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Erregungswellen im Fernsehen

Eine aufwühlende Musik wird eingespielt, warnende Bilder aus deutschen Nachrichtensendungen und eine Kanzlerin mit sorgenvoller Miene. Willkommen bei Anne Will und ihrer gleichnamigen Talkshow im Ersten!

Am Sonntag stand die Türkei am medialen Pranger. „Erdoğans Durchmarsch – Wer stoppt den Boss vom Bosporus?“ hieß der plakative Titel einer plakativen Gesprächsrunde. Die immer gleichen Spielregeln derartiger Talkshows sind einfach: Mustafa Yeneroğlu, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP, mimt den Bösewicht, während ihn Sevim Dağdelen, Abgeordneter von den Linken und der Grüne Türkei-Experte Burak Çopur – in der Rolle der Gutmenschen – attackieren dürfen. Ex-Minister Norbert Röntgen darf den staatstragenden Part spielen und „Spiegel“-Frau Christiane Hoffmann ihr Fachwissen dazu liefern. Fertig ist die unterhaltsame Politshow.

Doch statt wirklich Antworten zu geben, geht es in derartigen Talkrunden um die Inszenierung von Negativszenarien. Bei Anne Will, Frank Plasberg oder Sandra Maischberger steht am Anfang in der Regel eine negative Fragestellung: „Abhängig von Erdoğan – Zu hoher Preis für weniger Flüchtlinge?“, „Droge Zucker: Macht die Lebensmittelindustrie uns süchtig?“, „Europa: Läuft der letzte Countdown?“ oder „Immer online – machen Smartphones dumm und krank?“ Bereits in der suggestiven Frage des Sendungstitels wird die negative Antwort gleich mitgeliefert. Erregungswellen sind garantiert.

Wenn wir mal ehrlich sind, wissen wir schon nach zwei Sekunden Nachdenken die Antwort auf die Fragen der Sendungen. Natürlich zahlen wir an die Türkei keineswegs einen zu hohen Preis in der Flüchtlingsfrage, selbstverständlich ist Europa nicht dem Untergang geweiht sind, offensichtlich handelt es sich bei Zucker nicht um Heroin und Kokain und logischerweise machen Smartphones klüger statt dümmer.

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Über die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter wird der Negativismus der Sendung später noch ordentlich verstärkt. Während in der Sendung mit ernsthaften Statements die tagesaktuellen Apokalypsen beschworen werden, herrscht in den sozialen Medien vor allem Verzerrung, Hetze und Mobbing. Der Wiener Zukunftsforscher Matthias Horx hat dafür einen schönen Begriff erfunden: „Bösartige-Runterziehen-Erregungs-Ignoranz“, kurz Brei.

Die Rituale bei Anne Will & Co. sind immer die gleichen: Die Diskutanten der TV-Talkrunden werden vom Moderator in geschickter Manier aufeinander gehetzt, um die Einschaltquote nach oben zu katapultieren. Dadurch entsteht bei vielen Zuschauern der Eindruck, gesellschaftliche Debatten machen sowieso wenig Sinn. Alle politischen und gesellschaftlichen Probleme sind scheinbar unlösbar, denn niemand liefert eine schnelle Lösung.

Dieser Art von Negativismus öffnet den Populisten Tür und Tor. Denn die liefern auf komplexe Fragen simple Antworten, die nur Lösungen vorgaukeln. Doch die Illusion stirbt zuletzt.


Die passende Antwort auf den Negativismus

Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien haben so dem Populismus – wenn auch unfreiwillig und unbeabsichtigt – den Steigbügel gehalten. Denn gerade durch diese Art von Talkshows wird eine Politik-Verachtung ohnegleichen gezüchtet.

Was wir verstärkt brauchen, ist kein weiterer Negativismus. Die Antwort ist konstruktiver Journalismus. Erfinder des konstruktiven Journalismus ist der Nachrichtenchef des staatlichen Fernsehens in Dänemark, Ulrik Haagerup. Er kämpft gegen die boulevardartige Verzerrung der Welt. Der TV-Journalist hat ein Buch namens „Constructive News“ geschrieben, dass sich mit der zerstörerischen Kraft von Informationen auseinandersetzt. Haagerup schreibt: „Zuerst finden es die Menschen deprimierend, negative Nachrichten zu konsumieren, dann kommt der Punkt, an dem sie meinen, dass wir ihnen die Wahrheit vorenthalten. So kam es zur Medienkrise.“ Dabei ist die Sehnsucht der Zuschauer nach Lösungen größer denn je.

Warum erfinden ARD und ZDF keine Talkshowformate mit Anne Will, Sandra Maischberger, Maybrit Illner, oder Frank Plasberg, in denen die Teilnehmer von den Moderatoren dazu verpflichtet sind, gemeinsame Lösungen für die diskutierten Probleme zu finden? Statt sich in der TV-Arena verbal gegenseitig nieder zu machen, müssten Politiker, Ökonomen und Wissenschaftler gemeinsam nach konstruktiven Antworten suchen. Statt sich gegenseitig Fakten und angebliche Fakten um die Ohren zu hauen, müssten sie um ernsthafte Lösungen ringen.

Das wäre zweifellos ein spannender Fernsehabend, der am Ende sogar klüger macht.

Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.