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Hygieneregeln, Start- und Landerechte: EU-Minister suchen den Weg aus der Luftfahrtkrise

Geisterflüge, klamme Airports: Politiker und Luftverkehrswirtschaft diskutieren, wie die Branche die Krise überlebt. Es geht auch um Start- und Landerechte.

Die Branche berät sich mit den EU-Verkehrsministern, wie es in und um die Krise herum weitergeht. Foto: dpa
Die Branche berät sich mit den EU-Verkehrsministern, wie es in und um die Krise herum weitergeht. Foto: dpa

Am Donnerstag wollen die Verkehrsminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Lage der Luftverkehrswirtschaft beraten. Es gehe darum, Empfehlungen für die EU-Kommission auszusprechen, hieß es im Bundesverkehrsministerium. Eine entsprechende Einladung hat der deutsche Minister Andreas Scheuer (CSU) an seine Kollegen sowie die Chefs großer Fluggesellschaften, Hersteller, Flughäfen und Flugsicherungen ausgesprochen.

Verbindliche Beschlüsse kann die Runde nicht fällen. Zunächst wollten sich die Minister ein Bild über die aktuelle Lage des Luftverkehrs in Europa machen, der in der Coronakrise fast vollständig zum Erliegen gekommen war. Außer wenigen Cargoflügen fand Luftverkehr zwischenzeitlich nicht mehr statt.

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Dies hat nicht nur Folgen für die Fluggesellschaften, die von ihren Heimatstaaten mit Hilfen in Milliardenhöhe gestützt werden mussten. So erhielt allein die Lufthansa neun Milliarden Euro. Auch die Flughäfen leiden unter der Krise, ebenso die Flugsicherungen, die sich von Gebühren je Flugbewegung finanzieren. Mittlerweile wird zwar wieder etwas mehr geflogen. Dennoch: Niemand kann gesichert vorhersagen, wie schnell sich die Situation weiter verbessern wird.

So erklärte Alexandre de Juniac, der Generaldirektor der weltweiten Airline-Organisation Iata, kürzlich, die jüngsten Zahlen zeigten, dass Europa immer noch mehr als 60 Prozent weniger Passagiere habe als vor dem Lockdown. Im internationalen Verkehr liege das Minus sogar noch bei 85 Prozent. „Die Regierungen werden weiterhin regulatorische und finanzielle Unterstützung für den Luftverkehr geben müssen“, sagte de Juniac.

Gerade die wichtigen Erlöse auf Langstreckenverbindungen etwa zwischen den USA und Europa fehlen den Airlines. In ihrer Not haben die Chefs der großen Fluggesellschaften in einem öffentlichen Brief an US-Vizepräsident Mike Pence und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson eine baldige Öffnung des transatlantischen Verkehrs angemahnt. Eine Antwort auf die Pandemie sei eine Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Bürgern und Unternehmen, heißt es in dem Schreiben, das die CEOs von United, American Airlines, Lufthansa und der International Airlines Group (British Airways und Iberia) unterzeichnet haben.

Viele unterschiedliche Hygieneregeln

„Niemandem wird die andauernde Schließung dieses am wenigsten entbehrlichen Korridors für die globale Luftfahrt nutzen“, schreiben die Topmanager. Und schlagen konkrete Maßnahmen wie koordinierte Corona-Testprogramme vor. Die Hygienerichtlinien von Regierungen, Airlines und Flughäfen für Passagiere und Crews seien eine solide Basis für das Wiederhochfahren des Luftverkehrs.

Damit wollen die Airline-Chefs ein aktuelles Kernproblem lösen. Die sehr unterschiedlichen Regierungsmaßnahmen in den einzelnen Ländern sowie die Tatsache, dass sie sich ständig ändern, halten viele Bürger davon ab, Flüge zu buchen. Gleichzeitig müssen die Airlines das Flugprogramm wieder hochfahren, um Kunden überhaupt ein Angebot unterbreiten zu können.

Die EU-Verkehrsminister wollen daher versuchen, sich auf gemeinsame Hygieneregeln für den Flugverkehr zu verständigen. Ziel sei es, Empfehlungen für einheitliche Regeln etwa bei der Klimatisierung der Flugzeuge und dem Einsatz von Mund-Nasen-Schutz zu geben. Dies sei besser, als darauf zu bestehen, dass einzelne Sitzplätze im Flugzeug frei bleiben müssen, hieß es.

„Wir erwarten einheitliche europäische Standards, damit es keine Probleme mehr gibt, wenn jemand von einem Land in ein anderes fliegen will“, sagte auch der Luftfahrtkoordinator der Bundesregierung, Thomas Jarzombek (CDU), dem Handelsblatt: „Auch muss es zu einem Regelwerk für interkontinentale Flüge kommen.“ Der Koordinator nimmt nicht an dem Treffen teil, da er im Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist.

Airlines bangen um Slots

Hingegen wird Lufthansa-Chef Carsten Spohr dabei sein. Wie es hieß, wolle er beim Ministertreffen dafür werben, dass die Ausnahmen für wertvolle Start- und Landerechte an Flughäfen für Fluggesellschaften vorerst erhalten bleiben.

Es geht dabei um die sogenannte „80/20-Regel“. Sie sieht vor, dass Fluggesellschaften ihre Start- und Landerechte während einer Flugplanperiode zu vier Fünfteln nutzen müssen, um sie in der folgenden Saison behalten zu dürfen („Use it or lose it“-Prinzip). Wegen der Coronakrise flogen viele Airlines sogar teilweise ohne Passagiere, um die Slots behalten zu können. Die EU-Kommission hatte daraufhin mit Zustimmung des EU-Parlaments die 80/20-Regel außer Kraft gesetzt. Begründet wurde dies mit „höherer Gewalt“.

Die Regelung läuft allerdings im Oktober aus. „Es ergibt keinen Sinn, mit leeren Flugzeugen zu fliegen, um Slots zu erhalten“, hieß es bei Lufthansa, weder wirtschaftlich noch ökologisch. Die schwache Auslastung decke dabei vielfach nicht einmal die Betriebskosten.

Viele Flughafenbetreiber argumentieren dagegen mit Blick auf ihre Gebühreneinnahmen, dass es durchaus Interesse an den Verkehrsrechten gebe. Wenn die Eigentümer der Slots sie nicht nutzten, sollten sie daher an andere abgegeben werden. Das sei auch für die „Konnektivität“, also die Verbindungsqualität der Airports, wichtig. Ebenso argumentieren Flugsicherungen, die mit jeder Start- und Landebewegung Gebühren erheben. In Frankfurt, dem größten deutschen Drehkreuz, lag die Zahl der abgefertigten Fluggäste in der Woche vom 13. bis 19. Juli noch um 80,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres.

Kurzarbeit soll verlängert werden

Die Aussicht auf eine nur langsame Erholung führt dazu, dass immer mehr Unternehmen in der Luftfahrt damit beginnen, Personal abzubauen. Das betrifft Airlines wie Lufthansa, Easyjet oder Air France-KLM. Ryanair droht gar damit, Standorte an Flughäfen zu schließen.

Aber auch die Airports streichen Stellen. In Frankfurt stehen bis zu 4000 Stellen zur Disposition. Die Berliner Flughafengesellschaft will rund 400 Arbeitsplätze abbauen – jede fünfte Stelle.

Auch die Dienstleister leiden, etwa die Bodenverkehrsdienste, die zum Beispiel die Koffer aus- und einladen. Der Arbeitgeberverband ABL fordert deshalb, die Kurzarbeit auf 24 Monate zu verlängern, um die Folgen von Corona zumindest etwas abzufedern. „Die Luftfahrt befindet sich weiterhin in der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs, eine kurzfristige Erholung ist nicht absehbar“, wird Thomas Richter, Vorsitzender des Verbands, in einer Mitteilung zitiert.

In der Krise rücken auch der internationale Wettbewerb und mögliche Ungleichbehandlungen wieder in den Fokus. So wolle Lufthansa-Chef Spohr bei dem Ministertreffen die Problematik des europäischen Emissionshandels ansprechen, hieß es. In den Handel sind derzeit innereuropäische Flüge einbezogen, die mit Zertifikaten ihre CO2-Emissionen bezahlen müssen. Dies gilt auch für innereuropäische Zubringerflüge zu großen Hubs wie Frankfurt und München.

Einheitlicher Luftraum bleibt außen vor

Zubringerflüge zu Hubs im nahen Ausland außerhalb der EU hingegen, etwa nach Istanbul, Doha oder nach dem Brexit auch London-Heathrow, unterliegen nicht dem Emissionshandel. „Diese Hubs haben damit einen klaren Wettbewerbsvorteil, der für uns eine deutliche Verschlechterung bedeutet“, erklärte die Lufthansa. Die EU-Kommission plant derweil, die Zahl der kostenlosen Emissionsrechte für den Luftverkehr zu kürzen.

Die Frage eines einheitlich europäischen Luftraums („Single European Sky“) werde nicht behandelt, wurde kommuniziert. Die EU-Kommission habe entgegen ihrer Ankündigung noch keinen Vorschlag unterbreitet. Durch den einheitlichen Luftraum sollen Flüge verkürzt und Emissionen verringert werden.

Entsprechend fordert der Luftfahrtkoordinator der Bundesregierung, das Thema angesichts der Krise mit Verve voranzubringen. „Es ist sehr wichtig, dass auf europäischer Ebene die grüne Luftfahrt vorangebracht wird“, sagte Jarzombek. „Dazu gehören regulatorisch der ‚Single European Sky‘ und neue Flugrouten-Verfahren, um unnötige Umwege aufgrund nationaler Egoismen endlich zu beenden. Damit sparen die Fluggesellschaften in der schwierigen Coronalage deutlich an Kosten für Kerosin und können schnell ihre Klimawirkung reduzieren.“