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Entlastung für alle

Der Volkswagen-Aufsichtsrat sieht bei allen Vorstandsmitgliedern keine Verwicklung in den Dieselskandal. Deshalb soll das Topmanagement auf der Hauptversammlung im Mai durchgängig entlastet werden.

Alle Vorstände des Volkswagen-Konzerns sollen von der Hauptversammlung im Mai entlastet werden. Diese Empfehlung hat der VW-Aufsichtsrat am Dienstagabend ausgesprochen. Diese Entlastung gilt also auch für den zuletzt massiv unter Druck geratenen Audi-Chef Rupert Stadler.

Mitte März hatte eine Razzia der Staatsanwaltschaft München II in der Audi-Zentrale in Ingolstadt für Aufsehen gesorgt – just zu dem Zeitpunkt, als Stadler auf der Bilanzpressekonferenz die Zahlen für 2016 präsentieren wollte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt. Noch ist also bei Audi offen, ob die Strafbehörden wie bei Volkswagen gegen einzelne Mitarbeiter des Unternehmens vorgehen werden. Stadler, Audi-Chef seit 2007, hat immer wieder betont, dass er von den betrügerischen Manipulationen an den Dieselfahrzeugen nichts gewusst habe.

Stadler kann nach dem Votum des Kontrollgremiums zwar vorläufig aufatmen, die internen Untersuchungen sowohl bei Volkswagen als auch bei der Premiumtochter Audi sind damit aber noch nicht abgeschlossen. Der Aufsichtsrat wies ausdrücklich darauf hin, dass mit der vorgeschlagenen Entlastung kein Verzicht auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen einzelne Personen verbunden sei. Am Mittwoch kommt auch noch einmal der Audi-Aufsichtsrat zusammen, um über die Lage in der Dieselaffäre zu diskutieren. Etliche Aufsichtsräte des Konzerngremiums wie etwa Familiensprecher Wolfgang Porsche gehören auch zu den Kontrolleuren bei Audi.

Rupert Stadler war schon seit Längerem intern zur Last gelegt worden, dass er bei der Aufklärung der Abgasmanipulationen keine glückliche Figur abgegeben habe. Der 54-Jährige hatte deshalb schon mehrfach mit Gegenwind zu kämpfen. Zuletzt waren in einem Rechtsstreit neue Vorwürfe gegen ihn laut geworden. Vor dem Amtsgericht Heilbronn läuft der Prozess eines ehemaligen Audi-Entwicklungsingenieurs, der gegen seine Entlassung im Zusammenhang mit dem Dieselskandal klagt und Stadler beschuldigt. Der Audi-Chef hatte immer wieder betont, dass er in die Manipulationen nicht eingeweiht gewesen sei.

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Der Volkswagen-Aufsichtsrat begründete seine Entscheidung mit einer „umfassenden rechtlichen Prüfung der Anwaltssozietät Gleiss Lutz“. Grundlage dieser Prüfung seien die umfassenden Untersuchungsergebnisse der amerikanischen Anwaltskanzlei Jones Day gewesen. Eine schuldhafte Beteiligung einzelner Vorstandsmitglieder ist demnach nicht nachgewiesen worden. „Der Aufsichtsrat drückt damit sein Vertrauen in den gesamten Vorstand aus, die umfassende Neuausrichtung des Konzerns weiter erfolgreich voranzutreiben“, hieß es weiter in der schriftlichen Erklärung des Aufsichtsrates.

Mit dem Votum des Kontrollgremiums gerät auch VW-Markenchef Herbert Diess aus der Schusslinie. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Die Ermittler suchen nach Beweisen, dass Diess die VW-Aktionäre zu spät über die drohende Dieselaffäre informiert haben könnte. Nach Bekanntwerden des Skandals im September 2015 war der VW-Aktienkurs dramatisch eingebrochen. Der VW-Aufsichtsrat sieht also auch bei Diess kein persönliches Vergehen.

Der VW-Markenchef hatte zuletzt wegen seines Streits mit Betriebsratschef Bernd Osterloh immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Ausgangspunkt waren Streitigkeiten über den sogenannten Zukunftspakt, das aktuelle Sanierungsprogramm von Volkswagen in Deutschland, mit dem auch 23.000 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen. Osterloh ist auch Mitglied des Aufsichtsrates und musste deshalb auch persönlich ein Votum über die Arbeit der Vorstandsmitglieder wie Herbert Diess abgeben.

Wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermitteln die Braunschweiger Staatsanwälte auch gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn und den aktuellen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch, bei Bekanntwerden der Dieselaffäre Finanzvorstand von Volkswagen. Pötsch und alle anderen Mitglieder des Aufsichtsrates sollen ebenfalls von der Hauptversammlung entlastet werden, das haben Vorstand und Aufsichtsrat am Dienstag ebenfalls empfohlen. Das Treffen der Aktionäre ist für den 10. Mai in Hannover angesetzt worden.

KONTEXT

Die Kosten des Dieselskandals für Volkswagen

Teure Folgen

Für die jüngste Einigung mit US-Klägern in Sachen Dieselskandal muss der Volkswagen -Konzern eine weitere milliardenschwere Last schultern. Mindestens 1,2 Milliarden Dollar (umgerechnet 1,1 Milliarden Euro) muss der Konzern rund 80.000 Besitzern großer Dieselautos in den USA mit umweltbelastenden Drei-Liter-Motoren an Schadenersatz und für den Rückkauf eines Teils der Fahrzeuge bezahlen. Die Kosten könnten nach Gerichtsangaben auf umgerechnet bis zu 3,7 Milliarden Euro steigen, sollten die US-Umweltbehörden die Reparatur eines Großteils der Wagen nicht abnehmen. VW selbst geht davon aus, dass die Reparaturen genehmigt werden.

Knapp vier Milliarden Euro müssen die Wolfsburger bereits für Strafen und Bußen in den USA hinblättern. VW hat mitgeteilt, dass dies die bisherigen Rückstellungen übersteigt und die Ergebnisse 2016 belasten könne. Bisher hat der Konzern 18,2 Milliarden Euro für den Skandal um weltweit millionenfach manipulierte Abgaswerte bei Dieselautos zur Seite gelegt. Doch abschließend sind die Kosten noch nicht zu beurteilen. Analysten schätzen, dass der Skandal am Ende zwischen 25 und 35 Milliarden Euro kosten könnte. Die größte Unsicherheit geht von den vielen Anlegern aus, die VW vorwerfen, sie zu spät über Dieselgate informiert zu haben und deshalb Schadenersatz fordern.

Vergleich mit US-Kunden zu größeren Motoren

Kurz vor Weihnachten klopfte VW mit den US-Umweltbehörden einen Kompromiss über die Schadenersatzansprüche für etwa 80.000 Diesel-Wagen mit 3,0-Liter-Motoren fest. Ein Viertel der Geländewagen von Audi, VW und Porsche soll zurückgekauft und weitere knapp 60.000 umgerüstet werden, sobald die Behörden die Freigabe für die technische Lösung erteilen. Die Höhe der Kosten bezifferte Volkswagen nun mit etwa 1,2 Milliarden Dollar. Zuvor waren sie auf eine Milliarde Dollar geschätzt worden. Schultern muss die Kosten die Tochter Audi, weil sie die 3-Liter-Motoren entwickelt hat. Der nächste Gerichtstermin zur vorläufigen Genehmigung ist für den 14. Februar angesetzt.

Strafzahlung in den USA

Mit dem US-Justizministerium einigte sich Volkswagen Anfang Januar auf eine Strafzahlung von 4,3 Milliarden Dollar. Das ist deutlich mehr, als andere Autobauer für Verfehlungen in den USA hinlegen mussten, und auch mehr, als Analysten erwartet hatten.

Vergleich mit US-Kunden zu kleineren Motoren

Im Oktober einigte sich VW mit Hunderten Sammelklägern, Behörden und US-Bundesstaaten über die Höhe der Entschädigung für Käufer von Autos mit den kleineren 2,0-Liter-Dieselmotoren. Das kostet den Konzern bis zu 15,3 Milliarden Dollar (14,5 Milliarden Euro). Der größte Teil entfällt auf den Rückkauf der bis zu 475.000 Fahrzeuge, für den gut zehn Milliarden Dollar reserviert sind. Die tatsächlichen Kosten hängen aber davon ab, wie viele Dieselbesitzer ihre Wagen zurückgeben. Bis vor Weihnachten hatten 104.000 Besitzer in den Rückkauf eingewilligt. Eine Alternative ist die Reparatur der Fahrzeuge. Bisher hat VW die Genehmigung für die Umrüstung von rund 70.000 Autos mit 2,0-Liter-Motor.

Zahlreiche US-Bundesstaaten wollen zudem zivilrechtlich versuchen, einen höheren Schadensersatz durchzusetzen, weil sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Dabei geht es um Hunderte Millionen Dollar.

Entschädigung für US-Händler

Seinen rund 650 US-Händlern zahlt VW insgesamt 1,21 Milliarden Dollar Entschädigung, weil sie seit fast einem Jahr keine Dieselautos mehr verkaufen durften. Der Vereinbarung zufolge kauft VW unverkäufliche Diesel-Autos von den Händlern zurück, hält an Bonuszahlungen fest und verzichtet für zwei Jahre auf geforderte Umbauten.

Rückrufe in Europa

Ein großer Brocken ist auch die Umrüstung der rund 8,5 Millionen Dieselautos in Europa. Kostenschätzungen reichen von gut einer bis drei Milliarden Euro.

Entschädigung auch in Europa?

Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind knapp 226 solcher Klagen anhängig. Die auf Verbraucherschutzverfahren spezialisierte Onlineplattform MyRight, die mit der US-Kanzlei Hausfeld zusammenarbeitet, reichte zu Jahresbeginn die erste Musterklage ein. Eine finanzielle Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen wegen der viel größeren Zahl betroffener Kunden im Vergleich zu den USA finanziell ruinieren, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus.

Vergleich in Kanada

Kanadischen Kunden zahlt VW 2,1 Milliarden kanadische Dollar an Schadenersatz für Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung

Aktionärsklagen

Weltweit sieht sich Volkswagen zudem mit milliardenschweren Schadensersatzklagen von Investoren und Kleinaktionären konfrontiert. Die Inhaber von Aktien und Anleihen werfen Volkswagen vor, zu spät über das Ausmaß des Abgasskandals informiert zu haben und wollen einen Ausgleich für Kursverluste durchsetzen. Zu den Klägern gehören große US-Pensionsfonds, der Norwegische Staatsfonds, aber auch der Versicherungskonzern Allianz und die Dekabank. Auch die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagen wegen Kursverlusten von Pensionsfonds. Beim Landgericht Braunschweig liegen mehr als 1500 Klagen über insgesamt 8,8 Milliarden Euro vor. Dazu soll es ein Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig geben. Anlegerklagen muss sich VW auch in den USA stellen.

Teure Anwälte

Die Scharen an Anwälten, die Volkswagen weltweit wegen des Dieselskandals beschäftigt, kosten ebenfalls viel Geld. Der Autoexperte Pieper geht von bis zu einer Milliarde Euro aus, sein Kollege Ellinghorst schätzt die Anwaltskosten auf mehrere hundert Millionen. Auch gegnerische Anwälte muss VW bezahlen - zum Beispiel 175 Millionen Dollar an Juristen, die in den USA die 475.000 Auto-Besitzer mit manipulierten 2,0-Liter-Motoren vertreten hatten.

Quelle: Reuters