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Die Ehe und der Fiskus

Die Koalition legt ein merkwürdiges Verständnis von Ehe an Tage – womöglich ungewollt.

 Foto: dpa
Foto: dpa

„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ So steht es in Artikel 6 des Grundgesetzes. Daraus folgt unmittelbar: Zwei Menschen, die heiraten, dürfen gegenüber Unverheirateten nicht benachteiligt werden.

Tatsächlich verstößt die Bundesregierung jedoch gleich mit zwei ihrer zentralen Vorhaben aus den vergangenen Wochen gegen diesen Grundsatz. Sowohl beim Soli-Abbau als auch bei der Grundrente gibt es Konstellationen, in denen Ehepaare benachteiligt werden.

Ziemlich offensichtlich ist dies bei der Grundrente. Diese neue Sozialleistung bekommen langjährig Versicherte nämlich nur dann, wenn ihr eigenes monatliches Einkommen nicht höher als 1.250 Euro und das Haushaltseinkommen nicht höher als 1.950 Euro ist. Ein Ehepaar, bei dem nun beide Partner die Voraussetzungen für eine Grundrente erfüllen - mindestens 35 Beitragsjahre bei niedrigen Beiträgen oder erbrachten Pflege- bzw. Erziehungsleistungen - und deren Einkommen jeweils 1.200 Euro pro Monat beträgt, geht also leer aus, während zwei Nicht-Verheiratete unter sonst gleichen Bedingungen die Grundrente ab 2021 bekommen werden. Eine Scheidung könnte also im Einzelfall finanziell lohnen.

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Etwas komplizierter ist die Lage beim Solidaritätszuschlag. Wie der Bundestag vergangene Woche beschloss, soll für einen Großteil der Steuerpflichtigen dieser Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer 2021 abgeschafft werden. Dazu soll die bisherige Freigrenze, bis zu der der Zuschlag zur Einkommensteuer entfällt, deutlich steigen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Singles bis zu einem steuerpflichtigen Einkommen von rund 61.000 Euro keinen Soli mehr zahlen müssen.

Spitzenverdiener will die Regierung ausdrücklich nicht entlasten. Daher wurde eben kein Steuerfreibetrag gewählt, von dem alle Soli-Zahler profitieren würden, sondern eine Freigrenze. Diese stellt sicher, dass für Spitzenverdiener ab ungefähr 100.000 Euro Jahreseinkommen der Soli in voller Höhe bestehen bleibt. Für Einkommen zwischen rund 61.000 Euro und 100.000 Euro soll es eine „Milderungszone“ geben, in der die Steuerzahler teilweise vom Soli entlastet werden.

Für den Fiskus bildet ein Ehepaar eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft. Würde das Gesamteinkommen dieser Gemeinschaft entsprechend dem Steuertarif besteuert, so führte der progressive Steuertarif dazu, dass die Belastung zumeist höher ist als bei der Individualveranlagung, die Ehe also bestraft würde. Hingegen führte die Individualbesteuerung dazu, dass Ehepaare mit gleichem Gesamteinkommen, aber unterschiedlicher Verteilung des Einkommens, unterschiedlich belastet würden - was dem Konstrukt einer Wirtschaftsgemeinschaft widerspricht.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts steht Ehepartnern die Entscheidung frei, wer von beiden wieviel seiner Zeit dafür verwendet, Geld zu verdienen und wer wieviel Zeit für unentgeltliche Hausarbeit und Freizeit nutzt. „Zu dem Gehalt solcher privaten Entscheidungsfreiheit der Ehegatten gehört auch die Entscheidung darüber, ob eine Ehefrau sich ausschließlich dem Haushalt widmet, ob sie dem Manne im Beruf hilft oder ob sie eigenes marktwirtschaftliches Einkommen erwirbt“, urteilte das Bundesverfassungsgericht 1957 – und hat diese Rechtsprechung bislang nicht revidiert. „Zur Gleichberechtigung der Frau gehört, dass sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger.“ Aus diesem Urteil folgt, dass Ehepaare mit gleichem Gesamteinkommen, steuerlich gleichbehandelt werden müssen, unabhängig davon, wer von beiden Partnern wieviel zum Gesamteinkommen beisteuert.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 wird genau dies durch das Ehegattensplitting sichergestellt. Dabei wird das Einkommen beider Partner addiert und anschließend halbiert. Auf dieses halbierte Einkommen wird der Steuertarif angewandt und die Steuerschuld ermittelt. Diese Steuerschuld wird dann verdoppelt. In vielen Fällen führt dies zu einer niedrigen Steuerbelastung als die Einzelveranlagung, eine Trauung wird dann also vom Fiskus belohnt. Dieser „Splitting-Vorteil“ ist umso größer, je unterschiedlicher das Einkommen beider Partner ist. Im Extremfall kann er rund 16.500 Euro pro Jahr betragen, wenn ein Ehepartner mehr als 530.000 Euro und der andere gar nichts verdient. Verdienen hingegen beide Ehepartner gleichviel, beträgt der Steuervorteil Null. Dies gilt auch, wenn die Einkommen zwar verschieden sind, aber so hoch, dass beide im Falle getrennter Veranlagung mit dem Spitzensteuersatz belastet werden, also zwischen rund 56.000 und 265.000 verdienen.

Im Jahr 1982 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass dieses Splittingverfahren „dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit“ entspreche. „Es geht davon aus, dass zusammenlebende Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat. Damit knüpft das Splitting an die wirtschaftliche Realität der intakten Durchschnittsehe an, in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Partnern stattfindet.“ Das Ehegattensplitting sei damit „keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung“, sondern eine am Schutzgebot der Ehe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare orientierte „sachgerechte Besteuerung“.

Genau darüber setzt sich nun ab 2021 der Fiskus hinweg, wie der Finanzwissenschaftler Michael Broer in einem Fachartikel zeigt. In der neuen Milderungszone des Solis kann es für eine ganze Reihe von Ehepaaren künftig vorteilhaft sein, auf das Splitting zu verzichten und sich getrennt veranlagen zu lassen. So zahlt künftig ein Ehepaar, bei dem beide Partner 100.000 Euro pro Jahr verdienen, 3654 Euro Soli, ganz gleich ob sie getrennt oder zusammen veranlagt werden. Verdient jedoch der eine Partner 60.000 und der andere 140.000 Euro, so verlangt der Fiskus bei getrennter Veranlagung lediglich 2751 Euro, die Zusammenveranlagung mit Splitting führt also zu einer um 903 Euro höheren Steuerschuld. Grund ist, dass der weniger verdienende Partner von der Soli-Abschaffung profitiert, die gemeinsam Veranlagten jedoch nicht. Dieser Effekt stellt für sich genommen noch keine Benachteiligung der Ehe dar, da es jedem Paar freisteht, sich selbst zu veranlagen.

Verdient nun aber der eine Partner 80.000 und der andere 120.000 Euro, so reduziert sich der „Splitting-Nachteil“ auf 429 Euro. Die Steuerlast hängt also davon ab, wie das Gesamteinkommen auf die beiden Partner verteilt ist – und dies steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts.

Nun hat der Steuerzahlerbund bereits angekündigt, nach einem geeigneten Fall zu suchen und diesen bei einer Klage gegen den Soli vor dem Bundesverfassungsgericht zu unterstützen. Der offensichtliche Verstoß gegen eine Besteuerung gemäß der Leistungsfähigkeit von gutverdienenden Ehepaaren macht die Erfolgschancen eines solchen Verfahrens sicher nicht geringer. Jüngst hatte bereits der Bundesrechnungshof vor erheblichen Etatrisiken gewarnt, sollte das Bundesverfassungsgericht den Soli rückwirkend kippen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) täte gut daran, für diesen Fall eine Rücklage im Haushalt zu bilden. Vorsicht ist besser als Nachsicht.


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