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Das Ende einer Ära

Die Google-Gründer verlassen die Öffentlichkeit. Dabei stehen für den Konzern harte Schlachten mit Regulierungsbehörden und den eigenen Mitarbeitern an. Die muss nun der neue Alphabet-Chef Sundar Pichai ausfechten.

Die Zeitenwende fürs Internet begann einst in einer Garage im kalifornischen Menlo Park. 21 Jahre und 900 Milliarden Dollar Börsenwert später haben die beiden Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page nun ganz offiziell keinen Führungsjob beim derzeit wohl mächtigsten Tech-Konzern der Welt mehr.

Gefühlt ist der Machtwechsel schon Jahre her, zog sich das Duo doch mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Für sie war der Konzern vor vier Jahren neu aufgestellt worden, in eine Verwaltungseinheit namens Alphabet, deren Ertragskraft jedoch fast ausschließlich von Google gespeist wird.

Brin sah man nur ab und an in der Nähe des geheimnisumwitterten Forschungszentrums Google X, oder wenn er mit seinem Sohn im Schlepptau über die jährliche Kunstmesse im Park seines Wohnortes Los Altos tourte. Alphabet-Verwaltungsratschef Larry Page war trotz seines Postens an der Spitze ganz abgetaucht, überließ die Präsentation seiner Quartalszahlen seiner Finanzchefin Ruth Porath und Google-Chef Sundar Pichai. Er informierte sich lieber in Neuseeland über den Fortschritt des Flugtaxis Kitty Hawk seines Vertrauten und Selbstfahrautopioniers Sebastian Thrun.

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Während Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor dem Parlament in Washington wegen der wachsenden Macht seines sozialen Netzwerkes und der Tech-Branche allgemein verbal auseinandergenommen wurde, glänzte Page durch Abwesenheit. Weder trat er bei der weltweiten Entwicklerkonferenz in Mountain View im Mai auf, noch zeigte er sich bei der jüngsten Aktionärsversammlung von Alphabet im Juni.

Was, so berichten allerdings Vertraute, auch daran liegt, dass er immer noch mit einer Erkrankung seiner Stimmbänder kämpfen soll und ihm längeres Sprechen schwerfällt. Aber Page hätte ohnehin nur verlieren können und so konzentrierte sich der Unmut der US-Politiker auf Zuckerberg und – zum kleineren Teil – Twitter-Chef Jack Dorsey.

Der offizielle Machtwechsel findet zu einer Zeit statt, in der Google seine Unschuld lange verloren hat und selbst im Silicon Valley zur Zielscheibe von Kritikern geworden ist. Google wird in seiner Nachbarschaft als Krake empfunden. Nicht nur wegen des Sammelns von Daten, sondern weil sich das Unternehmen rein räumlich immer stärker übers Silicon Valley und San Francisco ausbreitet. Im Hightech-Tal ist Google inzwischen der größte Grundbesitzer und wird für den Mangel an Wohnraum und die Verkehrsprobleme verantwortlich gemacht.

Das Sonnyboy-Image von Page und Brin, der gütigen Gründer, „die nichts Böses tun wollen“, ist seit Jahren passé. Daran glauben nicht einmal mehr die eigenen Mitarbeiter. Ihnen drohen seit Kurzem Repressalien bis zum Rauswurf, sollten sie ihren Unmut gegen Entscheidungen des Managements öffentlich äußern.

Gegen das harmlose Image sprechen zum Beispiel auch umstrittene Geschäfte mit dem US-Militär. Wobei oft vergessen wird, dass das Internet und weite Teile des Silicon Valley ohne den DARPA-Forschungsarm des Militärs in dieser Form gar nicht existieren würden.

Brin ist zugute zu halten, dass er zumindest versucht hat, gegenzusteuern. Der in Moskau geborene Sohn russischer Wissenschaftler hat eine persönliche Aversion gegen Diktaturen und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Er setzte durch, dass Google sich mit seiner Suchmaschine aus China zurückzog und damit einen der wichtigsten Wachstumsmärkte der Welt aufgab. Als Trump gleich nach Amtsantritt verhinderte, dass Besucher aus muslimischen Staaten wie dem Iran in die USA reisen konnten, zeigte Brin höchstpersönlich am Flughafen von San Francisco als Demonstrant Flagge. Bei den Aktionären und in der Firmenzentrale in Mountain View war Brins Wirken umstritten. Und in der Realität eines sich global verstehenden Konzerns, der ständig auf der Suche nach Wachstum ist, nicht abzubilden.

Stattdessen flog voriges Jahr ein Projekt auf, das die Machbarkeit einer Suchmaschine für den chinesischen Markt untersuchte, deren Suchergebnisse sich effektiver filtern ließen.

„Google at war“ titelte jüngst das US-Wirtschaftsmagazin „Bloomberg Business Week“ und beschrieb die Ambitionen des Suchkonzerns, wieder stärker ins Geschäft mit US-Behörden und Militär einzusteigen. Dagegen hatte es noch im vergangenen Jahr Massenproteste bei Google gegeben, Mitarbeiter waren auf die Straße gegangen.

Bislang hatte sich der Konzern für seine offene Kultur gebrüstet. Bei den „Thank God its Friday“-Konferenzen konnten die Mitarbeiter regelmäßig Probleme ansprechen. Nicht nur Skandale wie dem von Android-Erfinder Andy Rubin, der angeblich Mitarbeiterinnen belästigt haben soll und trotzdem den goldenen Handschlag bekam. Oder Pages einstigen Lieblingsingenieur Anthony Levandowski, der Geschäftsgeheimnisse der Selbstfahrsparte Waymo an den Fahrdienst Uber indirekt verscherbelt haben soll und fast damit davongekommen wäre. Im nächsten Jahr soll ihm nun auf Druck der US-Justiz deshalb der Prozess gemacht werden, fast zehn Jahre Haft drohen. Dabei, so viel ist jetzt schon klar, wäre eine Menge schmutzige Wäsche aus dem Innenleben des Konzerns hochgekommen. Was sich beim Prozess gegen Uber noch vermeiden ließ, weil beide Seiten einem Vergleich zustimmten.


Was nun auf Sundar Pichai zukommt

Sundar Pichai, der neue Mann an der Spitze, muss nun den internen Zwist eindämmen. Die berühmte Fragestunde, lange ein Impulsmesser für die Stimmung im Konzern, wird stärker kontrolliert. Nicht nur, wer persönlich daran teilnehmen kann, sondern auch wer Zugriff auf die weltweit verfügbare Übertragung hat und vor allem welche Fragen öffentlich gestellt werden dürfen, wird strenger reglementiert. Zwar hatte sich Google unter dem Druck der Mitarbeiter von Projekten mit dem Militär verabschiedet. Wie beispielsweise dem Projekt Maven, das mittels Bilderkennung bei der Auswahl der Ziele von militärischen Drohnen unterstützen sollte: Im Sommer 2018 gab Pichai bekannt, dass man den Vertrag nicht verlängern würde.

Doch das bedeutet nicht, dass damit alle Projekte mit dem Militär vom Tisch wären. Jeff Dean, Chef der KI-Sparte, bestätigte der WirtschaftsWoche bei einem Interview im Mai, dass man im Bereich ziviler Nutzung von KI weiterhin zusammenarbeite, etwa bei Krankheitsdiagnosen in den Hospitälern des Militärs.

Es ist ein Spagat und fraglich, ob sich militärische und zivile Nutzung von Künstlicher Intelligenz wirklich so sauber trennen lassen. Zumal andere Tech-Konzerne weniger Berührungsängste haben. Der unter anderem von dem deutschstämmigen Finanzier Peter Thiel aus der Taufe gehobene Analysekonzern Palantir aus Palo Alto hilft der US-Armee beim Auswerten von Daten und hat auch einen Vertrag mit der Grenzschutzbehörde.

Der SAP-Konkurrent Salesforce arbeitet ebenfalls mit der Grenzschutzbehörde zusammen. Aktivisten störten deshalb jüngst eine Keynote von Salesforce-Mitgründer Marc Benioff in San Francisco und forderten den Abbruch der Beziehungen mit der Behörde. Doch die Salesforce-Spitze bleibt hart. „Die US-Regierung ist ein wichtiger Kunde“, beharrte Salesforce-Co-CEO Keith Block im November vergangenen Jahres im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Daran hat sich nichts geändert. Microsoft-Chef Satya Nadella nahm den Unmut seiner Mitarbeiter über Geschäftsbeziehungen mit der Grenzschutzbehörde zur Kenntnis – doch das Geschäft geht weiter. Amazon-Chef Jeff Bezos offeriert seit Jahren Cloud-Dienste an die CIA und will sich einen nun Microsoft zugesprochenen Militärauftrag gerichtlich wieder zurückholen.

Klar ist: Bei Google geht mit dem Rückzug seiner Gründer eine Epoche zu Ende, nicht aber zukunftsweisende Schlachten. Nicht nur über die Zusammenarbeit mit dem Militär, sondern vor allem über Regeln, was Tech-Konzerne in einem sich verschärfenden globalen Wettbewerb dürfen – und was nicht. Nicht nur über das Sammeln und Auswerten von Daten, sondern allgemein ihre Rolle und Verantwortung in der Gesellschaft.

Zwar bleiben Brin und Page die größten Aktionäre von Alphabet und kontrollieren den mächtigen Tech-Konzern über ihre Stimmrechte. Doch die Kastanien muss jetzt auch ganz offiziell der gebürtige Inder Pichai aus dem Feuer holen und die Kulturrevolution im Konzern im Griff halten.

Wenn Gründer zurücktreten oder ausscheiden, ändert sich normalerweise die Dynamik eines Konzerns. Das war schon bei Microsoft und Bill Gates so, ebenso wie bei Apple und Steve Jobs. Wie sich das auf Google auswirken wird und ob vielleicht sogar die Verwaltungseinheit Alphabet wieder eingeklappt wird, muss sich zeigen.

Sicher scheint nur: Es wird noch mehr unpopuläre Entscheidungen geben, und mit einem Sonnyboy-Image sind sie nicht machbar. Vielleicht kehren die Gründer eines Tages an die Spitze zurück, wenn die Kämpfe ausgestanden ist. Pichai ist mit 47 Jahren ja sogar ein Jahr älter als das Gründer-Duo.