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EU-Energiekommissarin: „Wasserstoff wird in zehn Jahren wettbewerbsfähig sein“

Kadri Simson sieht die erhöhten EU-Klimaziele für machbar und pocht auf die Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2 für andere Lieferanten als Gazprom.

Energiekommissarin Kadri Simson sieht das neue Ziel der EU-Kommission, die Treibhausgase bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent statt wie bisher um 40 Prozent zu senken, als erreichbar an. „Wir brauchen viel mehr erneuerbare Energiequellen. Ich bin zuversichtlich, denn bei den Erneuerbaren sind wir in der EU weltweit führend. Und wir sehen, dass die Preise für Strom aus Erneuerbaren schneller fallen, als es vorausgesagt wurde“, sagte Simson dem Handelsblatt in Brüssel.

In den nächsten zehn Jahren muss daher die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien verdoppelt werden. „Der Kommission ist klar, dass die Verdoppelung sehr ehrgeizig ist, aber sie ist machbar. Europa besitzt große Potenziale“, ist Simson überzeugt. Bei der Dekarbonisierung Europas soll der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien neben der Windenergie eine Schlüsselrolle spielen. „Unser Ziel ist es, grünem Wasserstoff als Energiequelle einen gewaltigen Schub zu geben“, sagt Simson.

„Wasserstoff wird uns helfen, Teile des Transportsektors zu dekarbonisieren. Da bin ich sehr zuversichtlich.“ Auf der Schiene oder bei Lastwagen solle Wasserstoff mittelfristig eine große Rolle spielen. Immer mehr Mitgliedstaaten erproben bereits die Technologie im Transportsektor, beispielsweise wasserstoffbetriebene Züge in Deutschland, Österreich und in den Niederlanden. „Wasserstoff ist gerade auf nicht elektrifizierten Strecken eine gute Alternative, um dort beispielsweise Dieselloks zu ersetzen“, ist Simson überzeugt.

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Auch für die Windenergie ist Simson optimistisch. Allein in der Ostsee gebe es für Windenergie ein Potenzial für 93 Gigawatt Windenergie. Der Vorteil Europas sei es, dass es beispielsweise in der Windenergie das größte Know-how weltweit besitze. Die Kommission hat vorgeschlagen, 37 Prozent aus dem 750 Milliarden Euro großen Corona-Wiederaufbaufonds in die Klimapolitik zu investieren.

Zur umstrittenen Ostseepipeline besitzt die Energiekommissarin eine klare Haltung: Sie pocht auf eine Trennung des Betriebs von Nord Stream 2 und der Produktion des durchgeleiteten Gases. Derzeit ist beides in der Hand der russischen Gazprom. Die Pipeline müsse zudem offen für andere Erdgaslieferanten sein.

„Nord Stream 2 muss alle Anforderungen der EU-Gasrichtlinie erfüllen“, fordert Simson. „Es ist kein guter Zustand, wenn einzelne Mitgliedsländer vorwiegend auf eine Energiequelle setzen. Ich freue mich, dass Deutschland sich bei der Offshore-Windenergie in der Nord- und Ostsee sehr engagiert und auch neue Häfen für Flüssiggas als Alternative zum Gastransport in Pipelines baut“, sagte die frühere estnische Wirtschaftsministerin.

Lesen Sie das ganze Interview hier:

Die Pandemie hat Europa und seine Wirtschaft im Würgegriff, aber auch der Klimawandel macht keine Pause. Was muss in dieser Situation im Energiesektor geschehen?
Die EU-Kommission hat vor Kurzem ihr Ziel, die Reduktion von Treibhausgasen von 40 auf mindestens 55 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöht. Das heißt, die Anstrengungen im Energiesektor müssen noch ehrgeiziger werden. Schließlich macht der Energiesektor drei Viertel aller CO2-Emissionen in der EU aus. Er spielt daher eine Schlüsselrolle.

Muss nun der Umbau im Energiesektor nicht viel schneller gehen, um die ehrgeizigen Ziele des Green Deal zu erreichen?
Die Transformation im Energiesektor ist bereits in vollem Gang. Wir stehen alles andere als am Anfang. Uns liegen bereits nationale Pläne jedes Mitgliedstaates vor. Klar muss für die Zukunft sein: Wir brauchen viel mehr erneuerbare Energiequellen. Ich bin zuversichtlich, denn bei den Erneuerbaren sind wir in der EU weltweit führend. Und wir sehen, dass die Preise für Strom aus Erneuerbaren schneller fallen, als es vorausgesagt wurde.

Konkret muss in den nächsten zehn Jahren die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien verdoppelt werden. Ist dieses Ziel tatsächlich realistisch?
Auf dem Weg zu einer Dekarbonisierung Europas brauchen wir mehr Strom aus erneuerbaren Energien statt aus Kohle oder Gas – egal ob im Verkehr oder zum Heizen. Der Kommission ist klar, dass die Verdoppelung sehr ehrgeizig ist, aber sie ist machbar. Europa besitzt große Potenziale. Allein in der Ostsee gibt es ein Potenzial für 93 Gigawatt Windenergie. Unser Vorteil ist, dass wir beispielsweise in der Windenergie die beste Technik und das größte Know-how weltweit besitzen.

Covid-19 hat die Konjunktur in Europa auf Talfahrt geschickt. Was ist der Einfluss der Pandemie auf den Energiemarkt?
Schon während des Lockdowns im Frühjahr haben wir festgestellt, dass die Stromnachfrage viel geringer war. Manche Länder konnten während des Lockdowns die Stromerzeugung daher fast vollständig auf erneuerbare Energie umstellen. Dies war ein unfreiwilliger Laborversuch für unser Klimaziel. Wir haben aber auch festgestellt, unsere Energieversorgung in Europa ist sehr belastbar. Die Unternehmen hatten detaillierte Pläne, um auf die Krise zu reagieren.

Aber die Nachfrage nach Öl ist noch stärker gesunken …
Die Ölbranche erlebt derzeit einen Doppelschock. Da ist die noch immer große Überproduktion und zugleich eine rückläufige Nachfrage durch eine niedrigere Mobilität.

Welche Zukunft haben die Ölkonzerne in Europa wie Total oder Shell noch?
Die Ölindustrie weiß sehr genau, dass unser langfristiges Ziel ein klimaneutrales Europa ist. Es ist schön festzustellen, dass fast alle Unternehmen dabei sind, ihre Strategie grundlegend zu ändern, beispielsweise in Richtung Windenergie oder Wasserstoff. Immer mehr Marktteilnehmer verstehen, dass unsere Klimapolitik eine Möglichkeit für neue Geschäftsfelder eröffnet.

Die EU-Kommission hat bereits im Juli ihre Wasserstoffstrategie vorgestellt. Wie schnell kann Wasserstoff tatsächlich eine Rolle im Energiemix in Europa spielen?
Derzeit beträgt der Anteil von Wasserstoff im Energiemix noch etwa zwei Prozent. Unser Ziel ist es, grünem Wasserstoff als Energiequelle einen gewaltigen Schub zu geben. Es gibt einen klaren Zeitplan. Bis 2024 – also in vier Jahren – wollen wir sechs Gigawatt Elekrolysekapazität ausbauen, um sauberen Wasserstoff zu produzieren. Derzeit ist es noch weniger als ein Gigawatt. Bis 2030 erwarten wir 40 Gigawatt, und dann soll sauberer Wasserstoff in großem Stil für Branchen eingesetzt werden, für die eine Dekarbonisierung durch Strom allein nicht möglich ist, also beispielsweise in der Stahlindustrie.

Und was passiert danach?
Ab 2030 soll sauberer Wasserstoff eine wichtige Energiequelle in Europa werden. Wir sind überzeugt, dass zu diesem Zeitpunkt die Technologie kostenmäßig wettbewerbsfähig wird. 2050 könnte der Anteil von grünem Wasserstoff bei 13 Prozent liegen.

Welche Rolle soll Wasserstoff künftig im Transportwesen spielen? Noch gibt es nur Experimente?
Wasserstoff wird uns helfen, Teile des Transportsektors zu dekarbonisieren. Da bin ich sehr zuversichtlich. Auf der Schiene oder bei Lastwagen wird Wasserstoff mittelfristig eine große Rolle spielen. Immer mehr Mitgliedstaaten erproben bereits die Technologie im Transportsektor, beispielsweise wasserstoffbetriebene Züge in Deutschland, Österreich und in den Niederlanden. Wasserstoff ist gerade auf nicht elektrifizierten Strecken eine gute Alternative, um dort beispielsweise Dieselloks zu ersetzen.

Sie haben verkündet, dass die Verwertungskette rund um Wasserstoff eine Million Arbeitsplätze in Zukunft in Europa bis 2050 schaffen könnte. Ist das nicht viel zu zuversichtlich?
Diese Zahl haben wir nicht erfunden. Sie ist das Ergebnis tiefer Marktforschung, die uns Experten des Gemeinsamen Unternehmens Brennstoffzellen und Wasserstoff, mit denen wir zusammenarbeiten, geliefert haben. Die Annahme beruht auf verlässlichen Industriedaten.

Gut, aber ist das nicht auch Wunschdenken?
Schauen Sie, schon heute sind im Markt für erneuerbare Energien in der EU 1,8 Millionen Menschen beschäftigt. Warum sollte diese längerfristige Zahl nicht realistisch sein?

Was tun Sie in den nächsten Jahren, um aus der Wasserstoff-Fantasie einen Markterfolg zu machen?
In der EU-Kommission arbeiten wir sehr eng und gut mit den Mitgliedstaaten zusammen, die ihre jeweiligen Wasserstoffpläne entwickeln und umsetzen. Wir werden die Energiewende finanziell stark fördern. Wir haben vorgeschlagen, aus dem Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro 37 Prozent in klimapolitische Investments fließen zu lassen. Es geht nun darum, für die existierende Technologie Wasserstoff einen Markt zu kreieren, um die Produktionskosten zu senken. Wenn wir die Nachfrage stimulieren, wird die Produktion gestärkt, und die Kosten werden gesenkt. In der EU-Kommission schaffen wir gerade die Rahmenbedingungen, um dies zu ermöglichen.

Was heißt das konkret?
Gesetze müssen angepasst werden, um Infrastruktur und Marktregeln zu schaffen. Wir brauchen einen europaweiten Wasserstoffmarkt. EU-Länder wollen beim Thema Wasserstoff die Nase vorn haben.
In der gegenwärtigen Situation besitzt das Thema Wasserstoff für die Mehrheit der Mitgliedsländer höchste Priorität. Natürlich freue ich mich, dass Deutschland mit seinem Wasserstoffplan eine wegweisende Strategie vorgelegt hat. Ich bin dankbar, dass die deutsche Ratspräsidentschaft die Förderung des Wasserstoffs zu ihrer Priorität in der Energiepolitik gemacht hat …
Doch Deutschland ist nicht allein …
… in ganz Europa gibt es verschiedene Pilotprojekte. Das sind noch lokale Initiativen in Ländern mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien. Das Interessante an grünem Wasserstoff ist unter anderem, dass damit Strom aus erneuerbaren Energien besser gespeichert werden kann, wenn beispielsweise die Nachfrage niedrig ist. Angesichts der Vielzahl derartiger Projekte in der EU sind wir zuversichtlich, dass die Produktion, aber auch die Nachfrage vor allem im industriellen Bereich ansteigen wird – allen voran in der Chemie- und in der Stahlindustrie. Wir fördern beispielsweise Projekte im Bereich grünem Stahl, weil er im Markt noch nicht wettbewerbsfähig ist.
Noch immer spielt Erdgas in vielen EU-Ländern eine zentrale Rolle. Was ist die Zukunft dieser traditionellen Energiequelle?
Wir glauben, dass Erdgas in der Übergangsphase zu einem dekarbonisierten Europa eine Rolle spielen wird, insbesondere um den Anteil von Steinkohle und Braukohle in der Stromerzeugung zu verringern, aber auch um im Strommarkt erneuerbare Quellen zu ergänzen und auszubalancieren. Auf diesem Weg können auch stark kohleabhängige Länder die Klimaziele bis 2030 erreichen. Deutschland ist dafür ein Beispiel. Manchmal gibt es eben auf die Schnelle keine andere Lösung.
Langfristig setzen wir allerdings auf erneuerbare Quellen und Speicher.
Deutschland verteidigt seine Ostseepipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Mitteleuropa bringen soll. Wie sehen Sie als Energiekommissarin das umstrittene Projekt?
Es ist sehr wichtig, dass alle Mitgliedstaaten eine möglichst große Diversifikation ihrer Energiequellen haben. Es ist kein guter Zustand, wenn einzelne Mitgliedsländer vorwiegend auf eine Energiequelle setzen. Ich freue mich, dass Deutschland sich bei der Offshore-Windenergie in der Nord- und Ostsee sehr engagiert und auch neue Häfen für Flüssiggas als Alternative zum Gastransport in Pipelines baut.
Das ist aber keine direkte Antwort auf meine Frage.
Nord Stream 2 muss alle Anforderungen der EU-Gasrichtlinie erfüllen. Die deutsche Bundesnetzagentur wird dies überwachen. Das heißt, der Betrieb der Pipeline und die Erzeugung des durchgeleiteten Gases müssen in verschiedenen Händen liegen. Und die Pipeline muss auch offen für andere Erdgaslieferanten sein.
Derzeit stammt das Gas ausschließlich von Gazprom. Und dem russischen Energiekonzern gehört auch Nord Stream 2.
Verstehen Sie die Pipeline zunehmend als politische Frage und weniger als Infrastrukturprojekt zur Versorgungssicherheit?
Energiepolitik ist immer stark politisch.
Frau Simson, herzlichen Dank für das Interview!