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Die EU schottet Großbritannien ab

Eine Mutation des Coronavirus in Großbritannien alarmiert die EU. Überall werden Grenzen geschlossen. Auch viele Lieferketten sind betroffen.

Lkw-Schlange in Dover: Versorgungsengpässe in Großbritannien drohen. Foto: dpa
Lkw-Schlange in Dover: Versorgungsengpässe in Großbritannien drohen. Foto: dpa

Schon bevor die Übergangsfrist am 31. Dezember ausläuft, nimmt der Brexit Gestalt an: Nachdem sich in Südengland eine Mutation des Coronavirus mit großer Geschwindigkeit ausbreitet, schließt ein europäisches Land nach dem anderen seine Grenzen für Reisende und teilweise auch für Waren aus Großbritannien. Der Hafen von Dover wurde für Lkws gesperrt, die Flüge von und nach Großbritannien wurden in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern gestrichen.

Auf EU-Ebene wurde versucht, die Aktionen zu koordinieren, um auch Einreisen über Drittländer zu unterbinden. „Denn es ist natürlich wichtig, dass es eine Regelung ist, die für alle gilt“, so Bundesaußenminister Heiko Maas. Auch in Indien, Hongkong, Kanada oder Argentinien dürfen Flugzeuge aus Großbritannien aktuell nicht mehr landen.

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An deutschen Flughäfen gestrandete Passagiere aus dem Vereinigten Königreich werden gezielt auf das mutierte Virus untersucht. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) rechtfertigte die Einreisebeschränkungen als „richtig“ – und forderte eine „konsequente Quarantäne für Auslandsreiserückkehrer“.

Die Abriegelung Großbritanniens aus Furcht vor der ansteckenderen Virusvariante verunsicherte am Montag auch die Finanzmärkte. Der deutsche Aktienindex Dax verlor mehr als drei Prozent, ebenso der Euro Stoxx 50. Das britische Pfund gab 1,6 Prozent gegenüber dem Euro nach.

Ökonomen warnen vor den ökonomischen Folgen der Blockadepolitik: „Die Symbolwirkung der Abschottung zum jetzigen Zeitpunkt könnte deutlicher nicht sein, auch wenn sie durch die Pandemie bedingt ist“, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. Er warnte vor der Unterbrechung von Lieferketten und Versorgungsengpässen in Großbritannien.

Es war ein regelrechtes Flehen. „Vermeiden Sie zu reisen. Vermeiden Sie, so es irgendwie geht, auch den Besuch bei Verwandten und Freunden“, rief eine Sprecherin der Bundesregierung die Bürger am Montag vor den Weihnachtsfeiertagen auf. „Wenn Weihnachten nicht zu einer weiteren Verschlimmerung der Lage beitragen soll, dann gilt, dass wir am besten alle zu Hause bleiben.“

Trotz des Teil-Lockdowns ist das Corona-Infektionsgeschehen in Deutschland weiterhin hoch. Das Robert Koch-Institut meldete am Montag 16.643 neue Infektionsfälle binnen eines Tages – am Montag vergangener Woche waren es 16.362 gewesen.

"Ich denke, dass Virus ist schon in Deutschland"

Und jetzt verschärft auch noch eine in Großbritannien aufgetretene und offenbar ansteckendere Mutation des Virus die Lage in Europa. Schöne Bescherung.

Der Virologe Christian Drosten geht davon aus, dass die neue Variante des Coronavirus Deutschland längst erreicht hat. „Ich denke, dass das schon in Deutschland ist“, sagte Drosten im Deutschlandfunk.

Vieles spricht dafür. Laut dem Europäischen Zentrum für Krankheitsprävention und -kontrolle ist das mutierte Virus bereits in mindestens drei weiteren europäischen Ländern gemeldet worden.

Es habe Berichte über einige Fälle mit der neuen Version in Island, Dänemark und den Niederlanden gegeben. Auch in Belgien und in Italien soll es Fälle gegeben haben.

Eine vorläufige Analyse in Großbritannien deute an, dass die Variante „erheblich stärker übertragbar“ sei, doch es gebe keine Hinweise darauf, dass Infektionen schwerer seien, so das Zentrum für Krankheitsprävention. Großbritanniens Premier Boris Johnson hatte davon gesprochen, das Virus sei „70 Prozent ansteckender“.

Während Johnson daraufhin über Weihnachten einen harten Lockdown über sein Land verhängte, schloss die EU unmittelbar die Grenzen zu Großbritannien und fing Passagiere von der Insel an den Flughäfen ab. In Deutschland mussten die Gestrandeten stundenlang an den Airports ausharren. Doch selbst diese harten Maßnahmen dürften am Ende nicht dazu führen, die neue Form des Virus außer Landes halten zu können.

„Dieses Virus ist gar nicht so neu“

Ein Grund zur Panik besteht laut Experten dennoch nicht. So sagt Virologe Drosten: „Dieses Virus ist jetzt gar nicht so neu. Davon darf man sich jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen.“ Die 70 Prozent höhere Ansteckungsgefahr, die Johnson nannte, sei eher eine gegriffene Zahl.

Zu der gleichen Einschätzung kommt die Weltgesundheitsorganisation WHO. „Die Analyse, ob diese neuen Varianten zu einer erhöhten Ansteckung oder zu ernsthafteren Ausbrüchen führen, dauert noch an“, teilte ein Sprecher dem Handelsblatt mit. Bislang gibt es auch keine Hinweise darauf, dass die neue Form resistent gegen vorhandene Impfstoffe wäre.

Auch Bund und Länder wollten deshalb keine Diskussion darüber beginnen, ob der Lockdown über Weihnachten verschärft werden muss.

"Die Infektionszahlen sind zu hoch"

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte dem Handelsblatt: „Wir haben zurzeit noch keine fundierten Kenntnisse und auch Virologen raten zur Besonnenheit. Wichtig ist und bleibt heute und über die Feiertage: Alle Menschen müssen zu jederzeit achtsam sein und die AHA Regeln einhalten.“

„Die Infektionsdynamik ist in Deutschland nach wie vor zu hoch“, sagte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) dem Handelsblatt. „Das wichtigste Ziel muss daher sein, die Verbreitung der neuen Virusvariante in Deutschland zu verhindern. Deshalb ist es richtig, den Reiseverkehr mit Großbritannien konsequent einzuschränken.“

Aus Regierungskreisen in Berlin hieß es, es gebe „einzelne Stimmen, die bei den Reisen insgesamt noch mal fragen. Wichtig sei jetzt vor allem eisenharte Nachverfolgung der Quarantänefälle.“

Angespannter zeigten sich dagegen Wirtschaftsvertreter. Die erneuten Grenzschließungen drohen den Abschwung, in den der Lockdown die deutsche Wirtschaft in diesem Winter binnen eines Jahres wohl ein zweites Mal stoßen wird, zu verstärken.

Zwar gibt es dabei eine „gute“ Nachricht: Die Verflechtungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Europa haben sich im Vorfeld des Brexits bereits gelockert. Seit dem Referendum im Juni 2016 sanken die britischen Exporte in die EU um sieben Prozent auf 237 Milliarden Dollar im Jahr 2018. Die Importe der Briten sanken ebenfalls, um 13 Prozent auf 406 Milliarden Dollar.

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Auch Deutschland sei, wenn es zu Beeinträchtigungen der Handelsbeziehungen mit Großbritannien käme, kaum verletzlich, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr, „nur bei sehr speziellen und wenig essenziellen Produkten wie Cheddar Cheese oder Scotch“ sei man von der Insel stärker abhängig. Die Sorge geht allerdings um, dass die Mutation des Virus einen Lockdown über den 10. Januar 2021 hinaus noch wahrscheinlicher macht.

„Wir werden den harten Lockdown wohl bis mindestens Ende Januar durchhalten müssen“, sagte DIW-Ökonom Claus Michelsen. Die hohen Infektionszahlen ließen schnelle Lockerungen ab 10. Januar kaum zu. Dabei gelte eine einfache Regel: „Je länger der harte Lockdown, desto tiefer die Winterrezession.“

Der Hauptgeschäftsführer des Verbands „Die Familienunternehmer“, Albrecht von der Hagen, forderte daher mit Blick auf die neuen Grenzschließungen: „Die Warenströme zwischen den Ländern, wenigstens in der EU, dürfen nicht unterbrochen werden.“ Ohne offene Grenzen für den EU-Binnenmarkt würde man nie „das nötige Wachstum für 2021 erreichen, um die Arbeitslosigkeit begrenzen zu können, die uns durch die bisherigen Lockdowns droht“.

„Warenverkehr muss schnell wieder in Gang kommen“

Ähnlich sieht die Lage Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbands BGA. Er warnte vor einem Chaos des Warenverkehrs durch die Isolation Großbritanniens.

„Der Warenverkehr muss schnellstmöglich wieder in Gang kommen“, sagte Börner dem Handelsblatt. Aktuell sei aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Endes der Brexit-Übergangsfrist ohnehin bereits ein stark erhöhter Lieferverkehr zu beobachten, was an einigen Stellen schon zu chaotischen Zuständen und Verzögerungen führe.

In London saß der Schock entsprechend tief. Die britische Regierung hatte mit der scharfen Reaktion der EU offenbar nicht gerechnet. Die Einschränkung des Güterverkehrs sei überraschend gekommen, sagte Verkehrsminister Grant Shapps. Durch die Grenzschließungen bekommen die Briten nun ungeplant schon mal einen Vorgeschmack auf einen möglichen harten Brexit.

Besonders bei der Versorgung mit Lebensmitteln, die fast ausschließlich per Lkw geliefert werden, könnte es schnell knapp werden in britischen Supermärkten. Der Chef des Hafens Dover, Doug Bannister, klagte, bislang seien Lastwagenfahrer von Reiseverboten immer ausgenommen gewesen. Sollte dieses Verbot anhalten, hätte dies „krasse Folgen“. Sein Hafen schlage schließlich jährlich ein Handelsvolumen von 120 Milliarden Pfund um.

Die Grenzschließungen seien „extrem besorgniserregend“, sagte auch Adam Marshall vom britischen Handelskammerverband. Der Vorgang zeige die Bedeutung einer reibungslosen Logistik für britische Unternehmen und Verbraucher. Deshalb sei es so wichtig, ein Handelsabkommen mit der EU zu erreichen.

Großbritannien bei Lebensmitteln von EU abhängig

Großbritannien ist wirtschaftlich deutlich abhängiger von der EU als umgekehrt. Eine Studie des Münchener Ifo-Instituts zeigt, dass Deutschland bei schwer zu ersetzenden Zwischengütern nur fünf Prozent aus Großbritannien bezieht, Großbritannien aber zwölf Prozent dieser Zwischengüter aus Deutschland und insgesamt 64 Prozent aus der EU. Bei frischem Obst kommen 18 Prozent aller britischen Importe, bei frischem Gemüse gar 55 Prozent aus der EU.

Aus EU-Sicht kann es nicht schaden, vor dem Hintergrund der andauernden Brexit-Verhandlungen der britischen Regierung die Abhängigkeit von europäischen Lieferketten noch einmal vor Augen zu führen.

Es ist jedoch unklar, ob nun die Bereitschaft von Premier Johnson zu Kompromissen in den Freihandelsgesprächen steigt. Die Gespräche haken weiter an den beiden Streitpunkten Fischerei und fairer Wettbewerb.

Am 27. Dezember beginnt das Impfen

Das Europaparlament erklärte, dass man einen möglichen Vertrag nun nicht mehr bis zum Jahresende ratifizieren könne. Er müsste dann von den EU-Regierungschefs zunächst provisorisch in Kraft gesetzt werden.

In London forderten einige konservative Abgeordnete, die Übergangsperiode zu verlängern, um die Verhandlungen in Ruhe zu Ende führen zu können. Doch Johnson lehnt eine Verlängerung kategorisch ab. Dies würde den Einigungsdruck aus den Gesprächen nehmen, argumentiert der Premier.

Immerhin eine gute Nachricht gab es am Montag auch: Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Es handelt sich um das Präparat, das das Mainzer Unternehmen Biontech zusammen mit dem US-Konzern Pfizer herstellt. Am 27. Dezember kann nun mit dem lang ersehnten Impfen gegen Corona begonnen werden.

„Ich denke, dass das schon in Deutschland ist“, sagt Virologe Christian Drosten über das mutierte Coronavirus. Foto: dpa
„Ich denke, dass das schon in Deutschland ist“, sagt Virologe Christian Drosten über das mutierte Coronavirus. Foto: dpa
Menschenleere Oxford Street: Solch drastische Maßnahmen bleiben in Deutschland vorerst aus. Foto: dpa
Menschenleere Oxford Street: Solch drastische Maßnahmen bleiben in Deutschland vorerst aus. Foto: dpa