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Ehemalige Deliveroo-Fahrer klagen und pochen auf ein Arbeitsverhältnis

Als der Lieferdienst im August den deutschen Betrieb einstellte, verloren 1000 selbstständige Fahrer von jetzt auf gleich ihren Job. Nicht alle wollen sich damit abfinden.

Im Saal 206 des Berliner Arbeitsgerichts wird an diesem Montagvormittag eifrig gerechnet. Wie hoch würden zwei Monatsgehälter ausfallen? Was wäre eine angemessene Lohnfortzahlung? Was ist mit einer Urlaubsabgeltung? Es findet die Güteverhandlung zwischen zwei ehemaligen Fahrern und Deliveroo statt.

Der britische Lieferdienst hatte sich Mitte August aus Deutschland zurückgezogen. Bundesweit verloren rund 1000 Fahrer von jetzt auf gleich ihren Job. Das war möglich, weil sie als Selbstständige tätig waren. Doch einige von ihnen klagen nun. Sie wollen gerichtlich feststellen lassen, dass die Essensauslieferung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgte.

Die Argumentation von Anwalt Klaus Stähle, der einige Fahrer vertritt: Durch Apps und Algorithmen, elektronische Schichtpläne und automatisierte Auftragszuteilung bei standardisierten Preisen waren die Fahrer so weit in die Organisation von Deliveroo eingegliedert, dass für eine Selbstständigkeit kein Raum blieb.

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Den Fall dürften alle Dienste aufmerksam verfolgen, die ihre „Helfer“ als Selbstständige organisieren. Denn hier steht die Gig Economy, bei der kleine Aufträge kurzfristig an eine Vielzahl von Freiberuflern vergeben werden, vor Gericht.

Die Frage, ob jemand als Arbeitnehmer oder Selbstständiger beschäftigt ist, hat immer wieder für juristische Auseinandersetzungen gesorgt. Die bisherige Rechtsprechung ist im April 2017 in den neuen Paragrafen 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingeflossen, der den Arbeitsvertrag regelt. Demnach gilt als Arbeitnehmer, wer „zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ ist.

Der Arbeitgeber kann also etwa bestimmen, was, wo und wann ein Arbeitnehmer arbeitet. Im Unterschied zum Selbstständigen gilt als weisungsgebundener Arbeitnehmer, „wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann“. Für eine abhängige Beschäftigung kann auch sprechen, wenn Arbeitsmittel, also zum Beispiel Werkzeuge, eines Auftraggebers genutzt werden.

Spielraum für die Gerichte

Die Unterscheidung ist wichtig, weil nur Arbeitnehmer Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub und andere Vorteile genießen. Allerdings müssen laut Gesetz bei der Frage, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, alle Umstände berücksichtigt werden. Abstrakte, für alle Arbeitnehmer gültige Kriterien lassen sich nicht aufstellen. Das lässt den Gerichten Interpretationsspielraum.

Das ließ auch der Berliner Richter während der Güteverhandlung durchblicken. Als die Deliveroo-Anwältin die geforderten Vergleichssummen als viel zu hoch bezeichnete, wies der Richter auf den Worst Case hin: „Wenn das irgendwer als Arbeitsverhältnis werten würde, wäre die Summe Peanuts.“ Tatsächlich müsste Deliveroo dann mit Ansprüchen der Ex-Fahrer rechnen, vor allem aber droht die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

In Spanien hatten Gerichte in Barcelona und Madrid im Sommer in drei Fällen Deliveroo-Fahrer als Arbeitnehmer eingestuft. Die Entscheidungen gingen auf eine Sammelklage von Fahrern und zwei Klagen der spanischen Sozialversicherungsbehörde TGSS zurück. Roofoods, der spanische Ableger des britischen Lieferdienstes, wurde verurteilt, Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1,2 Millionen Euro nachzuzahlen. Das Unternehmen hat Revision eingelegt.

Die Gerichte betonten zwar, dass nicht alle Merkmale für eine abhängige Beschäftigung sprächen. Die Vorgabe von Zeitfenstern oder die ständige Kontrolle deuteten aber darauf hin, dass die Fahrer stark in die Organisation eingebunden und weisungsgebunden seien. Auch sei das zentrale Arbeitsmittel nicht etwa das Fahrrad oder das eigene Smartphone des Kuriers, sondern die Plattform, über die die Aufträge erteilt werden.

In Deutschland hat der Deliveroo-Fall die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) auf den Plan gerufen. Sie gewährt einigen Fahrern Rechtsschutz. „Es soll grundsätzlich geklärt werden, ob es sich bei solchen Modellen um abhängige oder selbstständige Beschäftigung handelt“, sagte NGG-Referatsleiter Christoph Schink. Und auch Klägeranwalt Stähle gab nach der Güteverhandlung in Berlin bekannt, dass ein Ex-Deliveroo-Fahrer bereit sei, durch die Instanzen zu ziehen. Hier wird es nun einen Kammertermin geben.