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Das Ende einer Ära – Thyssen-Krupp spaltet Stahlsparte ab

Seit mehr als 100 Jahren gelten die Namen Thyssen und Krupp als Synonyme für deutschen Stahl. Nun beginnt in Essen ein neues Zeitalter.

Nach mehr als zweijährigen Verhandlungen ist der Abschluss geglückt: Thyssen-Krupp und Tata haben sich am Freitag auf die Fusion ihres europäischen Stahlgeschäfts geeinigt.

Sowohl der Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp als auch der von Tata Steel Europe haben dem Vorhaben zugestimmt. Die Verträge wurden am Samstagmorgen unterschrieben. Damit ist der Weg frei für die Gründung des zweitgrößten europäischen Stahlkonzerns nach Arcelor-Mittal.

Mit der Auslagerung des Traditionsgeschäfts beginnt in Essen eine neue Zeitrechnung: Thyssen-Krupp, eine Ikone der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, wird in absehbarer Zeit ein reiner Technologiekonzern sein. Für die Essener ist es der Schritt in eine neue Zukunft.

Und für die europäische Stahlbranche der nächste Schritt einer schon Jahrzehnte andauernden Konsolidierung.

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Für Vorstandschef Heinrich Hiesinger und das Unternehmen war es bis dahin ein langer Weg. Schon bei seinem Antritt 2011 stellte der frühere Siemens-Manager klar: Das konjunkturabhängige Stahlgeschäft werde bei Thyssen-Krupp an Bedeutung verlieren. Der Schuldenstand des Konzerns erreichte da bedrohliche 6,5 Milliarden Euro – bei einem Verlust von fast 1,8 Milliarden Euro.

Um Liquidität zu sichern, verkaufte Hiesinger nach seinem Antritt erst das Edelstahlgeschäft, dann den zivilen Schiffbau, dann weitere Unternehmensteile. Zwischen 2011 und 2013 schrumpfte der Umsatz so um fast 4,8 Milliarden auf 38,6 Milliarden Euro.

Von den einst 180.000 Mitarbeitern blieben da noch 157.000 übrig. Doch die größte Baustelle blieb der Stahlbereich – und da vor allem die Werke in Süd- und Nordamerika, mit denen Hiesingers Vorgänger den Konzern mit Milliardenverlusten an den Rand des Ruins geführt hatten.

Seit 2013 versuchte Hiesinger, die Werke zu verkaufen. Das Werk in den USA ging noch im selben Jahr an die Konkurrenz, Brasilien folgte 2017. Diese Verkäufe waren der Anfang vom Bruch mit einer langen Tradition.

Die Internationalisierung beginnt

Denn mehr als 200 Jahre lang war Stahl die Seele des Ruhrkonzerns und seiner Vorgängerunternehmen: 1811 gründete der Kaufmannssohn Friedrich Krupp eine Gussstahl-Fabrik in Essen. Produziert wurden Werkzeuge für Handwerker, Münzstempel und Walzen.

Nach dem frühzeitigen Tod des Gründers im Jahr 1826 führte dessen Witwe Theresia Krupp das Geschäft weiter. Ihr Sohn Alfred Krupp übernahm den Konzern im Jahr 1830 und baute ihn in der Folge zum größten Industrieunternehmen Europas aus.

Erfolg hatte Krupp vor allem mit Produkten aus der Bahntechnik. So erfand der Gründer die ersten nahtlosen Eisenbahnreifen. Die drei aufeinandergelegten Kreise, die noch heute das Logo von Thyssen-Krupp zieren, sollen daran erinnern.

Auch die Wurzeln der Thyssen AG liegen im Stahl. Als Gründungsdatum gilt das Jahr 1891, als August Thyssen die Gewerkschaft Deutscher Kaiser (GDK) übernahm. Kurz darauf folgte der erste Abstich im damals neuen Stahlwerk der GDK in Hamborn bei Duisburg.

Der Produktionsstandort lag ausgesprochen günstig: Mit einer eigenen Kohlezeche, einem eigenen Hafen und Anschluss an das Schienennetz konnte Thyssen seinen Konzern bis zum Ersten Weltkrieg schnell internationalisieren. Noch heute produziert das Stammwerk der Thyssen-Krupp Steel Europe an gleicher Stelle.

Weil beide Unternehmen eine große Bedeutung für die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten hatten, ließen die Alliierten viele Thyssen- und Krupp-Werke, die im Zweiten Weltkrieg den Bomben nicht zum Opfer fielen, nach Kriegsende demontieren.

Thyssen wurde vorläufig liquidiert. Krupp wurde gezwungen, seine Hütten- und Bergwerke zu verkaufen. Übrig blieb das Verarbeitungsgeschäft. Viele Auslandsbeteiligungen gingen in dieser Zeit verloren.

Wiederaufbau nach dem Krieg

In den Nachkriegsjahren wurde der Thyssen-Konzern neu gegründet, und die demontierte Thyssen-Hütte wieder in Betrieb zu nehmen. Mitte der 1960er-Jahre stieg die August Thyssen-Hütte AG so zum größten Stahlproduzenten Europas auf.

Auch der Krupp-Konzern fand wieder auf den Wachstumspfad: 1953 holte der vom Nationalsozialismus belastete Krupp-Erbe Alfried Krupp von Bohlen und Halbach den Versicherungsmanager Berthold Beitz als Generalbevollmächtigten an seine Seite und baute das Geschäft mit Industrieanlagen aus.

Mit dem Tod von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach im Jahr 1967 begann schließlich im Konzern die Ära Beitz. In seinem Testament hatte der letzte Krupp-Erbe verfügt, dass sein Vermögen in eine gemeinnützige Stiftung überführt wurde, unter der Führung von Beitz.

Als Testamentsvollstrecker und Sachwalter des Krupp’schen Vermögens prägte der Manager den Konzern in den Folgejahren wie kein Zweiter – und schaffte es trotz mehrerer Gerichtsprozesse sogar, die Nachkommen der Krupp-Familie aus der Stiftung herauszuhalten.

Unter Beitz‘ Regie, der ab 1970 als Vorsitzender und ab 1987 als Ehrenvorsitzender des Krupp-Aufsichtsrats fungierte, kam es zu mehreren Fusionen – erst zwischen Krupp und dem Konkurrenten Hoesch, dann schließlich zwischen Thyssen und Krupp im Jahr 1997. Die Konsolidierungswelle der Stahlbranche hatte damit begonnen.

Das erkannte auch der damalige Vorstandschef Ekkehard Schulz. 2005 wollte er daher den kanadischen Konkurrenten Dofasco kaufen. Doch auch der luxemburgische Konzern Arcelor zeigte Interesse – und überbot Schulz‘ damaliges Angebot von 68 Euro je Aktie um drei Euro.

Thyssen-Krupp erhöhte die Offerte nicht. Sondern tätigte stattdessen eine sagenhafte Fehlinvestition: den Bau von Stahlwerken in den USA und Brasilien, die zusammen einen Verlust von acht Milliarden Euro verursachten.

Das Amerika-Abenteuer des Konzerns gilt heute als einer der teuersten Irrtümer der deutschen Industriegeschichte. Erst funktionierten Anlagen nicht und mussten teuer nachgerüstet werden, dann kamen Umwelt und Konjunkturprobleme hinzu. 2011 musste Schulz den Konzern verlassen.

Die Last der Vergangenheit

Bis heute kämpft der jetzige Vorstandschef Heinrich Hiesinger, der seinerzeit von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme als Sanierer ins Unternehmen geholt wurde, mit den Folgen. Der Tata-Deal soll der lang ersehnte Befreiungsschlag werden.

Durch die Auslagerung des Stahlgeschäfts kann Hiesinger die Schulden des Konzerns um vier Milliarden Euro reduzieren. Zudem drückt die stark konjunkturabhängige Sparte in wirtschaftlichen Flauten nicht länger den Gewinn.

Doch was für viele Stahlarbeiter wohl den härtesten Einschnitt in der Geschichte ihres Unternehmens bedeutet, geht anderen nicht weit genug. Schon im vergangenen Jahr forderte der Gründer des Großinvestors Cevian, Lars Förberg, weitergehende Maßnahmen, um den Konzern zu entflechten.

Mit der Auslagerung des Stahls verbleiben noch vier Geschäftsbereiche bei Thyssen-Krupp: Autoteile, Aufzüge, Anlagenbau und Handel. Zumindest letzterer, so ist zu vermuten, steht mittelfristig wohl ebenfalls zur Disposition.

Die größte Baustelle mag Hiesinger mit dem Tata-Joint-Venture beseitigt haben. Doch das Ziel, den Konzern für die kommenden Jahrzehnte zukunftssicher aufzustellen, ist noch nicht erreicht.