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„Epochaler Umbruch“ in der Luftfahrt: So soll der Branche der Neustart gelingen

Bei einem Luftverkehrsgipfel vereinbaren die EU-Verkehrsminister einheitliche Hygieneregeln. Flughäfen und Flugsicherung genügt das nicht: Sie rufen nach staatlicher Hilfe.

Gemeinsam mit seinen europäischen Kollegen hat sich der Verkehrsminister auf Hygieneregeln für die Luftfahrt verständigt. Doch das wird kaum reichen, um die Branche aus der Krise zu führen. Foto: dpa
Gemeinsam mit seinen europäischen Kollegen hat sich der Verkehrsminister auf Hygieneregeln für die Luftfahrt verständigt. Doch das wird kaum reichen, um die Branche aus der Krise zu führen. Foto: dpa

Es ist die diplomatische Formulierung eines Hilferufs. „Wir fordern mehr Einheitlichkeit und Stabilität. Reisebeschränkungen sollten Risiko und Wissenschaft einbeziehen. Sie sollten transparent und vorhersehbar sein“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr an diesem Donnerstag bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister mit Vertretern der Luftverkehrsbranche.

Die Verkehrsminister einigten sich auf dem Luftfahrtgipfel auf einheitliche Standards zum Gesundheitsschutz an Flughäfen und in Flugzeugen, darunter eine Maskenpflicht für alle Passagiere ab dem 6. Lebensjahr. Doch einheitliche Regeln allein retten die Branche nicht. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) spricht von einem „epochalen Umbruch“ im globalen Luftverkehrsmarkt.

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Nachdem die Lufthansa mit neun Milliarden Euro an Staatshilfen gerettet worden ist, rufen nun die Unternehmen der öffentlichen Hand um Hilfe. Die Deutsche Flugsicherung, die dem Bundesverkehrsministerium unterstellt ist, rechnet mit Umsatzeinbrüchen „von 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren“, sagt der Chef der Flugsicherung, Klaus-Dieter Scheurle, dem Handelsblatt. „Das übersteigt natürlich auch unsere Kräfte.“

Ähnlich ist die Situation bei vielen Flughäfen. Sie gehören in der Regel den Kommunen und in einigen Fällen den Ländern. „Es muss allen klar sein, dass die Verantwortung für die Flughäfen in dieser schweren Krise nicht allein bei den Gesellschaftern der Airports liegen kann“, sagt Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverband ADV. „Auch der Bund ist hier in der Pflicht.“

Geisterflughäfen, leere Flugzeuge, Flugsicherungen ohne Flugbewegungen und Fluggesellschaften, die nur noch mit Staatshilfen in Milliardenhöhe überleben können und damit auch die Hersteller wie Airbus und Boeing in größte Not bringen: Die Coronakrise hat die Luftverkehrswirtschaft mit voller Wucht getroffen. Allenfalls wenige Gütertransporter flogen, ansonsten fand der Luftverkehr zwischenzeitlich nicht mehr statt.

Über 120 Milliarden Dollar an Finanzhilfen haben Regierungen weltweit bisher in die Luftfahrt gesteckt, vor allem in Airlines. Das sind umgerechnet über 100 Milliarden Euro. Doch das Geld wird kaum reichen, die heftigen Folgen der Pandemie für die Branche abzufedern.

Zwar wird mittlerweile wieder etwas mehr geflogen. Dennoch kann niemand gesichert vorhersagen, wie schnell sich die Situation weiter verbessern wird.

Laut Alexandre de Juniac, Generaldirektor der weltweiten Airline-Organisation Iata, liegt die Zahl der Passagiere in Europa noch mehr als 60 Prozent niedriger als vor dem Lockdown. Im internationalen Verkehr betrage das Minus sogar noch 85 Prozent. „Die Regierungen werden weiterhin regulatorische und finanzielle Unterstützung für den Luftverkehr geben müssen“, sagte de Juniac.

An den Flughäfen herrscht inzwischen die Angst vor der Pleite. „Die wirtschaftliche Situation an vielen Flughäfen ist aufgrund der fehlenden Einnahmen besorgniserregend“, sagt Flughafenverbands-Geschäftsführer Beisel. In Frankfurt stehen schon jetzt 4000 Stellen zur Disposition. Die Berliner Flughafengesellschaft will 400 Arbeitsplätze abbauen – jede fünfte Stelle.

Die Flughäfen haben wie auch die Deutsche Flugsicherung als Unternehmen der öffentlichen Hand keinen Zugang zu den KfW-Hilfskrediten oder den Geldern des Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Gleichzeitig verweist der Bund bei der Frage nach Finanzhilfen an die Gesellschafter der Flughäfen – in der Regel Kommunen und in einigen Fällen auch die Länder. Doch auch dort ist das Geld wegen der Coronafolgen knapp.

Unter anderem fordern die Flughäfen die Übernahme der Kosten, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs etwa für Notfälle oder die Versorgung der Bevölkerung anfallen. Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport, hat bereits mehrfach gewarnt: „Wenn die Flughäfen keine Unterstützung erhalten, droht vielen von ihnen das Ende.“

Der Chef der Deutschen Flugsicherung (DFS) fordert inzwischen ebenfalls staatliche Hilfen. „Wir werden über Jahre mit Einnahmeausfällen zu kämpfen haben“, sagte Klaus-Dieter Scheurle.

Die Verkehrsminister der EU-Staaten verständigten sich bei ihrem Treffen, an dem auch die Chefs großer Fluggesellschaften, Hersteller, Flughäfen sowie Flugsicherungen teilnahmen, zumindest auf einheitliche Hygienestandards. Da die Runde keine verbindlichen Beschlüsse fassen konnte, ging es darum, Empfehlungen und Appelle an die EU-Kommission zu formulieren.

Wie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erklärte, soll ein Mund-Nase-Schutz für Reisende ab sechs Jahren gelten. Zudem müssen an Flughäfen bei Sicherheitskontrolle und Check-in Mindestabstände eingehalten werden, auch wenn sich die Abfertigung dadurch verzögert.

Bessere Auslastung mit Hygienestandards

Eine hohe Frischluftquote in den Flugzeugen müsse ebenso gesichert sein wie die Verbreitung von Informationen in mehreren Sprachen. So soll verhindert werden, dass Sitzplätze zwischen Passagieren freigehalten werden müssen und Kapazitäten verloren gehen.

Die Minister hoffen, auf diese Weise den Luftverkehr schnell wieder in Schwung zu bringen. Die stark abweichenden Vorgaben der einzelnen Regierungen im Umgang mit der Corona-Pandemie haben bisher den Neustart behindert. Die Fluggäste halten sich aus Sorge, in einem Land zu stranden oder in Quarantäne zu müssen, mit Buchungen zurück.

In der Woche vom 6. bis zum 12. Juli lag die Zahl der Fluggäste an den deutschen Flughäfen immer noch um fast 83 Prozent unter der des Vorjahreszeitraums.

„Wir erwarten einheitliche europäische Standards, damit es keine Probleme mehr gibt, wenn jemand von einem Land in ein anderes fliegen will“, sagte der Luftfahrtkoordinator der Bundesregierung, Thomas Jarzombek (CDU). „Auch muss es zu einem Regelwerk für interkontinentale Flüge kommen“, sagte er weiter.

Mit einer einheitlichen europäischen Haltung zu den Hygieneregeln dürfte es leichter werden, auch Regeln für Flüge nach Amerika oder Asien festzulegen. Gerade die wichtigen Erlöse auf Langstreckenverbindungen etwa zwischen den USA und Europa fehlen den Airlines.

Deshalb hatten die Chefs der großen Fluggesellschaften kurz vor dem Gipfeltreffen in einem öffentlichen Brief an US-Vizepräsident Mike Pence und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson eine baldige Öffnung des transatlantischen Verkehrs angemahnt. Eine Antwort auf die Pandemie sei eine Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Bürgern und Unternehmen, heißt es in dem Schreiben, das die CEOs von United, American Airlines, Lufthansa und der International Airlines Group (British Airways und Iberia) unterzeichnet haben.

„Niemandem wird die andauernde Schließung dieses am wenigsten entbehrlichen Korridors für die globale Luftfahrt nutzen“, schreiben die Topmanager. Sie schlagen konkrete Maßnahmen wie koordinierte Corona-Testprogramme vor. Die Hygiene‧richtlinien von Regierungen, Airlines und Flughäfen für Passagiere und Crews seien eine solide Basis für das Wiederhochfahren des Luftverkehrs.

Damit wollen die Airline-Chefs ein aktuelles Kernproblem lösen. Die sehr unterschiedlichen Regierungsmaßnahmen in den einzelnen Ländern sowie die Tatsache, dass sie sich ständig ändern, halten viele Bürger davon ab, Flüge zu buchen. Gleichzeitig müssen die Airlines das Flugprogramm wieder hochfahren, um Kunden überhaupt ein Angebot unterbreiten zu können.

Landerechte sichern

Im Vorfeld hatte die Luftverkehrswirtschaft gefordert, „irreparable Strukturbrüche“ in der europäischen Branche infolge der Corona-Pandemie zu verhindern. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Matthias von Randow, sprach sich dafür aus, eine zeitlich begrenzte Aussetzung von Regeln bei den Start- und Landerechten auf EU-Ebene zu verlängern.

Auch Lufthansa-Chef Spohr hatte diese Forderung beim Gipfeltreffen vorgetragen. „Um in diesen herausfordernden Zeiten ein Höchstmaß an Flexibilität für unseren Betrieb zu gewährleisten, brauchen wir eine Verlängerung zumindest für den Winterflugplan“, hatte er gefordert.

Im Oktober läuft die Ausnahmeregelung aus. Dann müssten die Fluggesellschaften wieder mindestens vier Fünftel ihrer in den Flugplänen festgelegten Flugverbindungen mit Starts und Landungen bedienen. So sieht es die sogenannte „80/20-Regel“ vor. Nur dann dürfen Fluggesellschaften ihre Start- und Landerechte in der folgenden Saison behalten. Das Prinzip nennt sich „Use it or lose it“.

In der Coronakrise flogen viele Airlines deshalb sogar teilweise ohne Passagiere, um die Slots behalten zu können. Die EU-Kommission hatte daraufhin mit Zustimmung des EU-Parlaments die Regel außer Kraft gesetzt. Begründet wurde dies mit „höherer Gewalt“.

Alle 90 Minuten geht eine Million verloren

„Es ergibt keinen Sinn, mit leeren Flugzeugen zu fliegen, um Slots zu erhalten“, hieß es bei der Lufthansa, weder wirtschaftlich noch ökologisch. Die schwache Auslastung decke dabei vielfach nicht einmal die Betriebskosten. Die Lufthansa verliert nach Angaben Spohrs jede Stunde eine Million Euro Liquidität. „Ende des Jahres wird es immer noch eine Million Euro alle 90 Minuten sein“, sagte Spohr bei dem Treffen.

Viele Flughafenbetreiber argumentieren dagegen mit Blick auf ihre Gebühreneinnahmen, dass es durchaus Interesse an den Verkehrsrechten gebe. Wenn die Eigentümer der Slots sie nicht nutzten, sollten sie daher an andere abgegeben werden. Das sei auch für die „Konnektivität“, also die Verbindungsqualität der Airports, wichtig.

Ebenso argumentieren Flugsicherungen, die mit jeder Start- und Landebewegung Gebühren erheben. In Frankfurt, dem größten deutschen Drehkreuz, lag die Zahl der abgefertigten Fluggäste in der Woche vom 13. bis 19. Juli noch um 80,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres.

Die Aussicht auf eine nur langsame Erholung führt dazu, dass die Airlines damit beginnen, Personal abzubauen. Das betrifft zum Beispiel Lufthansa, Easyjet oder Air France-KLM. Ryanair droht gar damit, Standorte an Flughäfen zu schließen. Ebenso leiden die Dienstleister wie die Bodenverkehrsdienste.

In der Krise rücken auch der internationale Wettbewerb und mögliche Ungleichbehandlungen wieder in den Fokus. So wünscht sich Lufthansa-Chef Spohr Korrekturen beim europäischen Emissionshandel. In den Handel sind derzeit innereuropäische Flüge einbezogen, die mit Zertifikaten ihre CO2-Emissionen bezahlen müssen. Dies gilt auch für innereuropäische Zubringerflüge zu großen Hubs wie Frankfurt und München.

Zubringerflüge zu Hubs im nahen Ausland außerhalb der EU hingegen, etwa nach Istanbul, Doha oder nach dem Brexit auch London-Heathrow, unterliegen nicht dem Emissionshandel (ETS). „Die ETS-Befreiung von Zubringerflügen innerhalb der EU würde die Wettbewerbsbedingungen für den Transfer über Drehkreuze außerhalb der EU angleichen“, sagt Spohr. Die EU-Kommission plant derweil, die Zahl der kostenlosen Emissionsrechte zu kürzen.

Flottenerneuerung mit staatlicher Hilfe?

Lufthansa erhält bisher Staatshilfen in Höhe von neun Milliarden Euro, um durch die Krise zu kommen. Angesichts des Staatseinstiegs und der Anforderungen, weniger Klimagase auszustoßen, soll das Unternehmen bis 2023 bis zu 80 alte Flugzeuge durch neue ersetzen, vorbehaltlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Marktentwicklung, wie es im Rahmenvertrag zum Rettungspaket für die „Hansa“ heißt.

Zumindest kann Spohr für die Flottenmodernisierung zusätzliche Hilfen nutzen – eine Abwrackprämie. Da moderne Flugzeuge bis zu 30 Prozent weniger Kohlendioxid und Lärm verursachten, will der Bund mit einer Milliarde Euro „die beschleunigte Umstellung von Flugzeugflotten auf derartige Flugzeuge unterstützen“, wie die Koalition im Juni beschlossen hatte.

Davon könnte dann auch Condor profitieren. Die Ferienfluggesellschaft befindet sich nach der Pleite der Mutter Thomas Cook nach wie vor in einem Schutzschirmverfahren, das vor den Ansprüchen der Gläubiger schützt. Die polnische PGL-Gruppe hatte die geplante Übernahme von Condor wegen Corona abgesagt. Nun soll nach dem Abklingen der Krise ein neuer Eigentümer gesucht werden. Der müsste als eine der ersten Aufgaben die in die Jahre gekommene Flotte von Condor erneuern – eventuell mithilfe des deutschen Staates.