ingenieure.

Die EU hatte sich zuletzt auf dem Westbalkan im Zuge der Pandemie sehr engagiert. Allein im Kampf gegen die Coronakrise haben sie die Länder mit 3,3 Milliarden Euro unterstützt. Außerdem gibt es ein eigenes Wirtschafts- und Investitionspaket der EU-Kommission für die Region von bis zu neun Milliarden Euro. Auch bei den Impfungen könne der Westbalkan auf die europäische Solidarität vertrauen, sagte Roth.

Doch es gelinge der EU noch zu selten, unsere massive Solidarität und Unterstützung auch ins Bild zu setzen. „Die EU muss in der emotionalen Wahrnehmung der Menschen stärker werden. Dabei geht es nicht darum, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Es geht letztlich um die Selbstbehauptung Europas im Systemwettbewerb mit autoritären Mächten, die sonst mitten in Europa vor Anker gehen“, sagte der Staatsminister.