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Erfolgreich gescheitert

Die Präsidentschaft François Hollandes war ein Fehlschlag. Doch er hat mehr erreicht, als seine eigene Partei wahrhaben will. Ein Rückblick auf einen Staatschef, für den die Geschichte ein gnädiges Urteil finden wird.

Er ist ein Präsident, den die Franzosen gar nicht mehr wahrnehmen: François Hollandes letzte Monate im Amt müssen eine Qual gewesen sein. Er konnte nicht zur Wiederwahl antreten, weil die Linke ihn nicht mehr wollte. Weniger als 20 Prozent der Bürger sind mit seiner Leistung zufrieden. Im politischen Leben des Landes kommt er seit Monaten praktisch nicht mehr vor. Alles drehte sich nur noch um seine möglichen Nachfolger. Der Amtsinhaber wirkt wie ein Schemen.

Verzweifelt bemühte sich der ins Off verschwundene Staatschef um Aufmerksamkeit. Hollande reiste ruhelos durchs Land. Seine Termine wurden teilweise skurril, ähnelten mehr denen eines Bürgermeisters. Am 4. Mai fuhr er nach Argenton-sur-Creuse, um die Konditorei Michel Kremer zu besichtigen, am Tag zuvor war er in Alençon, da sah er sich den neuen Busbahnhof und ein Sozialzentrum an. Eine Woche zuvor streifte der Präsident in Saint-Ouen über eine Krankenhaus-Baustelle. Und am 20. April reiste er in das 2000-Seelen-Dorf Biars-sur-Cère: um eine Marmeladenfabrik zu besuchen.

So verbrachte der Präsident der fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt seine letzten Wochen im Amt zwischen Konfitüre und der Eröffnung eines Seine-Seitenkanals. Ein Politiker, der mit ungeheuren Erwartungen gewählt wurde und am Ende wie eine rastlose Seele durchs Land irrte.

Die Medien machen sich lustig über ihn. Wie so häufig sind jene am heftigsten dabei, die ihm vor fünf Jahren mehrseitige Reportagen widmeten, wegen der angeblich herausragenden „Normalität des Präsidenten“. Vor zwei Wochen brachte die Tageszeitung Le Monde wieder eine ganze Seite mit Fotos. Diesmal allerdings um zu zeigen, dass Hollande sich von Anfang an lächerlich gemacht habe, weil er sich „wie ein Pinguin anzog“.

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Ist das wirklich das Resümee? War Hollande nur eine Lachnummer, ein Totalversager? Richtig ist, dass Hollande sich selbst von Anfang an im Weg stand. Er wollte das Gute, und hat oft Schlimmes bewirkt. Die Arbeitslosigkeit wollte er senken, sie liegt heute deutlich höher als bei seinem Amtsantritt. Die Franzosen wollte er mit Europa versöhnen, doch am 23. April hat gut die Hälfte von ihnen europafeindliche Kandidaten gewählt. Den rechtsextremen Front National wollte er zurückdrängen, er ist heute so stark wie noch nie.

Dem Präsidentenamt wollte Hollande nach dem irrlichternden Sarkozy die Würde zurückgeben. Doch in Erinnerung behält man die Fotos des Präsidenten auf einem Motorroller vor der Wohnung seiner Geliebten. Die Staatsschulden wollte er abbauen, doch heute liegen sie bei 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Katastrophal war sein Umgang mit der eigenen Partei: Deren verfeindete Flügel wollte er durch komplizierte Manöver versöhnen, aus Angst vor Konflikten scheute er immer wieder vor notwendigen Reformen zurück. Das Ergebnis: Die Sozialisten existieren heute de facto nicht mehr.

Der übermäßige Respekt vor dem linken Flügel ist eine Ursache seines Scheiterns. Sein Wahlprogramm war eher sozialdemokratisch. Auf den letzten Metern des Wahlkampfs aber glaubte er, noch starke sozialistische Akzente setzen zu müssen. Sein Redenschreiber Aquilino Morelle drängte ihn, die „Reichensteuer“ von 75 Prozent vorzuschlagen. Bei seinem größten Meeting in Le Bourget setzte er plötzlich ganz andere Akzente als im Programm, bezeichnete er den Finanzsektor als „meinen eigentlichen Gegner“, dem das Handwerk gelegt werden müsse. Und er versprach, „die europäische Politik neu zu orientieren“, einen „Wachstumspakt für Europa“ zu erreichen, den Fiskalvertrag neu zu verhandeln. Die Linke reduzierte seine Ziele allein auf die Änderung des Fiskalvertrages. Die schaffte er nicht.

Von da an galt Hollande seinem linken Flügel als Verräter. Die Sanierung des Haushaltes, obwohl prominentester Punkt im Programm, wurde als Verrat an seinen „eigentlichen Ideen“ dargestellt. Der Präsident sei vor Merkel zurückgewichen.


Andere prägen das Bild seiner Politik

Der Eindruck kommt daher, dass die französische Linke Europa grotesk verzerrt darstellt und bis heute Deutschland als allein dominierende Macht der Eurozone denunziert. In Wirklichkeit hat es sich anders abgespielt:

Im Mai und Juni 2012 steht die Eurozone immer noch auf der Kippe. Das ungelöste Griechenland-Problem treibt sie auseinander. Der konservative Premier Antonis Samaras will die vorgeschlagenen Auflagen nicht akzeptieren. An Teilen der Finanzmärkte hat sich eine gefährliche Meinung herausgebildet: „Griechenland hat Wundbrand, was macht man in so einem Fall? Man schneidet den Arm ab“, sagt der Vorstand einer französischen Großbank. In Deutschland glaubt man teilweise an diese Theorie: Der Grexit könne die Eurozone stabilisieren. Merkel sagt Hollande, sie sehe beide Möglichkeiten: Griechenland könne im Euro bleiben oder ihn verlassen.

Hollande diskutiert mit seinen engsten Beratern, darunter Emmanuel Macron, den er von Rothschild geholt hat, Vertreter des Trésor, die sich an den Märkten auskennen, und sein Europaberater Philippe Léglise-Costa. Die Franzosen sehen die Schwächen der Eurozone. Doch sie glauben, dass diese ihr politisches Rückgrat verliert, wenn Griechenland ausscheidet: Von dem Moment an sei die Währungsunion nicht mehr irreversibel. Wie schon im früheren Europäischen Währungssystem könnten sich Spekulationen gegen einzelne Staaten richten. Hollande entscheidet sich dafür, Griechenland im Euro zu halten und eine Absicherung über die EZB zu suchen.

Doch die ist ein gebranntes Kind. Im Jahr zuvor hat Jean-Claude Trichet dem italienischen Premier Silvio Berlusconi die Unterstützung der EZB unter Auflagen zugesagt. Berlusconi akzeptierte. Das beruhigte die Märkte, die italienischen Zinsen sanken. Doch Berlusconi drehte durch und zeigte der EZB den Stinkefinger: Strukturreformen seien jetzt ja nicht mehr nötig. Trichet und die EZB waren desavouiert.

Trichets Nachfolger Mario Draghi will nun nicht dasselbe Schicksal erleiden. Wenn die EZB als letzter Garant Griechenlands Staatsanleihen absichert, dann nur mit Sicherheiten im Rücken. Eine strikte Konditionalität muss her.

Merkel, Hollande, Monti und Rajoy verhandeln vor einem EU-Gipfel Mitte 2012 und noch in der Nacht des Gipfels lange über diese eine Frage. Am Ende steht die Lösung: Die EZB wird Staaten nur absichern, wenn die ein Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit strikter Konditionalität akzeptieren. Das OMT-Programm der EZB wird geboren. Draghis berühmter Ausspruch „we will do whatever it takes“ – um die Eurozone abzusichern – entfaltet Wirkung. Die Marktteilnehmer wetten nicht mehr auf den Zerfall des Euros, die spekulativ hohen Zinsen auf die Staatsanleihen der Peripherie-Staaten sinken.

Im Zusammenspiel mit Merkel erreicht Hollande noch mehr: Der Stabilitätspakt wird flexibel interpretiert, Frankreich – das in die Rezession zurückgefallen ist – erhält dadurch mehr Zeit, um sein Defizit abzubauen. Die Bankenunion wird vereinbart, auch ein großes Investitionsprogramm, aus dem später der Juncker-Plan wird, und eine Rekapitalisierung der Europäischen Investmentbank.

Im Endeffekt erhält Hollande sehr viel mehr, als ihm die Neuverhandlung des Fiskalvertrages gebracht hätte. Die EZB ist jetzt sicher, dass Deutschland und Frankreich die Eurozone zusammenhalten. Sie beginnt ihre extrem lockere Geldpolitik, die Zinsen sinken. Frankreich kommt aus der Rezession und kann sein Defizit abbauen.

Das Rätsel ist: Warum hat Hollande diesen Zusammenhang nie erläutert? „Das ist zu kompliziert, das verstehen die Leute nicht“, soll er seinen Beratern gesagt haben. Die drängten ihn, diese europäische Pädagogik zu versuchen. Sein Europaexperte führt François Mitterrand an, der sich 1984 nicht zu schade dafür war, im Fernsehen den Binnenmarkt und die Lösung einer Milchmarkt-Krise zu erläutern. Er zeigt dem Präsidenten ein Video: Mitterrand ist zu sehen, wie er wieder und wieder geduldig erklärt: „Ohne Europa hätten wir das nie geschafft.“ Worte, die aus der Rhetorik der Regierungschefs verschwunden sind.


Ziel des Terrors

Hollande aber weigert sich. Und zahlt einen hohen Preis: Die Interpretation der Linken gewinnt die Lufthoheit über den Stammtischen, Hollande gilt als Umfaller. Von nun an versucht der linke Flügel der Sozialisten, in der Nationalversammlung jede Reform Hollandes zu verhindern. Der Präsident wird zur lahmen Ente.

In ein paar Jahren dürfte das Urteil über Hollande gnädiger ausfallen. Nicht alles hat er falsch gemacht. In Europa ist seine wichtigste Leistung, dass er gemeinsam mit Angela Merkel die Griechenland-Krise und damit auch die Eurokrise meisterte.

In der Außenpolitik haben die beiden zu einer bemerkenswert engen Partnerschaft gefunden: Seit Putin Merkel 2013 in einem Telefonat belog, bemühten sie sich gemeinsam um eine Lösung der Ukraine-Krise. Die ist noch immer nicht gefunden, aber wenigstens haben Frankreich und Deutschland gemeinsam verhindert, dass in der Ukraine ein heißer Krieg mit russischer Beteiligung ausbricht, wenige Kilometer von der EU-Außengrenze entfernt. Europa bedeutet Frieden – das Gründungsthema der EU ist aktueller denn je, auch dank der Kooperation von Berlin und Paris.

Am 11. Januar 2013 entscheidet der innenpolitische Zauderer Hollande sehr schnell und energisch, den Vormarsch der Dschihadisten auf die Hauptstadt von Mali zu stoppen. Er schickt französische Soldaten, den Aufbau eines neuen Kalifats verhindern. Merkel versteht, wie wichtig das für die Sicherheit Europas ist. Sie sagt Unterstützung zu. Das Vertrauen zwischen den beiden Führern wächst. Von nun an duzen sie sich.

Am 7. Januar 2015 attackieren zwei islamistische Terroristen die Redaktion der Wochenzeitung Charlie Hebdo und richten ein Blutbad an. Frankreichs Hauptstadt ist schockiert. Hollande gelingt es, der Nation Mut zuzusprechen, er ruft Staats- und Regierungschefs aus aller Welt zusammen. Merkel ist die erste, die fragt: „Soll ich nach Paris kommen?“ Ein spontaner Beistand in der Not, den ein Staatschef nicht vergisst. Auch nach den Anschlägen vom 13. November 2015 schafft es der oft geschmähte Präsident, der verunsicherten Nation Halt zu geben. Tagelang eilt er fast ohne Schlaf von einer Trauerfeier zur nächsten, leitet die Jagd auf die Täter, gibt den Bürgern das Gefühl: Der Staat verteidigt sich. Ende 2015 erreicht Hollande seinen vielleicht größten internationalen Erfolg: Die Pariser Klimakonferenz endet mit einer Einigung. Die USA und China sind mit an Bord.

In der Wirtschaftspolitik fehlte ihm diese Entschlossenheit. Zwar führt er Entlastungen für Unternehmen ein, gleicht damit aber nur den „Steuerhammer“ aus, mit dem er 2012 und 2013 den Haushalt sanieren musste. Er zögert, eine Arbeitsmarktreform anzugehen, obwohl solche Reformen früh angegangen werden müssen, damit sie ihre Wirkungen rechtzeitig entfalten. Als er es dann doch tut, kommt ihm sein Wirtschaftsminister abhanden: Emmanuel Macron gründet eine eigene Partei und nimmt Anlauf auf den Elysée-Palast. Bald hat er die Chance, es besser zu machen.

KONTEXT

Das sagen Ökonomen zum Wahlsieg Macrons

Michael Menhart (Chefvolkswirt Munich Re)

"Abzuwarten bleibt nun das Ergebnis der Parlamentswahlen im Juni. Macron kann nicht wie andere Präsidentschaftskandidaten auf die Unterstützung einer etablierten Partei zurückgreifen, auch wenn seine 'En Marche'-Bewegung in der letzten Zeit Unterstützer dazugewonnen hat. Im schlimmsten Fall droht Macron die 'Cohabitation' - das heißt, er müsste ohne eigene Mehrheit im Parlament regieren. Ernstzunehmende Reformen wären dann schwer umsetzbar."

Thomas Gitzel (Chefvolkswirt VP Bank)

"An den Finanzmärkten dürfte der Sieg von Emmanuel Macron für Erleichterung sorgen. Trotz der klaren Umfrageergebnisse zugunsten von Macron saß der Stachel des Brexit-Votums und der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl noch tief. Ein gewisses Unwohlsein war deshalb vorhanden. Der Euro könnte noch leicht profitieren, da nun Spekulationen auf eine Ende der ultra-lockeren EZB-Geldpolitik zunehmen werden. Doch gerade hierbei ist Obacht angesagt. Die Inflationsraten im gemeinsamen Währungsraum werden noch über längere Zeit hinter den EZB-Vorgaben zurück bleiben. Grund für eine raschen geldpolitischen Kurswechsel besteht aus diesem Blickwinkel nicht. Die US-Notenbank bleibt derweil bei ihren moderaten Zinserhöhungen. Die transatlantische Zinsdifferenz spricht deshalb auf Sicht der kommenden Wochen für einen festeren US-Dollar. Daran ändert auch der Wahlsieg von Emmanuel Macron nichts."

Clemens Fuest, Präsident Ifo-Institut

"Mit dem Sieg von Emmanuel Macron ist die Gefahr einer tiefen politischen und ökonomischen Krise für Frankreich und die gesamte EU abgewendet. Nun steht der Präsident vor der schwierigen Aufgabe, Frankreich zu reformieren, um die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu überwinden. Wenn ihm das gelingt, wird ganz Europa davon profitieren.

Für Deutschland wird Emmanuel Macron ein herausfordernder, aber konstruktiver Partner sein. Für die europäische Währungsunion wünscht Macron sich mehr Gemeinschaftshaftung und mehr Umverteilung. Es ist wichtig, dass Deutschland eigene Konzepte zur Weiterentwicklung der Euro-Zone entwickelt, um für die anstehenden Gespräche vorbereitet zu sein."

Bruno Cavalier, Chefvolkswirt der Bank Oddo BHF

"Macron hat wie erwartet einen Erdrutschsieg gegen Le Pen erzielt. Aber es gab viel mehr Nichtwähler oder leere Wahlzettel als in der ersten Runde, was darauf hindeutet, dass ein großer Teil der französischen Wähler nicht mit den Projekten von Macron einverstanden war.

Die politische Lage in Frankreich ist noch nie so zersplittert gewesen. Ziel von Marcron wird es sein, eine Mehrheit bei der Wahl zur Nationalversammlung im Juni zu gewinnen. Das liegt sicherlich nicht außer Reichweite, betrachtet man die Spaltung innerhalb der Mitte-Rechts-Partei."

Achim Wambach, Präsident des Zew-Instituts

"Entscheidend für die zukünftige Entwicklung in Europa wird vor allem sein, inwiefern es Emmanuel Macron gelingt, die Wirtschaft in Frankreich wieder in Gang zu bringen. In den vergangenen Jahren ist die wirtschaftliche Entwicklung in Frankreich der in Europa hinterhergelaufen. Hier kann Macron ansetzen, indem er die dringend notwendigen Strukturreformen in Frankreich voranbringt. Sein Programm sieht vor, die Staatsquote zu reduzieren, Unternehmenssteuern zu senken und die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten.

Von der wirtschaftlichen Erholung Frankreichs und einem starken Partner können Deutschland und Europa nur profitieren. Ausschlaggebend dafür wird aber sein, wie die Wahl zur französischen Nationalversammlung im Juni ausgehen wird und ob Emmanuel Macron eine stabile Mehrheit für seine Pläne findet."

Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverband BGA

"Das war eine Schicksalswahl für Europa. Die Franzosen haben für Europa und die Vernunft gestimmt. Es gibt keine bessere Nachricht für Deutschland: Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Emmanuel Macron. Wir haben die große Hoffnung, dass er die nötigen Reformen macht und die Weichen stellt für eine positive Entwicklung: für die Menschen, für die Wirtschaft und für Europa.

Für Europa heißt das, dass man sich jetzt an die Arbeit machen muss. Dass die rechtsextreme Marine Le Pen in die Stichwahl gelangt ist, war ein Warnsignal. Wir können nicht weitermachen wie bisher. Der Wahlausgang ist ein klarer Auftrag, die europäische Zusammenarbeit zu erneuern und zu vertiefen."

Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt

"Jetzt herrscht in Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten verständlicherweise Erleichterung. Auch ich freue mich. Aber nach der Wahl ist vor der Wahl. Macron wird bei den Parlamentswahlen im Juni kaum eine absolute Mehrheit erringen. Das spricht - zusammen mit seinem zögerlichen Programm - gegen eine beherzte Reformpolitik in Frankreich. Diese aber braucht das Land dringend. Außerdem stehen spätestens im Mai 2018 Parlamentswahlen in Italien an, wo das Lager der Links- und Rechtspopulisten ähnlich stark ist wie in Frankreich. Der Euro-Raum kommt nicht zur Ruhe.

Bislang haben es die Gegner einer Mitgliedschaft in der Währungsunion in keinem Land an die Regierung geschafft. Aber die EU darf sich nicht nur von Wahl zu Wahl hangeln. Europa braucht endlich eine gemeinsame Vision für solide Staatsfinanzen, die aber auch mit einem französischen Präsidenten Macron nicht in Sicht ist. Schließlich ist er für gemeinsame Anleihen, die die Bundesregierung zurecht ablehnt."

Marcel Fratzscher, DIW-Präsident

"Dies ist ein guter Tag für Frankreich, für Deutschland und für ganz Europa. Mit Emmanuel Macron hat Frankreich nun einen Präsidenten, der die besten Voraussetzungen mitbringt, um die Wirtschaft Frankreichs zu erneuern und Europa zu reformieren.

Macron steht vor ähnlich großen Herausforderungen wie Gerhard Schröder als Bundeskanzler vor 15 Jahren. Er muss harte Wirtschaftsreformen anstoßen und einen Mentalitätswandel herbeiführen, aber auch über 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler mitnehmen, die in der ersten Wahlrunde für links- oder rechtsextreme Kandidaten gestimmt haben und alle die, die sich enthalten haben.

Die Bundesregierung muss sich offener gegenüber gerechtfertigter Kritik aus Europa und Frankreich zeigen. Macron hat wiederholt die Bundesregierung für ihre Wirtschaftspolitik - die Investitionsschwäche, der Handelsüberschuss und die restriktive Finanzpolitik - kritisiert. Die Bundesregierung sollte diese Kritik konstruktiv annehmen und daran arbeiten, für das Wohl Europas als Ganzes und im Eigeninteresse ihren Beitrag dafür zu leisten, dass sich die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa zurückbilden."

Holger Sandte, Nordea-Chefsvolkswirt

"Das war der erwartete klare - und ich meine auch verdiente - Erfolg für Macron. Ich rechne mit einem guten Abschneiden von En Marche! auch bei der Parlamentswahl. Macron's wirtschaftspolitischen Pläne werden Frankreich voranbringen, wenn er sie umsetzen kann. Nach fünf mehr oder weniger verlorenen Jahren darf Frankreich diese Chance nicht vergeigen, sonst werden die Extremisten noch stärker."