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Wie eng wird es für Winterkorn?

Am Donnerstag sagt Ex-VW-Chef Martin Winterkorn vor dem Untersuchungsausschuss aus. Zu seiner Rolle im Abgasskandal sind viele Fragen offen – die aktuellen Entwicklungen zeichnen kein gutes Bild Winterkorns.

Wissen Sie noch, was Sie am 27. Juni 2015 gemacht haben? Oder welchen Brief Sie am 23. Mai 2014 gelesen haben? Vermutlich nicht. Für einen Mann sind diese beiden Fragen aber extrem wichtig: Martin Winterkorn.

Dem ehemaligen Volkswagen-Chef kommt eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung des Abgasskandals zu. Es gibt Hinweise – aber keine Beweise – dass Winterkorn früher als bislang offiziell dargestellt informiert war. Ist es überhaupt vorstellbar, dass er nichts wusste? Das ist bis heute die offizielle Darstellung des Konzerns.

Bei seinem Rücktritt am 23. September 2015, der Skandal war gerade erst wenige Tage alt, sagte Winterkorn: „Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin.“ Es ist bis heute die letzte öffentliche Äußerung Winterkorns zum gesamten Skandal.

Das wird sich am Donnerstag ändern. Dann tritt der inzwischen 69-Jährige vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags auf. Der Ausschuss soll in erster Linie die Rolle der Politik in dem Skandal klären. Seit wann wusste die Regierung über die Manipulationen Bescheid und welchen Einfluss hatte die Autolobby?

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Bislang belasten Winterkorn keine Beweise

Dass Winterkorn um 10 Uhr im Anhörungssaal 3101 des Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus erscheinen wird, ist unstrittig – sein Anwalt hat das bestätigt. Offen ist aber, was der Ex-VW-Chef aussagen oder ob er zu einigen Punkten schweigen wird. Denn die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen Winterkorn und weitere Verdächtige wegen des Verdachts auf Marktmanipulation.

Um die Rolle Winterkorns im Abgasskandal– und damit seine Bedeutung für die politische Aufklärung im Untersuchungsausschuss – zu klären, steht eine Frage im Zentrum: Wann war er informiert?

Die Fakten und Hinweise, die inzwischen bekannt sind, liefern nach wie vor keine schriftlichen Beweise, wann Winterkorn eingeweiht wurde. Sie zeichnen aber ein Bild, das den früheren Konzernlenker nicht gut aussehen lässt.

Wie das „Statement of Facts“ zum jüngsten Milliarden-Vergleich mit der US-Justiz und die gegen sechs frühere Manager eingereichte US-Strafanzeige darstellen, rief Winterkorn zwar einst die große Diesel-Offensive in den USA aus – die ursprüngliche Entwicklung des „Defeat Device“ ging aber wohl auf zwei beschuldigte Ingenieure zurück. Der laut den US-Dokumenten entscheidende Moment: „Als die Verschwörer begriffen, dass sie keinen Dieselmotor entwickeln konnten, der sowohl strengere NOx-Standards erfüllen als auch genügend Kundennachfrage haben würde, beschlossen sie, eine Software-Funktion zu nutzen, um die US-Emissionstests auszutricksen.“

Somit lässt sich der Ursprung der Schummelsoftware in dem Szenario, das die US-Ermittler zeichnen, auf eine Gruppe von Ingenieuren aus dem mittleren bis oberen Management eingrenzen. Das entspricht im Kern auch der offiziellen These Volkswagens. Zumindest in den Jahren 2006 und 2007, als der besagte Skandalmotor EA189 samt Schummel-Funktion entwickelt wurde.

Doch die Entstehung ist nur ein kleiner Teil des Puzzles. Die jahrelange Vertuschung der Manipulation ist der deutlich größere – und der schwerer nachweisbare. Die US-Ermittler haben derzeit gegen sechs frühere Manager und Ingenieure Strafanzeige gestellt. Zwei der sechs Beschuldigten sollen für die Entwicklung verantwortlich gewesen sein. Die restlichen vier sollen hingegen die Behörden bewusst angelogen oder zumindest das Verschweigen abgesegnet haben.


Winterkorn-Vertraute wussten 2012 Bescheid

Einer dieser Beschuldigten ist Heinz-Jakob Neußer. Im Jahr 2012, als Neußer zum ersten Mal in den US-Dokumenten auftaucht, war er Leiter der Motorenentwicklung der Marke Volkswagen. Er unterstand zu diesem Zeitpunkt dem Entwicklungschef und Mitglied des Markenvorstands Ulrich Hackenberg – beide Techniker gelten als enge Vertraute Martin Winterkorns. Und beide sind seit Beginn des Skandals beurlaubt oder inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden.

Schenkt man dem „Statement of Facts“ und der Strafanzeige Glauben, war Neußer 2012 über die Funktionsweise der Abschalteinrichtung und deren Auswirkungen genau informiert. Im Laufe des Jahres 2013 wurde Neußer gar zum Entwicklungschef berufen, nachdem Hackenberg zurück zu Audi beordert worden war. Damit unterstand der über die Manipulationen in den USA informierte Neußer im VW-Markenvorstand Winterkorn direkt. Ob die beiden je über die Vorgänge gesprochen haben, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen.

Zumindest nicht bis zu dem erwähnten 27. Juni 2015. Bei einer regelmäßigen Produkt- und Qualitätsbesprechung – im VW-Jargon „Schadenstisch“ genannt – hat einer der in den USA beschuldigten Manager detailliert über das „Defeat Device“ und die immer präziser werdenden Ermittlungen der US-Behörden berichtet. Neußer war anwesend, ebenso Winterkorn und der neue VW-Markenvorstand Herbert Diess.

„Weder der konkrete Inhalt dieser informellen Besprechung noch die konkreten Zeitpunkte, zu denen die betreffenden Vorstandsmitglieder teilnahmen, lassen sich im Detail rekonstruieren“, sagt Volkswagen.

„Wir haben darüber gesprochen, dass etwas Illegales in unsere Autos installiert wurde“, sagte einer der Anwesenden inzwischen der „Bild am Sonntag“. Die Runde wog sogar angeblich das Für und Wider eines Einräumens der Manipulationen ab. Zugeben, blamiert dastehen, aber vielleicht mit einer milderen Strafe davonkommen. Oder weiter verschweigen, darauf hoffen, dass es geheim bleibt und falls nicht eine ungleich höhere Strafe in Kauf nehmen.

Eine Entscheidung Winterkorns ist nicht überliefert oder lässt sich nicht belegen. Klar ist aber: VW hat auch nach diesem Tag im Juni den Betrug verschwiegen. Laut den US-Dokumenten soll Neußer noch im August ein Schriftstück abgesegnet haben, das die Abschalteinrichtung gegenüber der kalifornischen Umweltbehörde CARB weiter verschwieg, obwohl die Behörde den Konzern mit immer genaueren Messergebnissen konfrontierte. Ob er dies mit dem Segen Winterkorns oder gar auf dessen direktes Geheiß tat, könnte die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss interessieren.


Winterkorns Image wird zum Bumerang

Oder auch die Frage, wann und wie Winterkorn zum ersten Mal vom Abgas-Thema erfahren hat. Da kommt der erwähnte Brief aus dem Mai 2014 ins Spiel. Winterkorns ausführlicher Postmappe für das Wochenende lag am 23. Mai 2014 eine Notiz bei, dass es Unregelmäßigkeiten bei Abgaswerten von Dieselautos mit dem Motor EA189 in den USA gab – im Kern gehen diese Informationen auf eine Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) zurück, die den Skandal am Ende ins Rollen brachte.

In der Notiz sei es jedoch nicht um mögliche Risiken oder die Ursache der auffälligen Stickoxid-Emissionen gegangen, betonte VW bereits vor knapp einem Jahr. „Ob und inwieweit Herr Winterkorn von dieser Notiz damals Kenntnis genommen hat, ist nicht dokumentiert“, erklärte der Konzern weiter. Sprich: Ob Winterkorn den Vermerk nicht gelesen oder ignoriert hat, ist unklar.

Viele Fragen sind noch offen. Ob Winterkorn diese Fragen beantworten kann und wird, zeigt sich am Donnerstag. Auch wenn er keine Antwort gibt, wird womöglich von anderer Seite etwas Licht ins Dunkel gebracht: Der Ausschuss hat neben Winterkorn auch die Manager Gerwin Postel (VW), Axel Eiser (Audi), Andreas Dirndorf (Opel), VDA-Präsident Matthias Wissmann, Jakob Seiler (beim VDA unter anderem für das Thema Emissionen zuständig) und Eckart von Klaeden geladen. Der frühere CDU-Politiker und Kanzleramtsminister ist seit drei Jahren Cheflobbyist des Daimler-Konzerns. Bei den Vernehmungen der drei Letztgenannten dürfte es dem Ausschuss vor allem um deren Einfluss auf die europäische Abgasgesetzgebung und deren Überwachung gehen.

Bei seiner Aussage sollte Winterkorn bei der Wahrheit bleiben, selbst wenn der Ausschuss kein Gerichtsverfahren ersetzt. Denn ein Untersuchungsausschuss hat das Recht, im Falle einer „ungerechtfertigten Zeugnisverweigerung“ ein Ordnungsgeld festzusetzen. Und wie vor Gericht droht bei Falschaussage eine Strafe.

Winterkorn pflegte jahrelang sein Image vom Technik-Freak, vom detailversessenen Tüftler und Top-Manager, der jede wichtige Entscheidung selbst trifft. Das hat zumindest in der Öffentlichkeit die Beteuerung seiner Unwissenheit unglaubwürdig wirken lassen. Die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss wird bei Weitem nicht das Ende, sondern erst der Anfang der detaillierten Aufarbeitung des milliardenschweren Abgas-Skandals sein. Die Politik legt vor, vermutlich werden eines Tages die Gerichte nachziehen.

Eines ist aber schon jetzt klar: Es wird ernst für Martin Winterkorn.