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Eltern brauchen keine Sonderregelung – Eltern sind der Standard und wir brauchen vernünftigere Arbeitsstrukturen

„Ich kann keine Frauen einstellen“, sagte mir mal jemand bei einer Party. Er war Mitte-Ende Zwanzig und gerade Abteilungsleiter geworden. Wir saßen an einem runden Tisch zusammen, lauter kinderlose, halb-junge Menschen. Seine Freundin saß neben ihm, das Gesicht versteinert. Ich hob die Augenbrauen. Er fuhr fort:

„Die kriegen ja alle sofort Kinder.“

Sollte ich den Fehdehandschuh aufnehmen? Ach komm, wieso nicht. Ich also:

„Danach wollen die Frauen in ihren Beruf zurück – das ist doch heute ganz normal.“

„Und dann bekommen sie direkt noch eins und dann müssen sie sich noch drum kümmern, früh Feierabend machen und so.“

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Und so.

Was Frauen halt so machen. Ich seufzte. Zu diesem Zeitpunkt war ich im siebten Monat schwanger, es zeichnete sich unter meinem Kleid so langsam ab. Ich wusste noch nicht, wie das Leben als Familie werden würde. Aber ich hatte einen Satz im Ohr:

„Eltern brauchen ständig Sonderregelungen.“

Das klang so fies, ich schämte mich schon, bevor es auch nur angefangen hatte. Früher Feierabend, Kind-krank-Tage, Home Office, all diese schlimmen Extrawünsche, die Firmen nur schaden.

Aber wieso eigentlich Extrawünsche? Wieso Sonderregelungen?

„Keine Kinder“ ist der Sonderfall

Die Kinderlosenquote der Frauen in Deutschland lag im Jahr 2018 bei 20 Prozent, gemessen an den über-50-Jährigen. 80 Prozent aller Frauen haben in diesem Alter also Kinder.

Die Quote bei den Männern liegt etwas darunter, aber nicht sehr. Kinder haben ist vollkommen normal. Fast alle bekommen irgendwann Kinder. Das könnt ihr euch mal in Erinnerung rufen, wenn ihr zum Supermarkt geht. Ihr seht all die Menschen ohne Kinder – doch je älter eine Person ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Kinder einfach gerade woanders sind. Fast alle auf der Straße, an der Kasse und im Bus haben ein Baby im Arm gewiegt, Fieber gemessen, „Baby Bauch rote Punkte“ im Internet gesucht und die Party des Jahres abgesagt, weil das Kleine irgendwas hatte. Die Frauen haben in der Firma gesagt: „Ich muss los, mein Kind hat Fieber.“ Die Männer hoffentlich: „Sonntagsdienst geht nicht, da ist Familienzeit.“ Heute zunehmend auch umgekehrt.

Es gibt keine Extrawünsche. Es gibt keine Sonderregelungen.

Es gibt aber das Familienleben als Normal, das in der Arbeitswelt als kleine Unannehmlichkeit ausgewiesen wird – fälschlicherweise. Und das liegt daran, dass Frauen so viele Jahrzehnte lang brav funktioniert haben. Sie mussten die Kinder unsichtbar machen und sich selbst gleich mit. Das Ergebnis: In Deutschland gehen wir davon aus, dass Kinder wegorganisiert werden können. Familien als Sonderfall. Ein Trugschluss.

Junge Väter und Mütter werden zum Opfer alt-patriarchaler Normen

Arbeitenden Frauen fällt diese Tatsache auf die Füße. Unsere Karrieren werden behindert, aus Angst, dass wir uns um kleine, hilfebedürftige Menschen kümmern müssen und deshalb unser Stunden-Soll nicht erfüllen. Dass wir die gleiche gute Arbeit auch in kürzerer Zeit schaffen, spielt keine Rolle – man kürzt uns das Gehalt und verpönt es als Teilzeit. Eine Bekannte von mir, Mutter von zwei Kindern, bat während Corona um Aufschub bei den Prüfungsleistungen ihres Master-Studiums. Antwort: „Sie haben sich Ihr Leben so ausgesucht.“ Als sei ihr Leben irgendwie unnormal.

Männern, die mehr sein wollen, als „das andere Elternteil“, fallen die Normen ebenfalls auf die Füße. Elternzeit „darf“ genommen werden – aber bitte nicht so lange, wenn er denn in der Firma noch etwas werden will.

Noch immer nehmen Väter nur einen kleinen Teil der Elterngeld-Monate. Dabei wünschen sich 79 Prozent der Väter mehr Zeit für ihre Familie, heißt es im Väterreport des Familienministeriums. Doch während Frauenkarrieren schon vorher behindert werden, müssen junge Väter sich ausgerechnet jetzt beweisen, wenn sie Karriere machen und Geld verdienen wollen. Wenn sie zuhause am dringendsten gebraucht werden, kommt der große Charaktertest: Zeig uns, wo deine Prioritäten liegen. Zeig uns, wie sehr du die Firma liebst.

Und die Familien brauchen das Geld der Männer, denn Frauen werden noch immer systematisch benachteiligt.

„Rush Hour des Lebens“ nennt man diese Phase, in der alles gleichzeitig passiert. Wir gleiten vom beruflichen Streben in die Elternzeit, müssen die entscheidenden Karriereschritte machen, Familienleben leben, denn die Kinder sind schließlich auch Menschen, und dann – zack – brauchen unsere Eltern uns.

Natürlich war es am bequemsten, als diese Aufgaben klar verteilt waren. Die Männer strahlend als Verdiener, die Frauen als Heinzelmännchen, schweigend, funktionierend.

Die Rush Hour des Lebens ist die Zeit, in der die Generation junger Eltern von alt-patriarchalen Normen eingeholt wird. Man reißt uns auseinander. Die Frauen werden ins Haus gesperrt, die Väter an den Schreibtisch gekettet. In der Konsequenz sind alle unglücklich.

Ein betreutes Kind ist nicht einfach weg

Die Kinderbetreuung wird in Deutschland als der heilige Gral angesehen. Ist das Kind erst einmal eingewöhnt, dann ist es weg. Tatsächlich habe ich da als Kinderlose auch noch dran geglaubt.

Es stimmt nur nicht. Denn Kita-Kinder können krank werden. Im ersten Winter, zwischen Oktober und Ostern, tun sie das im Schnitt 14 Mal. Und manchmal sind sie dann zu krank, um in der Kita zu bleiben. Manchmal sind wir Eltern dann auch zu krank, um ins Büro zu fahren. Kleine Kinder sind ansteckend.

Und nach dem Eingewöhnungswintersyndrom ist es noch nicht vorbei. Ein Bekannter von mir hatte es eines Morgens gerade in seinen Pendlerzug geschafft, da rief die Kita an: Sein Sohn hatte sich verletzt, er musste an der nächsten Haltestelle aussteigen und wieder zurückfahren. Wie das Leben als Elternteil halt so ist. (Habt ihr euch beim Lesen gefragt, wo die Mutter war? Shame on you.)

Betreute Kinder sind nicht einfach weg. Betreute Kinder sind nur woanders.

Mit Zusammenhalt können wir die Strukturen ändern

Das mag alles furchtbar unangenehm klingen – eigentlich ist es aber ganz in Ordnung. Wir sehen das nur nicht, weil wir es nicht gewohnt sind. Die Gesellschaft baut innere und äußere Widerstände gegen die Elternschaft auf. Die äußeren Widerstände müssen wir politisch bekämpfen: Jede Familie braucht Betreuungsplätze und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein Recht auf Flexibilität, Krankheits- und Pflegetage, nicht nur nach Gesetzesvorlage, sondern nach Bedarf.

Furchtbar unbequem für die Unternehmen, die Kolleginnen und Kollegen? Tja. Willkommen in fast jedermanns Welt. Leben ist eben nicht so einfach. Wir würden uns besser dabei fühlen, wenn wir uns nicht für jeden Ausfall schämen würden.

Es ist nichts dabei, früh den Schreibtisch zu verlassen. Weder als Elternteil, noch als Pflegender oder Pflegende. Es ist Teil des Lebens, wie auch die Arbeit Teil des Lebens ist. Mit dieser Erkenntnis können wir die inneren Widerstände bekämpfen. Es ist nicht schändlich, sich um andere zu kümmern. Kinder sind keine Luxusobjekte, Kinder sind kleine Menschen, die ihre Eltern brauchen. Und Elternschaft ist ein Crashkurs in Organisation und Effizienz. Jede fünfte Frau und etwa jeder vierte Mann macht diesen Crashkurs im Laufe des Lebens.

Wir sind viele. In den Daten sind wir die Mehrheit. In den Köpfen werden wir erst dann die Mehrheit sein, wenn wir zu uns selbst stehen.