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Europa mangelt es an Humankapital

Die Ressourcen werden knapp in Europa: Es geht nicht um Bodenschätze, sondern um die Menschen. Ein altes Europa ist auch ein wirtschaftliches Problem.

Europa wird alt. Die Kinderzahlen sind die niedrigsten weltweit, die Lebenserwartung dagegen ist hier am höchsten. Das zeigt die Studie „Europas demografische Zukunft“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Wirtschaftlich steht damit ganz Europa, vor allem aber die EU vor einem Problem: Denn mittlerweile sind Industrieanlagen, Agrarland und Bodenschätze nur noch die zweitwichtigste Ressource. Wichtiger im weltweiten Wettbewerb sind die Kenntnisse und Fähigkeiten der Menschen in den verschiedenen Ländern.

Grund für den jüngsten Geburtenrückgang ist vor allem die wirtschaftliche Unsicherheit in vielen Ländern nach der Krise 2008. Die dadurch ausgelöste Zuwanderung der Menschen aus südlichen Ländern Europas konnte zwar die Arbeitsmärkte im Mittelmeerraum kurzfristig entlasten. Auf lange Sicht sei sie aber problematisch für die betroffenen Länder, schreiben die Studienautoren. Hat ein Land nicht genug Arbeitskräfte, also Humankapital, kann es sich nicht mit anderen Ländern messen und sich selbst kaum in eine stabile wirtschaftliche Lage bringen. Der Mangel an Fachkräften hat dann auch direkte Auswirkungen auf die Gesellschaft: Gibt es nicht genug Ärzte, können nicht alle Menschen die erforderlichen Behandlungen erhalten, gibt es nicht genug Lehrer, leidet das Bildungssystem.

Zusätzlich zum inner-europäischen Wandel kommt die Zuwanderung der Asylbewerber aus Syrien, dem Irak, Iran, Eritrea und Somalia. Menschen, die aus diesen Ländern nach Deutschland flüchten, haben eine gute Bleibeperspektive, mehr als die Hälfte der Asylanträge aus diesen Ländern wird genehmigt. Dazu kommen Menschen, die aus Ländern wie Afghanistan oder Serbien und Mazedonien kommen, die von der Regierung als sicher oder teilweise sicher eingestuft wurden und demnach eine geringere Chance auf Asyl haben.

Diese Zuwanderung stellt die EU vor eine Mammutaufgabe, die seit 2015 zu Konflikten zwischen den Ländern führt. Trotzdem kann die Krise auch positive Folgen haben. Deutschland hatte laut dem Berlin-Institut den höchsten Bevölkerungsgewinn seit Jahrzehnten – durch die Zuwanderung der Asylbewerber. Zuwanderer seien im Schnitt jünger als die einheimische Bevölkerung und können daher „den Folgen der Alterung entgegenwirken“, lautet die Schlussfolgerung in der Studie. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Integration dieser Menschen gelingt und sie möglichst schnell einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden.

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Deutschland altert weiter - aber schrumpft nicht mehr

Wie effektiv Deutschland die Zuwanderung nutzen kann, muss sich erst zeigen. Stephan Sievert, Leiter des Ressorts Migration und Arbeitsmarkt am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, blickt aber durchaus positiv in die Zukunft: „Die Integration dieser Menschen ist eine große und schwierige Aufgabe, aber auch eine wirkliche Chance. Deutschland wird zwar weiter altern, aber in den nächsten zwei Jahrzehnten kaum schrumpfen."

Gerade jetzt sei die Integration der Flüchtlinge machbar, erklärt Sievert: „Wir haben noch bis Mitte der 2020er Zeit, bis die Generation der Babyboomer in Rente geht. Es wird knapp, aber aus früheren Erfahrungen hat sich gezeigt, dass diese acht bis zehn Jahre die ungefähre Zeitspanne bilden, die Migranten brauchen, um sich vollständig zu integrieren.“

Gelingt dies, so wäre das Alterungsproblem zwar nicht gelöst, könnte jedoch durch die zusätzlichen Arbeitskräfte zumindest gelindert werden. „Die Möglichkeiten zur Weiterbildung und zur Anerkennung von Abschlüssen haben sich für die Asylsuchenden in den letzten Jahren gebessert. Trotzdem muss das System noch effizienter werden, um die Menschen schneller und erfolgreicher auf den Arbeitsmarkt zu bringen“, erläutert Sievert.


Von West nach Ost?

Die Studie zeigt außerdem: Die Ströme der Bevölkerungswanderung innerhalb Deutschlands haben sich verändert. Nach der Wende 1989 hatten in den ersten 25 Jahren rund 1,8 Millionen Menschen die ehemalige DDR verlassen. Erst vor drei Jahren, also 2013, fand der Ausgleich statt. Demnach liegen Berlin und Leipzig weit vorne in Sachen Zuwanderung, noch vor den süddeutschen Regionen in Bayern und Baden-Württemberg. Grund dafür ist Berlins Start-up Szene und Leipzigs Messe und Automobilbau.

Ob man in Zukunft sogar den Umkehrschluss, also eine Wanderung vom Westen in den Osten Deutschlands erwarten kann, will Sievert weder bestätigen noch ausschließen: „Das kommt ganz drauf an, wie sich die verschiedenen Regionen entwickeln und ob Regionen im Osten attraktiver für Arbeitnehmer werden als die westlichen Regionen. Ich will da keine Prognose wagen, aber die jetzige, ausgeglichene Ausgangssituation schließt die Möglichkeit nicht aus.“

Ebenfalls in Richtung Ausgleich entwickeln sich mitteleuropäische Länder, allen voran Tschechien: 2016 war es das Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit in ganz Europa. „Die Länder in Mitteleuropa machen eine gute Entwicklung durch und schaffen langsam aber sicher den Anschluss. Im Gegensatz dazu leiden die südöstlichen Länder unter einem Fachkräftemangel durch die hohe Abwanderungszahl“ weiß Sievert.

Das stelle Länder wie Rumänien oder Bulgarien vor einen Konflikt: Sie stehen Zuwanderern kritisch gegenüber, egal woher diese kommen, können die eigenen Leute aber kaum im Land halten. Die beiden Staaten sind die ärmsten Mitgliedsländer der EU. Auch die baltischen Staaten leiden unter den Verlusten durch die Abwanderungen.

Besonders überraschend sind diese Ergebnisse für die wenigsten. Das weiß auch Sievert: „Die großen Trends sind sicherlich nichts Neues – die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Geburten sind ein altbekanntes Problem. Spannend finde ich vor allem, dass wir mit der Studie den engen Zusammenhang von ökonomischen und demografischen Entwicklungen zeigen konnten.“ Sievert spricht vom Rückgang der Geburten nach der Wirtschaftskrise 2008: Ab den 2000ern bis zur Krise war ein Bevölkerungswachstum in den meisten Ländern Europas zu beobachten, nach der Krise brachen die Zahlen ein.

„Außerdem ist es überraschend, wie stark die Bevölkerungszahlen der osteuropäischen Länder schon jetzt durch die niedrigen Geburtenraten in den 1990ern beeinflusst werden“, erklärt Sievert. Diese Länder altern deutlich schneller als der Rest und könnten schon in wenigen Jahren, nach einigen Ländern in Südeuropa, zu den ältesten der Welt gehören.