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Echte Begeisterung, falsche Symbole

Die neue EU-Kommissionspräsidentin ist in der EU-Hauptstadt geboren und aufgewachsen, was sie gern betont. Das aber macht sie noch lange nicht zur Insiderin in einem komplexen Mikrokosmos.

In ihrer ersten Amtswoche als EU-Kommissionspräsidentin wird Ursula von der Leyen viel reisen. Am Dienstag eine Rede in Madrid auf der UN-Klimakonferenz. Es geht um eines ihrer Kernanliegen: Den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Am Samstag fliegt sie weiter nach Addis Abeba zu Gesprächen mit der Afrikanischen Union, auch zum Thema Migration. Als Bundesministerin – erst für Arbeit und Soziales, dann für Verteidigung – hat von der Leyen gelernt, dass Erfolge in der Politik nicht vom Schreibtisch aus zu erzielen sind.

Rausgehen, Koalitionen schmieden, bei Auftritten ehrgeizige Ziele ankündigen – das war bisher ihre Arbeitsweise, die sie ganz offensichtlich beibehalten will. Aber wird ihr die Erfahrung aus der Bundes- und zuvor der Landespolitik in Brüssel weiterhelfen? In der EU-Hauptstadt fürchtet man, dass die 61-Jährige den Wechsel unterschätzt. Sie wäre nicht die erste.

Brüssel ist nicht Berlin, Berlin ist nicht Brüssel. Martin Schulz (SPD) hat das erlebt. Im Europäischen Parlament zog er über Jahre erfolgreich die Strippen, in der Bundespolitik scheiterte er kläglich. Ihm fehlte das Netzwerk, er bewegte sich auf unbekanntem Terrain. „Der umgekehrte Wechsel von Berlin nach Brüssel ist genauso kompliziert“, sagt Jannis Emmanouilidis vom European Policy Centre. Die Reisefreude von der Leyens halten manche in Brüssel für ihren ersten Fehler. „Sie sollte in der Kommission bleiben und den Laden zusammenhalten“, sagt ein hoher Beamter.

Der Neu-Präsidentin fehlen Erfahrung und kurze Drähte

Ursula von der Leyen spricht gerne über ihre Kindheit in Brüssel: Geboren im Stadtteil Ixelles besuchte sie bis zu ihrem 13. Lebensjahr die Europaschule in Uccle, in der sie vom ersten Schuljahr an Französisch lernte. Großbritannien und Irland waren damals keine Mitglieder des Staatenbundes, der noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hieß. Ihre Schulkameraden waren Italiener, Franzosen, Belgier, Niederländer, Luxemburger. Das hat sie geprägt – und erklärt ihre Begeisterung für Europa. Aber hilft ihr das dabei, eine tief zerstrittene Union zu führen?

Die Zweifler sagen: Sie hat bisher noch nicht einmal eine Landesregierung geführt. Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker hatte bei seinem Antritt bereits 18 Jahre lang Luxemburg regiert. Sicherlich: Ein kleines Land, die Einwohnerzahl von 600.000 eher die einer Großstadt. Aber Juncker besuchte in dieser Zeit regelmäßig EU-Gipfel, agierte oft als Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich. Die Nummern aller wichtigen Politikern der Union waren in seinem altmodischen Nokia-Mobiltelefon eingespeichert. Ein vergleichbares Netzwerk muss sich von der Leyen erst aufbauen.

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Auch innerhalb ihrer Behörde braucht von der Leyen einen Kreis von Vertrauten. Beamte, die sie frühzeitig warnen, wenn Gefahr im Verzug ist. Leute, die wissen, wer gegen wen arbeitet. In ihrem Kabinett hat sie dazu neben zwei Vertrauten aus Berlin auch viele erfahrene Kräfte aus der Kommission versammelt. Doch in Brüssel spricht man darüber, dass sie sich abkapselt. „Ihr Umfeld ist ein schwarzes Loch“, sagt ein Beamter. Auch Interessensvertreter und Lobbyisten von Nicht-Regierungsorganisationen beklagen, dass ihnen Ansprechpartner fehlen.

Von der Leyens hat entschieden, in ihrem Dienstsitz in Brüssel zu wohnen. Auch das löst Befremden aus. In Berlin schon hatte sich von der Leyen einen Schlafraum im Ministerium einrichten lassen. Doch nun steht sie an der Spitze einer Behörde, die ohnehin nicht für ihre Bürgernähe bekannt ist. „Ein seltsames Symbol“, heißt es aus der EU-Kommission. Besonders im Vergleich zu Vizepräsidentin Margrethe Vestager, die abends und am Wochenende im Stadtteil Ixelles zum Beispiel mit ihrer Tochter Outdoor-Zubehör kauft.

Von der Leyen fehlt noch das Gefühl für das Brüsseler Terrain. Ein Indiz dafür war ihre Ankündigung, schnell neue Vorschläge zu machen. Bereits im Februar oder März will sie einen Entwurf zum Neustart in der Asylpolitik vorlegen. Doch die Zeit bis dahin reicht nicht für die in Brüssel übliche Gesetzesfolgenabschätzung. So wird es nur eine unverbindliche Mitteilung geben. Ähnliches passiert in der Klimapolitik und bei der Künstlichen Intelligenz.

„Europa ist mehr als Gurkenkrümmung und Glühlampenverordnung“, betonte von der Leyen, damals noch Arbeitsministerin, als sie vor sechs Jahren eine Laudatio auf den damaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments hielt. Mit ihrer Rede stellte sie ihre große Begeisterung für Europa unter Beweis. Um sie auch umsetzen zu können, muss sie nun schnell die nötigen Fähigkeiten erlernen.