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Erdogan legt sich mit der Nato an

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist unzufrieden. „Ineffizient“ und „unzureichend“ sei die Unterstützung der für die türkischen Truppen, die seit Ende August in Nordsyrien gegen die Terrormilizen des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) kämpfen, kritisierte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin jetzt im Nachrichtensender „Kanal 24“. Man werde zwar „keine voreiligen Bewertungen“ vornehmen, sagte Kalin. Die habe aber jederzeit das Recht, den Luftwaffenstützpunkt Incirlik für die Einsätze der von den USA geführten Koalition gegen den IS zu schließen.

Auch der türkische Vize-Premierminister Veysi Kaynak stellt die weitere Nutzung der Basis durch die Koalition infrage: Der Stützpunkt sei „nur selten“ zur Unterstützung des türkischen Einsatzes in genutzt worden. Die türkische Nation habe deshalb „Zweifel“ an der Präsenz der Koalition in Incirlik. „Das Thema ist auf der Tagesordnung der Regierung“, unterstrich Kaynak. Außenminister Mevlüt Cavusoglu droht ebenfalls mit einer Schließung von Incirlik: Das türkische Volk frage, warum die Koalition den Flugplatz nutze, wenn sie nicht die türkischen Operationen in Nordsyrien unterstütze, sagte Cavusoglu der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Aus dem Mund des Erdogan-Sprechers bekommt die Warnung jedoch ein besonderes Gewicht: Kalin gilt als Sprachrohr des Staatschefs Erdogan, der sich alle wichtigen politischen Entscheidungen selbst vorbehält. Hintergrund der Debatte um eine Schließung von Incirlik ist der seit mehr als einem Jahr schwelende Streit zwischen Ankara und Washington um die Strategie im Syrienkrieg und die Rolle der syrischen Kurden beim Kampf gegen den IS.

In Syrien verfolgen die USA und die Türkei unterschiedliche Ziele. Die türkischen Streitkräfte, die Ende August in Nordsyrien einmarschierten, kämpfen dort zwar auch gegen den IS. Hauptziel der türkischen „Operation Euphrat Schild“ ist aber, die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) aus der Region zu vertreiben und so Pläne für eine kurdische Autonomiezone an der türkischen Grenze zu durchkreuzen. „Wir werden niemals die Bildung eines Terror-Korridors an unserer Grenze zulassen“, sagte Erdogan-Sprecher Kalin.

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Außenminister Cavusoglu erklärte, es gebe eine „Vertrauenskrise“ im Verhältnis zu Washington. Die USA hätte ihr Versprechen gebrochen, die YPG zum Rückzug östlich des Euphrat zu zwingen. Die YPG ist der syrische Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit Sommer 2015 die Türkei mit einer Terrorwelle überzieht. Während die Türkei die YPG als Terrororganisation bekämpft, sind die Kurdenmilizen für die USA ein wichtiger und schlagkräftiger Verbündeter im Bodenkrieg gegen den IS.

Aktuell konzentriert sich die türkische Armee darauf, den IS aus der strategisch wichtigen Stadt al-Bab zu vertreiben. Zugleich will Ankara verhindern, dass die Region nach der Befreiung an die syrischen Kurden fällt. Türkische Regierungspolitiker hatten in jüngster Zeit mehrfach kritisiert, die USA unterstützten die türkischen Truppen nicht ausreichend im Kampf um al-Bab. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim ging sogar so weit, den USA Untätigkeit im Kampf gegen den IS vorzuwerfen. „Die Türkei ist das einzige Land, das diesen Kampf führt“, sagte Yildirim diese Woche vor Abgeordneten der Regierungspartei AKP. „Die Vereinigten Staaten tun gar nichts.“


USA lagern in Incirlik taktische Atomwaffen

Erst nach langem Hin und Her hatte die im Juli 2015 den und ihren Verbündeten die Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Incirlik zur Bombardierung von IS-Stellungen in gestattet. Seit Januar 2016 beteiligt sich auch die Bundeswehr mit sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Airbus-Tanker an der „Operation Inherent Resolve“. Nachdem der Deutsche Bundestag Anfang Juni in einer Resolution die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als „Völkermord“ einstufte, untersagte die türkische Regierung Besuche von Bundestagsabgeordneten in Incirlik. Die Kontroverse schwelt weiter. Sie wird aber gegenstandslos, wenn die Türkei den USA in Incirlik den Stuhl vor die Tür setzt. Denn dann wäre auch der Bundeswehr-Einsatz beendet.

Bereits im vergangenen Sommer gab es in Medienberichten Spekulationen über angebliche Pläne, die Aufklärer der Luftwaffe aus Incirlik nach Jordanien oder Zypern zu verlegen. Anfang September 2016 wurde dann bekannt, dass die Bundeswehr weitere 58 Millionen Euro in den Standort Incirlik investieren will. Die Türkei hat die geplanten Baumaßnahmen allerdings bisher nicht genehmigt.

Für die USA wäre eine Schließung von Incirlik ein schwerer Verlust. Eigentümer der schon 1954 in Betrieb genommen Basis am Rand der südanatolischen Millionenstadt Adana ist zwar die türkische Luftwaffe, größter Nutzer jedoch die US-Air-Force. Im Kalten Krieg diente Incirlik als Landeplatz für Langstreckenbomber und Ausgangspunkt für Spionageflüge über dem Ostblock. Seit den 1990er Jahren ist Incirlik einer der wichtigsten Stützpunkte für die Einsätze der Amerikaner im Nahen Osten und den Krieg in Afghanistan. 2005 verlegte die US-Air-Force ihr Drehkreuz zur Versorgung der Streitkräfte in Südwestasien von der Rhein-Main Air Base in Deutschland nach Incirlik. Schon seit den 1950er Jahren lagern die USA in Incirlik taktische Atomwaffen. Ihre aktuelle Zahl ist geheim. Die Rede ist von 50 bis 90 Sprengköpfen.

Nachdem Incirlik während des Putschversuchs vom Juli für mehrere Tage von der Stromversorgung abgeschnitten und der Außenwelt abgeriegelt war, gab es in den USA eine Debatte um die Sicherheit dieser Waffen. Die Sprengköpfe könnten „Terroristen oder anderen feindlichen Kräften in die Hände fallen“, warnte eine Studie der Denkfabrik Stimson Center. Atomwaffen in Incirlik zu lagern, sei „russisches Roulette“, warnte die Co-Autorin der Studie, Laicie Heeley.

Die türkischen Drohungen, Incirlik für die USA zu schließen, haben nicht nur deswegen eine geopolitische Dimension. Öffnet sich mit einem Rauswurf der Amerikaner möglicherweise in Incirlik eine Tür für Russland? Im November 2015 hatte der Abschuss eines russischen Bombers durch die türkische Luftwaffe für eine Eiszeit in den Beziehungen beider Länder gesorgt. „Seit der Aussöhnung zwischen Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin im vergangenen Sommer machen wir uns Gedanken über die militärischen Aspekte der Wiederannäherung“, sagt der Militärattaché eines westlichen Landes in Ankara. Im Oktober bestätigte Erdogan-Sprecher Kalin, dass der -Partner Türkei mit Russland über die Lieferung eines Luftabwehrsystems verhandelt. Einen Monat später brachte Erdogan eine Orientierung der Türkei in Richtung Russland und China ins Gespräch – als Alternative zur EU-Mitgliedschaft.

In Syrien arbeiten Moskau und Ankara inzwischen militärisch eng zusammen. Nicht einmal die Ermordung des russischen Botschafters in Ankara kurz vor Weihnachten überschattete die Wiederannäherung. Ende Dezember handelten die Türkei und Russland gemeinsam eine landesweite Waffenruhe aus. Während sich Ankara nun über mangelnde Kooperation der USA in Nordsyrien beklagt, unterstützten russische Kampfflugzeuge in jüngster Zeit mehrfach die türkischen Bodentruppen bei den Kämpfen um al-Bab.

Die Frage ist, wie weit Erdogan in der militärischen Zusammenarbeit mit Putin geht. Seit Monaten wird in Ankara über mögliche „Erleichterungen“ wie Tankstopps für russische Kampfflugzeuge auf türkischen Stützpunkten spekuliert. Türkische Regierungspolitiker dementieren solche Überlegungen zwar. Aber in Incirlik gäbe es nach einem Abzug der Anti-IS-Koalition zumindest genug Platz.

KONTEXT

USA und Türkei - eine schwierige Partnerschaft

Gülen

Die Türkei fordert von den USA die Auslieferung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der seit Ende der 1990er Jahre in den USA lebt. Ankara macht Gülen und seine Bewegung für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich. Aus dem Weißen Haus heißt es, die Begründung des Auslieferungsantrags beziehe sich auf Straftaten vor dem Putschversuch. Außerdem entscheide ein Gericht über die Auslieferung - und das könne Jahre dauern. Ankara hat dafür wenig Verständnis und will, dass Gülen möglichst schnell übergeben wird.

Syrien

Die Prioritäten im Bürgerkriegsland Syrien sind verschieden. Die USA wollen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) besiegen, die Türkei will vor allem kurdische Milizen an einem weiteren Vorrücken hindern. Im Kampf gegen den IS unterstützen die USA ein Bündnis unter Führung der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) - eines Ablegers der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Beide gelten in der Türkei als Terrororganisationen. Die USA erkennt offiziell nur die PKK als solche an und braucht die YPG im Kampf gegen den IS. Auch die Türkei will den IS von ihren Grenzen verdrängen, aber eben nicht mithilfe der syrischen Kurden. Im Gegenteil: Ankara fordert deren Rückzug.

Incirlik

In der südtürkischen Militärbasis Incirlik lagern die USA Atomsprengköpfe. Nach dem Putschversuch und den anschließenden Entlassungen auch im Militär gibt es Diskussionen darüber, ob die Waffen in der Türkei überhaupt noch sicher sind.

Moskau und Teheran

Anfang August legten die Türkei und Russland einen monatelangen Streit wegen des Abschusses eines russischen Kampfflugzeuges bei. Die erste Auslandsreise von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach dem Putschversuch vom 15. Juli ging nach Russland, um sich mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu treffen. Beide Seiten zeigen nun demonstrativ Geschlossenheit. Auch an den Iran, der wie Russland den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützt, nähert sich die Türkei in der Syrienkrise an. Außenminister Mevlüt Cavusoglu war erst kürzlich in Teheran.

KONTEXT

Wer kämpft gegen wen in Syrien?

Regime

Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen am Mittelmeer. Syriens Armee hat allerdings viele Soldaten verloren und wird vor allem durch russische Kampfjets, iranische Kämpfer und die Schiitenmiliz Hisbollah unterstützt. Auch Verbände aus Afghanistan und dem Irak sollen aufseiten des Regimes kämpfen.

Islamischer Staat (IS)

Die Terrormiliz hat in den vergangenen Monaten große Teile ihres Gebietes verloren, herrscht aber immer noch in vielen Städten entlang des Euphrats und in Zentralsyrien.

Rebellen

Unzählige Rebellengruppen kämpfen in Syrien - von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten, wie der früheren Nusra-Front. Immer wieder gehen die verschiedenen Truppen zeitweise Zweckbündnisse ein.

Kurden

Kurdische Streitkräfte beherrschen mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei. Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS. Sie kämpfen teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime in Damaskus.

Die USA und der Westen

Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt unter anderem sechs Tornados für Aufklärungsflüge.

Russland

Seit einem Jahr fliegt Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien und steht an der Seite von Machthaber Assad. Russland bekämpft offiziell den IS, greift aber den Angaben zufolge immer wieder auch moderate Rebellengruppen an, die Seite an Seite mit Dschihadisten kämpfen.

Iran

Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes. Nach Angaben Teherans sind Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden als militärische Berater der syrischen Armee im Einsatz.

Saudi-Arabien und die Türkei

Riad und Ankara sind wichtige Unterstützer von Rebellen. Sie fordern den Sturz Assads. Saudi-Arabien geht es darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten. Die Türkei will eine größere Selbstbestimmung der Kurden in Nordsyrien verhindern.

KONTEXT

Wer hat Einfluss auf Erdogan?

Hintergrund

Demokratisch legitimierte Institutionen dürfen nicht vom Militär gestürzt werden - das ist die einhellige Reaktion vieler Staats- und Regierungschefs auf den Putschversuch in der Türkei. Doch die postwendende Ankündigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan einer "Säuberung" lässt nichts Gutes für Demokratie und Rechtsstaat ahnen.

Der Westen

Die Beziehungen zum Westen haben sich in den vergangenen Monaten weiter verschlechtert. Gründe sind die Eskalation des innertürkischen Konflikts mit den Kurden, Einschränkungen von Parlamentarierrechten und hartes Vorgehen gegen Journalisten. Von US-Präsident Barack Obama bis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel sind Staats- und Regierungschefs auf Distanz zu Erdogan gegangen. Von ihnen dürfte er sich nun erst recht nichts sagen lassen.

Angela Merkel

Seit Übernahme des Kanzleramts 2005 spricht sich Merkel gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union aus. Sie hat zu dem impulsiven Erdogan nie einen engen Draht aufbauen können. Viel besser gelang ihr das mit Premierminister Ahmet Davutoglu, mit dem sie in Brüssel die Verhandlungen über den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei führte - der aber auf Betreiben Erdogans im Juni abtreten musste. Mit der Armenienresolution des Bundestags ist das Verhältnis zur Türkei im Frühsommer dann auf dem Tiefpunkt angelangt. Der Bundestag hatte die Massaker im damaligen Osmanischen Reich 1915 an den Armeniern als Völkermord eingestuft.

Wladimir Putin

Die Türkei hatte Ende November 2015 ein russisches Kampfflugzeug im syrischen Grenzgebiet abgeschossen. Putin tobte und verhängte schmerzhafte Sanktionen gegen die bis dahin befreundete Türkei. Nun sollen die Beziehungen wieder normalisiert werden, nachdem Erdogan jüngst einen Brief an Putin schrieb, den der Kreml als die geforderte Entschuldigung für den Abschuss gelten ließ. Aber selbst wenn die beiden Präsidenten wieder zueinander fänden - Putin gilt nicht gerade als guter Lehrer in den Fächern Demokratie und Rechtsstaat.

Die EU

Erdogan weiß um die Macht der Türkei, Flüchtlinge von ihrem Weg in die EU abzuhalten. Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass Brüssel in Demokratie- und Menschenrechtsfragen gegenüber der Türkei stillhielt, um Ankara nicht zu verprellen.

G20

Anfang September treffen sich Obama, Merkel, Putin und Erdogan beim Gipfel der 19 führenden Industrienationen und der EU (G20) in China. Der neue Ministerpräsident Binali Yildirim verkündete erst kürzlich, außenpolitisches Ziel Ankaras sei es, "die Zahl der Freunde zu mehren, die der Feinde zu verringern". Bis September könnte Erdogan Säuberungswelle aber schon weitgehend abgeschlossen sein.