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Etwas mehr Qualität, bitte!

Die Arbeitgeber fertigen Olaf Scholz ab, die Grünen werden als Verbotspartei vorgeführt, Armin Laschet biedert sich bei „der Wirtschaft“ an – der Wahlkampf beginnt niederschmetternd niveaulos. Nur einer ragt heraus.

Auch die „nüchterne Welt des reinen Geschäftslebens“, so hat es Wilhelm Röpke einmal formuliert, schöpft aus „sittlichen Reserven“, aus einem Reservoir von Tugenden und Normen, die der Markt und der Wettbewerb nicht etwa erzeugen, sondern verbrauchen. Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit und Maßhalten – das alles seien „unentbehrliche „Stützen“, die den „Verantwortungssinn“ und „Bürgergeist, den esprit civique“, fördern – Dinge, „die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen“.

Wenn die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) den politischen Markt betritt, um in den Wettbewerb mit ihren ideologischen Feinden zu treten, bringt sie verlässlich nichts mit von dem, was die Initiatoren der Sozialen Marktwirtschaft im Jahr 1957 im Sinne hatten: weder Ehrlichkeit noch Fairness, schon gar nicht Ritterlichkeit und Maß. Stattdessen in dieser Woche: „Gute Politik geht anders, Herr Scholz!“ – eine oberlehrerhaft-kraftmeiernde Kampagne gegen den Vizekanzler, Finanzminister und Kanzlerkandidaten der SPD, hart an der Grenze zur Desinformation und Denunziation: Scholz „bläht den Haushalt auf“ und „sägt an der Schuldenbremse“, lässt „Unternehmen im Regen stehen“ und verspricht „Hilfsgelder“, die bei den Betroffenen nicht ankommen – gerade so, als hätte das seit Monaten vor sich hin dilettierende Exekutivmanagement der Christdemokratie mit alledem rein gar nichts zu tun: Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Jens Spahn und Peter Altmaier.

Aber hey, das sind ja nur die Kanzlerin und die EU-Kommissarin, der Gesundheits- und der Wirtschaftsminister. Und klar: ein hanseatischer Sozialdemokrat taugt für die INSM-Ideologen allemal besser als eine CDU-Quadriga, um den politischen Teufel mal wieder an die Wand zu malen. Und als sei das alles noch nicht peinlich genug, leiht man sich bei der INSM auch noch ausgerechnet die Autorität von Markus Söder, um mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und potenziellen CSU-Kanzlerkandidaten über Scholz zu richten: „Es wurde eine Bazooka versprochen, aber aktuell ist es noch eine Steinschleuder ohne Stein.“ Wie witzig. Vor allem aber: Was denn nun, liebe INSM? Die fehlende Bazooka beklagen – oder den „aufgeblähten Haushalt“? Ach komm, ist doch egal: Hauptsache feste druff auf die Sozen.

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Die INSM scheint es mit ihrer Fünfte-Kolonne-Kampagne so eilig gehabt zu haben, dass sie ihre fünf Zitatspender offenbar nicht mal gefragt hat, ob sie ihr auch wirklich ihre Stimme schenken wollen. Einer von ihnen, der Ökonom Peter Bofinger, empfindet es als „starkes Stück“, für den lobbyistischen Angriff auf Scholz „missbraucht“ zu werden. Recht hat er. Zumal die INSM weiß Gott genügend Lautsprecher, Verzeihung: „Botschafter“ in ihren Reihen weiß, die die Republik nur zu gern mit ihren gesinnungsfesten Phrasen beschallen. Aber halt: Wird die INSM nicht etwa „wissenschaftlich begleitet“ vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW), dessen Direktor Michael Hüther uns bereits im November 2019, also ein paar Monate vor „Corona“, eine „Modifikation der Schuldenbremse“ zur Auflösung des „Investitionsstaus“ empfahl und ein 450 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm noch dazu. Blasphemie? Häresie? Wie man so bläht und sägt im eigenen Haus.

Und dann ist da noch Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und Vorsitzender des Beirates der INSM, die bekanntlich durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird: Wolf hat in einem Interview mit der „Welt“ vor nicht einmal zwei Monaten befunden: „Die Bundesregierung macht in dieser Krise einen guten Job. Die Entscheidungen sind durchweg richtig.“ Ooops. Also wie jetzt? „Gute Politik geht anders, Herr Scholz!“? Oder guter Job, Herr Scholz? Hmm. Als Vorstandsvorsitzender des Autozulieferers ElringKlinger hat Stefan Wolf vor einem knappen Jahr auch „Stimulation und Anreize von staatlicher Seite für die Menschen“ gefordert, „damit sie nach der Isolation in die Autohäuser gehen und Fahrzeuge kaufen“. Wie bitte? Als Staatsbürger dieses Landes kann Wolf das unmöglich so gemeint haben – schließlich steht der Standort wieder „an dem Punkt wie zu Beginn der 2000er-Jahre, als Deutschland als kranker Mann Europas galt“ – da gibt es nichts „zu verteilen“…

Aber Schluss jetzt mit der INSM. Ist ja nur ein Beispiel. Schließlich wünschte man sich vergangene Woche gleich mehrfach, der beginnende Wahlkampf werde in den nächsten Monaten vor allem qualitativ noch ein wenig Fahrt aufnehmen. Der Hofreiter Anton zum Beispiel, Fraktionschef der Grünen, sagte in einem zunächst höchst irreführend angeteaserten Interview mit dem „Spiegel“: „Natürlich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten“, weshalb man ihm und der Partei mehrere Tage lang vorhielt, sie wollten die eigenen vier Wände verbieten – ist ja klar: Die Grünen sind nun mal die Kraft, die stets das Böse will und nie was Gutes schafft, da muss man nicht dialektisch werden, da kann man gleich das Gegenteil des Gesagten in die Welt posaunen, um Menschen mit einer Vorliebe zu politischen Kurzschlüssen bei ihren Vorurteilen abzuholen: Ideologie! Verbotspartei! Veggie-Day! Tempolimit! Meine Freiheit! Mein Lebensstil! Soooo müde.


Ein Lob an Christian Lindner

An dieser Stelle ist ausdrücklich Christian Lindner zu loben, der ehemalige Bannerträger der Bürgerbewegung zur Pflege des Linksgrünenekels. Der FDP-Vorsitzende übt sich seit Wochen in Affektkontrolle, hat seine lebenskulturelle Antipathie gegen die Grünen und den precht“philosophischen“ Habitus“ Robert Habecks erstaunlich gut in den Griff bekommen. Zur Erinnerung: Am Ende ihrer symmetrischen Mobilisierung gegen Linksgrüne und Rechtsnationale hat die FDP vor einem Jahr (an der Seite der CDU) keinen Sinn mehr entwickeln können für das, was liberal (und bürgerlich) ist – und vor lauter Ressentiment gegen klimahysterische „Gutmenschen“ und deren angebliche Enteignungsfantasien den Beifall rechtsradikaler Bösmenschen in Kauf genommen (Stichwort Thüringen). Die Freien Demokraten hatten damals aus schierer Angst vor der geistigen Übermacht vegetarischer und radfahrender Liberaler keine Ahnung mehr, was sie jenseits von Wiener Schnitzel und Tempo 210 unter Selbstbestimmung verstehen sollen. Heute prescht Lindner nicht mehr vor jede Kamera, um den Grünen Freiheitsberaubung vorzuwerfen: fraglos ein Fortschritt.

Der nächste Niveau-Schritt? Wie wäre es, wenn man den Grünen zur Abwechslung mal nicht unterstellte, was sie theoretisch tun würden – sondern wenn man ihn vorwürfe, was sie praktisch nicht tun? In Berlin hat Rot-Rot-Grün nicht mal Tempo 30 durchgesetzt und Autos aus der Innenstadt verbannt: Warum also grün wählen? Auch der Erfolg Winfried Kretschmanns in Baden-Württemberg beruht ja vor allem darauf, dass er keinen Unterschied macht.

Und natürlich darauf, dass seine Herausforderin Susanne Eisenmann ihm den Sieg gewissermaßen schenkt: Ihre Kampagne ist von einer fast schon satirischen Absurdität und Spracharmseligkeit: „CDU, weil wir Verbrecher von heute mit der Ausrüstung von morgen jagen“ (‚Wir Verbrecher‘?) oder: „CDU, weil unser Mittelstand nur weiterlebt, wenn wir Nachwuchs fördern“ (Vorsicht, lebender Mittelstand!) oder: „CDU, weil wir uns überall so sicher fühlen wollen“ (so sicher wie im abgebildeten Badezimmer?) Schließlich: „Wollen wir nicht alle beschützt werden?“ – von Susanne Eisenmann, also einer Frau, die in der Coronapandemie eine Öffnungsdebatte nach der nächsten anzettelt?

Vermutlich nicht. Das politische Großkaliber Markus Söder erledigt solche Strategien mit einem einzigen Satz. Wer bei der Bundestagswahl im Herbst mit „Merkel-Stimmen“ gewinnen wolle, müsse wissen, dass das nur mit „Merkel-Politik“ gehe, dekretierte der CSU-Chef am politischen Aschermittwoch – und erlegte damit zugleich Armin Laschet. Der CDU-Chef hatte sich 48 Stunden zuvor beim Neujahrsempfang des Wirtschaftsrats in Baden-Württemberg in Rage geredet. Er warf einem nicht näher bestimmten Adressaten vor, er könne „nicht immer neue Grenzwerte erfinden“ und „die Bürger behandeln wir unmündige Kinder“ – und erzielte damit gleich drei Eigentore auf einmal. Erstens schwächte Laschet mit seiner Kritik Merkel – zum Schaden der CDU. Zweitens delegitimierte er sich selbst als mitentscheidenden Ministerpräsidenten. Und drittens vor allem meinte er sich offenbar bei dem anbiedern zu müssen, was er für „die Meinung der Wirtschaft“ hält, wie unsouverän: Zielgruppenabhängiges Reden und politisches Catering für Partikularinteressen ist exakt das, was die Deutschen von einem Kanzler nicht erwarten.

Söder scheint über derlei Fallstricke inzwischen fast schon erhaben zu sein, steht über allen Widersprüchen. Einmal Zero-Covid-Strategie und zurück in sieben Tagen? Für den CSU-Chef kein Problem: Er pflegt seine eigene Politik stets wohlwollend zu besprechen, teilt sich selbst „politische Klugheit“ zu und passt natürlich genau den richtigen Moment für eine „intelligente Öffnungsmatrix mit flexiblen Reaktionsmöglichkeiten“ ab. Tatsächlich ist Söder als politischer Chefrezensent des Landes bereits so sehr in die Rolle eines Hegemons hineingewachsen, dass man sich fragt, ob die Union an ihm überhaupt noch vorbeikommen kann als Kanzlerkandidat.

Söder übermalt seit zwei Jahren erfolgreich den Markenkern der Schwesterparteien, bietet liberalkonservativen Wählern etwas Bejahbares an: einen grünliberalen Konservativismus, der nicht den „linken Zeitgeist“ verabscheut, sondern aufnimmt, ihn sich anverwandelt, ihn produktiv umdeutet – eine Meisterleistung des Opportunismus. Da ist tatsächlich einer, der Gelegenheiten nutzt, den Zeitgeist ausbeutet, die Gegenwart bespielt – und der auf Gutsherrenart Gunst und Gnade gewährt, wann immer es ihm passt, ganz so wie weiland Helmut Kohl, der andere lobend hinzurichten verstand: Die Grünen etwa, sagt Söder, seien „charmant“ (also nicht kompetent und leider auch etwas unseriös) – und die FDP „immer der prioritäre Partner (wenn es für die Liberalen zu fünf Prozent reicht, so Söder – und sofern Christian Lindner weiter an sich arbeitet als einem „seriösen Partner“). So geht Wahlkampf mit Niveau – Chapeau!

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