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Erdogan ernennt Schwiegersohn zum Finanzminister

Präsident Erdogan ist offiziell mit erheblichen Vollmachten ausgestattet. Bei der Zusammenstellung seines Kabinetts gibt es unterdessen Überraschungen.

Als Recep Tayyip Erdogan am Montagnachmittag im türkischen Parlament den Amtseid leistete, blieb fast die Hälfte der Abgeordneten sitzen. Die Fraktion seiner Partei AKP bejubelte ihren Präsidenten mit stehenden Ovationen, während die Abgeordneten des halben Koalitionspartners MHP sich schweigend von ihren Plätzen erhoben. Doch die Parlamentarier der Oppositionsparteien CHP, HDP und Iyi-Partei blieb so lange sitzen, bis der Eid abgeleistet war. Sie standen erst auf, als die Nationalhymne des Landes ertönte.

Während der kurzen Zeremonie sagte Erdogan, er schwöre, dem Rechtsstaat gegenüber loyal zu bleiben, die demokratische und säkulare Republik zu schützen und sein Amt unparteiisch auszuüben. Er werde nicht abweichen von dem „Ideal, wonach jedermann im Land grundlegende Freiheiten und Menschenrechte“ genieße.

In dem Land zwischen Europa und Asien findet an diesem Montag eine Zäsur statt. Mit Erdogans Amtsschwur wird in der Türkei ein Präsidialsystem etabliert, in dem der Staatschef mit erheblich ausgeweiteten Befugnissen ausgestattet wird. Das seit 1950 geltende Parlamentssystem wird abgeschafft, genauso wie der Posten des Ministerpräsidenten. Dessen Kompetenzen gehen auf den Präsidenten über.

Nur Stunden nach seiner Vereidigung als Staatspräsident hat Recep Tayyip Erdogan am Montagabend sein neues Kabinett vorgestellt. Es umfasst 16 Minister – laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu 10 weniger als bisher. Bei vielen wichtigen Posten blieb allerdings alles beim Alten – Erdogan setzt auf Vertraute und Verwandte.

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Mit einigen Nominierung hat Präsident Erdogan unterdessen wohl so gut wie alle Beobachter überrascht. Sein engster Berater Ibrahim Kalin, der zuvor als Außenminister gehandelt worden war, fehlt auf der Liste. Stattdessen bleibt Mevlüt Cavusoglu im Amt, der in den vergangenen Jahren erfolgreich Erdogans Doktrin einer präemptiven Außenpolitik dem Rest der Welt vermittelte.

Erdogans Schwiegersohn sitzt im Kabinett

Ebenso fehlt Mehmet Şimşek. Der Ex-Vizepremier war für die Finanzen zuständig und galt als beliebt bei den für die Türkei so wichtigen internationalen Investoren. Seinen Platz nimmt Berat Albayrak ein – Erdogans Schwiegersohn. Albayrak gilt als guter Manager, der durchaus zuhören kann, aber auch gerne seine eigenen Ideen umsetzt. Leute aus seinem Umfeld schätzen Albayraks relativ unkomplizierte Art. Kritiker bemängeln, der Ex-Energieminister sei überhaupt nur im Kabinett, weil er Erdogans Schwiegersohn ist. Klar ist: Investoren sind nicht erfreut. Die Lira sackte Sekunden nach der Nominierung Albayraks um zwei Prozent ab.

Der neue Tourismusminister Mehmet Ersoy ist ein Kind der Branche. Mit seinen Brüdern baute der 50-Jährige den größten Reiseanbieter des Landes auf. In der Branche wird er geschätzt. Ersoy löst Numan Kurtulmus ab, einen Vertrauten Erdogans, der als Erzkonservativer allerdings nicht unbedingt die gesamte Branche repräsentieren konnte. Ersoy dürfte nun alles daran setzen, die Türkei wieder als Massentourismus-Destination zu etablieren.

Ein Phantom scheint die neue Familienministerin Zehra Zümrüt Selcuk zu sein. Sie hat weder eine Parteikarriere vorzuweisen noch ist sie als Wissenschaftlerin bekannt. Das muss per se kein Nachteil sein. Doch in dem wichtigen Ministerium, das auch die Felder Arbeit und Soziales umfasst, hätte man auch einen prominenteren Kandidaten erwarten können. Selcuk hat zwar einen Account auf der Karriereplattform Linkedin, sonst sind aber Sigur wie keine Informationen über sie veröffentlicht.

Am Ende entscheidet einer – Erdogan

Den hat das Verteidigungsministerium vorzuweisen. Minister wird kein Geringerer als Hulusi Akar, der zuvor als Generalstabschef die Armee geführt hatte. Ein Militär in der Politik – für Erdogan bedeutet das wohl, dass er das einst starke Militär nun vollends unter seine Fittiche genommen hat.

Der neue Jugend- und Sportminister hat eine besonders interessante Karriere vorzuweisen: Mehmet Kasapoglu war zuvor Leiter der staatlichen Sportlotterie. Auffällig ist auch, dass fast alle Minister mehrere Kinder haben – und das in dem 18-köpfigen Kabinett gerade einmal zwei Frauen vertreten sind.

Mit der neuen Regierung wird vor allem klar, wohin die Reise gehen soll. Im Kabinett findet sich niemand, der dem Präsidenten in den letzten Jahren ernsthaft widersprochen hat. Das heißt: Am Ende entscheidet einer – und der heißt Erdogan.

Immerhin hat Brüssel aber künftig nur noch mit einem türkischen Vertreter zu tun: Ankara schafft mit der Einführung des Präsidialsystems das EU-Ministerium des Landes ab, es wird in das Außenministerium integriert.

Genauso wichtig dürfte die Frage sein, wie Erdogans Schwiegersohn Albayrak die Wirtschaftspolitik des Landes lenken darf. Mit dem Aus des ehemaligen Vizepremier Simsek dürfte sich vor allem bei Investoren einiges verändern.

Simsek galt unter AKP-Kadern als der beliebteste bei internationalen Investoren. Mit seiner liberalen Haltung eckte er zuletzt häufiger an. Einige glauben, er hätte die Gunst Erdogans verwirkt, was sich nun wohl bestätigt hat. Nach Erdogans Amtseid war Simsek dennoch der Zweite im Saal, der ihm gratulierte.

In Deutschland sind nach offiziellen Angaben rund 7000 deutsche Firmen engagiert. Mindestens 2000 dürften tatsächlich in dem Land aktiv sein, womit Deutschland immer noch eine Spitzenposition einnimmt. Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK zuletzt vor den negativen Entwicklungen in der Türkei warnte, versicherte die Außenhandelskammer in Istanbul: „Die deutschen Unternehmen stehen zur Türkei.“

Was bedeutet Erdogans Auswahl für die Wirtschaft?

An den Märkten jedenfalls schien man sich am Vormittag noch auf die neu eingeschworene Führung zu freuen. Die Währung des Landes, die seit Jahresbeginn rund ein Fünftel an Wert verloren hat, legte zum Handelsbeginn um 0,9 Prozent zu. Der Börsenindex Borsa Istanbul legte zeitweise um bis zu 1,7 Prozent zu. Zehnjährige Staatsanleihen, die zuletzt nur mit einer besonders hohen Rendite verkauft werden konnten, verloren immerhin 0,08 Prozentpunkte auf 17,35 Prozent. Doch nach der Nominierung sackte die Lira im Späthandel ab.
Nach der Wahl hatten verschiedene Investoren die Hoffnung geäußert, die Wirtschaftspolitik könne in Erdogans Präsidialsystem in geordnete Bahnen zurückgelenkt werden. Sie wurden jetzt offenbar enttäuscht. Mit Albayrak steht nun ein unberechenbarer und kaum erfahrener Minister an der Spitze der ökonomischen Entwicklung des Landes. Für Unternehmer und Anleger muss das nicht schlecht sein, gilt Albayrak als Politiker, der wie ein Unternehmer denkt. Doch er muss jetzt schnell liefern – und am besten gleich zeigen, dass er eine eigene Stabilitätsagenda für die Türkei entwickeln kann.