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Gas aus Biomüll könnte den Diesel ersetzen

Ein Blick in den Rückspiegel, ein weiterer in den Monitor der Heckkamera, dann gibt Heinz Pick ordentlich Gas. Nur für gut 50 Meter, dann stoppt sein weißer 16-Tonner an der nächsten Tonne, die mit Bioabfall an der Straße wartet. „Der zieht genauso gut wie ein Diesel-Lkw“, staunt der 56-Jährige mit dem blonden Dreitagebart, während er seine Schleife durch Erftstadt-Gymnich dreht. „Dabei ist das Fahrzeug höchstens halb so laut.“

Pick, seit knapp 25 Jahren Lenker von Müllwagen bei der Lünener Abfallfirma Remondis, ist seit wenigen Tagen neben seiner üblichen Arbeit zugleich Testfahrer, ebenso wie eine gute Handvoll Kollegen. Acht Entsorgungsfahrzeuge des Herstellers Iveco schickt Deutschlands größter Abfallkonzern seit August südwestlich von Köln ins Rennen, um einen neuen Antrieb auszuprobieren: aus Grün- und Bioabfällen gewonnenes Methangas.

Biogas-Fahrzeuge in Düsseldorf sollen spätestens ab November hinzukommen, später auch in Köln, Bonn, Münster, Lüneburg und Berlin. Man wolle vorbereitet sein, heißt es dazu offiziell im Unternehmen, sobald in deutschen Innenstädten ein Dieselfahrverbot ausgesprochen wird.

Noch entscheidender: Den Treibstoff produziert die Abfallfirma selbst – aus eingesammeltem Biomüll. Pro Gewichtstonne lassen sich, den Einsatz von Vergärungsanlagen vorausgesetzt, daraus rund 110 Kubikmeter Biogas erzeugen.

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88 Liter Diesel, gab Remondis jetzt erste Testergebnisse gegenüber dem Handelsblatt preis, ersetzt diese Menge an Biosprit – bei nahezu identischen Kosten: Im ersten Testlauf erwies sich der Flüssiggas-Einsatz fünf Prozent teurer als die Diesel-Konkurrenz, im zweiten war er 7,5 Prozent günstiger.

Kaum ein Unternehmen hat für den Biogas-Einsatz bessere Voraussetzungen als Remondis. 48 der deutschlandweit 210 Vergärungsanlagen unterstehen dem münsterländischen Familienkonzern. Sie allerdings verwandeln die Bioabfälle, da ein ausreichendes Tankstellennetz seit Jahren fehlt, bislang fast ausschließlich in Strom.

Tankstellennetze in Planung

Das könnte sich bald ändern. So befindet sich Remondis in Gesprächen mit der ehemaligen Eon-Tochter Open Grid, der Leipziger Ontras und dem niederländischen Total-Zukauf Pitpoint – allesamt Gasgesellschaften, die in Deutschland ein Netz für den Biotreibstoff aufbauen wollen.

Bislang liegt hier der Flaschenhals. Weil es deutschlandweit nur 86 Tankstellen für Lkw gibt, müssen Gas-Brummis weite Umwege fahren. An den übrigen knapp 800 Pkw-Gastankstellen lassen sich die Lkw-Treibstoffbehälter nur zur Hälfte füllen, was oft nur für 200 Kilometer Fahrtweg reicht.

Dabei hätte Biomethan das Zeug, dem Diesel den Rang abzulaufen. Und das nicht nur, weil es den Ausstoß von Feinstaub und Stickoxiden auf ein Minimum reduziert. Herstellen nämlich lässt sich Biogas ebenso aus überschüssigem Strom von Wind- oder Solaranlagen in Verbindung „biogenem CO2“, wie es sich etwa in Strohhalmen findet.

Noch halten viele Experten den Treibstoff für ein Nischenprodukt. „Die verfügbare Menge ist sehr begrenzt“, gibt Martin Lange, Verkehrsexperte im Umweltbundesamt, zu bedenken. Ähnlich sieht es Hans-Martin Henning, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). „Es ist durchaus sinnvoll, Biogas als Treibstoff zu verwerten“, sagt der Freiburger Professor. Allerdings gebe es für Bioabfälle eine „mächtige Nutzungskonkurrenz“, schränkt er ein. So werde, neben der Kraft-Wärme-Kopplung, ein Großteil der Biomasse für die Stromerzeugung eingesetzt.

Eine Nutzung, die angesichts der verzweifelten Suche nach umweltschonenden Treibstoffen einem Irrsinn gleicht. So erzeugt Deutschland heute aus Biogas, dem Hauptprodukt der Biomasse, laut Bundeslandwirtschaftsministerium eine jährliche Strommenge von 32,4 Terawattstunden (TWh). Alternativ eingesetzt würde das Gas ausreichen, rund vier Milliarden Liter Diesel zu ersetzen.

Eine Nische wäre das kaum noch. Der Lkw-Verkehr in Deutschland, rechnet man Zahlen des Umweltbundesamtes hoch, verbrauchte 2016 gut 21,7 Milliarden Liter. Theoretisch wäre es somit schon heute möglich, 18,5 Prozent des Güterverkehrs mit Biogas zu fahren. „Bis zu 50 Prozent des deutschen Straßengüterverkehrs“, gibt sich Remondis-Vertriebsmanager Lars Nehrling überzeugt, „könnte mit klimaneutralem Biomethan betrieben werden.“

Erhebliche Wirtschaftskraft

Wozu dann weiterhin per Biogas Strom erzeugen, der anschließend in Batterien für E-Fahrzeuge fließt? Nicht nur der Verlust beim Wirkungsgrad macht dies unvernünftig. „Die für uns notwendige Batterie wiegt drei Tonnen“, sagt Remondis-Manager Nehrling, „Gewicht, das die übliche Ladekapazität von 7,5 Tonnen je Lkw reduziert.“ Um die selbe Menge Abfall auf der Straße zu entsorgen, müsste sein Arbeitgeber die Lkw-Flotte um ein Drittel vergrößern, und damit um 2 666 Fahrzeuge.

Hinzu kommt: Bei durchschnittlich 36 Kilogramm Lithium pro Lkw-Batterie würde sich der Rohstoffbedarf, falls man alle deutschen Brummis über 3,5 Tonnen auf Elektrobetrieb umstellt, jährlich auf 10,6 Tonnen summieren. Das aber entspräche einem Drittel der Lithium-Weltproduktion.

Remondis setzt deshalb lieber auf Gas – mit möglichen Auswirkungen auf den zukünftigen Lkw-Antrieb in Deutschland. Denn nicht nur ein Großteil der 8000 Mülltransporter zählenden Flotte wird, falls der Versuchslauf die Erwartungen erfüllt, auf Sprit aus Kompost-Abfällen umgestellt. Auch andere Transportfirmen könnten folgen.

Bislang gab es so etwas nur in Berlin. Dort erwarb die Stadtreinigung (BSR) 2013 im Stadtteil Ruhleben eine Biogasanlage, um seither die Hälfte ihrer 300 Müllwagen mit Gas aus eigenem Kompost zu betreiben. Anfang August 2018 kam per Zukauf eine weitere Anlage in Hennickendorf hinzu.

Remondis dürfte nun dafür sorgen, dass der alternative Kraftstoff über die Grenzen der Hauptstadt hinaus an Popularität gewinnt. Schließlich ist der Konzern im gesamten Bundesgebiet aktiv, und zwar vorwiegend im Verbund mit öffentlichen Kommunalfirmen. Manche von ihnen, etwa in Köln, planen schon jetzt eigene Biogas-Tankstellen, die das Netz bundesweit verdichten werden.

Helfen dürfte auch die erhebliche Wirtschaftskraft. Hinter der Abfallgesellschaft steht der Familienkonzern Rethmann, nach den börsennotierten Franzosen Veolia und Suez drittgrößter Entsorger in Europa. Unter der Führung von Klemens, 53, und Ludger Rethmann, 52, setzten die Westfalen 2016 mit ihren 67.600 Mitarbeitern nicht nur 12,7 Milliarden Euro um, unterm Strich blieb ihnen ein üppiger Jahresüberschuss von 327 Millionen Euro.

Selbst hohe Investitionen wären vom Mutterkonzern leicht zu stemmen. Rethmanns operativen Cashflow betrug zuletzt 888 Millionen Euro, die Finanzverschuldung blieb mit dem 1,1-Fachen des Betriebsgewinns (Ebitda) übersichtlich.

Ausland lockt mit Steuervorteilen

Doch die Münsterländer sind bekannt dafür, mit spitzem Stift zu rechnen. So auch im Fall Biogas. „Wir sehen in dem Treibstoff riesiges Potenzial“, sagt ein Sprecher. Getestet werde derzeit aber „ergebnisoffen“.

Dabei sind es vor allem die Kosten, die Remondis in den Griff bekommen muss. Zwar ist Biogas im Gegensatz zu handelsüblichem Erdgas („Autogas“) vollständig klimaneutral, weil es aus nachwachsenden Rohstoffen entsteht. Die Anschaffung Biogas-betriebener Laster aber geht ins Geld. „Aktuell liegen die Preise 15 bis 20 Prozent über denen vergleichbarer Dieselfahrzeuge“, sagt Nehrling.

Rückenwind verspricht er sich jedoch von staatlichen Förderprogrammen. Anfang Juni kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer an, die Anschaffung gasbetriebener Lkw über 7,5 Tonnen mit jeweils 8000 Euro zu unterstützen. Den Fördertopf habe man mit zehn Millionen Euro gefüllt, erklärte der CSU-Minister. Zudem hofft man bei Remondis darauf, dass Rathäuser, die Entsorgungsaufträge öffentlich ausschreiben, künftig klimafreundliche Lkw-Flotten bevorzugen.

Im europäischen Ausland ist man da weiter. Frankreich etwa erlaubt es Unternehmen, gasbetriebenen Fahrzeuge über fünf Jahre mit einem Steuerbetrag von 140 Prozent abzuschreiben. Wer in den Niederlanden sein gasbetriebenes Dienstfahrzeug privat nutzt, braucht nur die Hälfte des üblichen Betrags als geldwerten Vorteil zu versteuern.

Spaniens Hauptstadt Madrid wird die eigene City ab November sogar komplett für Dieselfahrzeuge sperren, sofern sie nicht den Einwohnern selbst gehören. Den Busverkehr hat die Metropole vollständig auf Gasbetrieb umgestellt – und dazu eine zentrale Tankstelle für 71 Millionen Euro errichtet.

Allein auf die Politik verlassen aber wird sich Rethmann kaum. Ende 2006 hatte der Familienkonzern auf seinem Firmengelände, dem Lünener „Lippewerk“, für 24 Millionen Euro eine Biodiesel-Anlage errichtet, um jährlich 100.000 Tonnen Treibstoff zu erzeugen. Ihn produziert die Unternehmenstochter Saria aus Tierabfällen, die sie bei Schlachtbetrieben und Bauernhöfen einsammelt.

Zwölf Monate nach dem Start kippte die Bundesregierung, obwohl sie das Gegenteil zugesichert hatte, die Steuerermäßigung für den Saria-Sprit. Den Biodiesel aus Lünen machte das umgehend um neun Prozent teuer. Zornig soll Patriarch Norbert Rethmann damals mit dem Gedanken gespielt haben, die Anlage gleich wieder abzureißen – bis er Abnehmer in Frankreich und Spanien fand. Noch heute werde in Deutschland Saria-Biodiesel nicht verkauft, erzählt ein Firmenmitarbeiter.

Mit Biogas, das ist ihnen klar, wollen die Lünener nicht erneut in die Mühlen der Politik geraten.