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Warum Philip Morris nicht über Til Schweiger und Jason Derulo sprechen darf

Der Tabakkonzern feiert seine neue High-Tech-Zigarette in geladenem Kreis mit Staraufgebot – und fordert nun Ausnahmen vom Werbeverbot. Krebsforscher warnen.

So würde es also öfter aussehen, wenn der Tabakkonzern Philip Morris dürfte wie er will. Gleich nach einer aufwendigen Lichtprojektion, die den Deutschland-Start der neuen, dritten Generation der High-Tech-Zigarette iQos anpreist, stürmt ein aktueller Super-Star auf die Bühne. Der US-Musiker Jason Derulo performt energetisch seinen offiziellen Song zur Fußball-WM aus dem Sommer, danach seinen Welt-Hit „Want To Want Me“.

Vor der Bühne, zwischen gestylten Gestalten, bekommen Til Schweiger und Oliver Pocher mit Kaviar bestreute Häppchen gereicht. Es riecht leicht nach süßlichem Tabak im verglasten Innenhof des historischen Museums für Hamburgische Geschichte.

In dem prachtvollen Bau zeigte der 80-Milliarden-Dollar-Konzern am Mittwochabend, welche Marketingkraft in ihm schlummert. Doch dafür waren einige Verrenkungen nötig.

Gäste durften nur auf Einladung teilnehmen, mussten eine einseitige Erklärung unterschreiben – und der Konzern selbst darf von der Veranstaltung so gut wie nichts berichten. Das Werbeverbot für Tabak nötigt der Branche einiges ab – bis hin zu einer formelhaften, von Juristen vorgegebenen Sprache.

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Doch neue Produkte wie iQos machen der Tabakindustrie Hoffnung, dass es bald wieder so sein könnte, wie in den goldenen 1950er-Jahren, als die Tabakwerbung noch so gut wie alles durfte. Die Zauberformel der Branche lautet: „risikoreduzierte Produkte“.

Für Philip Morris ist das iQos. Die elektrische Zigarette funktioniert anders als herkömmliche E-Zigaretten mit echtem Tabak, nicht mit Liquid. Der Tabak wird elektrisch so weit erhitzt, dass er noch nicht verbrennt, aber schon verdampft. Das soll laut Konzern die Schadstoffe auf ein Zehntel senken.

Seit zwei Jahren ist das System auf dem deutschen Markt, die ausgereiftere neue Version soll weiteren Schwung geben. Wäre da nicht ein leidiges Problem: Da den Tabakkonzernen viele Möglichkeiten von Online-Werbung über Fernsehspots bis hin zu vielen Promotion-Aktionen untersagt sind, sind die Kosten recht hoch, die Kunden zu erreichen.

„Wir haben den Wunsch an den Regulierer, kein Werbeverbot zu erlassen, das zum Informationsverbot wird“, wiederholte Deutschlandchef Markus Essing vor der Launch-Party daher in Hamburg eine Forderung der Branche. Sein Vorschlag: Die Regulierer sollten Tabakprodukte künftig in Risikoklassen einordnen.

Für risikoärmere Produkte erhofft sich Essing Ausnahmen von Werbeverboten: Er will dann etwa Raucher gezielt über soziale Medien ansprechen können. Auch sollen die Warnhinweise auf den Packungen angepasst und die Steuern gesenkt werden. Für die Branche soll das den Anreiz erhöhen, neue Produkte zu entwickeln.

Bis heute ist die Tabakbranche höchst profitabel

Bislang ist allein Plakatwerbung in Deutschland für Tabak erlaubt – anders als in allen anderen EU-Ländern außer Bulgarien, die sämtliche Werbeformen verbieten. Einen zweistelligen Millionenbetrag gibt die Branche in Deutschland dafür jährlich aus, Fernsehwerbung und Online-Auftritte sind jedoch längst passé.

Würden die Berliner und Brüsseler Behörden neue Ausnahmen für Produkte wie iQos erlauben, könnte für die Branche eine goldene Zeit zurückkehren: In den 1950er-Jahren, zur Zeit der fiktiven Fernsehserie „Mad Men“ um New Yorker Werber, konnte die Branche ungehemmt für Zigaretten werben, die damals allgemein als recht unschädlich galten.

Zugleich galt damals wie heute: Weil die Raucher meist schnell stark abhängig vom Nikotin werden, reagieren sie kaum auf Preiserhöhungen – und die Preise sind wegen der Tabaksteuer recht einheitlich. Bis heute ist die Tabakbranche deshalb höchst profitabel: Mit Umsatzmargen von deutlich über 40 Prozent führt Philip Morris regelmäßig das Top-50-Ranking der Konsumgüterkonzerne der Beratung OC & C an.

Mit keinem anderen Konsumgut von Lebensmittel bis Kosmetik lassen sich zuverlässig solche gigantischen Margen erzielen. Daher ist es für die börsennotierten Tabakkonzerne kein akzeptabler Weg, ihre Markenkraft einfach auf andere, weniger regulierte Markenprodukte aus Supermarkt und Kiosk umzulenken. Problem allerdings: In den reifen Märkten rauchen immer weniger Menschen.

Anerkanntermaßen risikoarme Zigaretten wären für die Konzerne ein Befreiungsschlag: Der Grund für Werbeverbote fiele weg, zugleich wären die Kunden aber weiterhin nikotinabhängig. Die Mad-Men-Welt wäre zurück – und ein gutes Gewissen.

Zu Änderungen könnte es in Deutschland tatsächlich schon bald kommen. Zunächst ist die Botschaft jedoch schlecht für die Tabak-Lobby: Die Plakatwerbung könnte nun auch noch verboten werden. Grund ist die überraschende Abwahl Volker Kauders als CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag. Der Politiker galt als Bollwerk gegen Tabak-Werbeverbote, ließ sie aus dem Koalitionsvertrag in letzter Minute herausstreichen.

Sein Nachfolger Ralph Brinkhaus hat bereits angekündigt, die Diskussion neu eröffnen zu wollen – also die von der SPD und Teilen der Union vehement geforderten Tabakwerbeverbote womöglich zu ermöglichen. Die Tabak-Lobby ist alarmiert.

Beim jährlichen Kongress des Markenverbands in Berlin vor wenigen Wochen warnte dessen Geschäftsführer Christian Köhler vor Tabak-Werbeverboten als Einfallstor für weitere Einschränkungen von Werbung und letztlich der Meinungsfreiheit – ein Klassiker der Tabaklobbyisten.

Einfallstor für Ausnahmen

Dabei könnten neue Pläne für Einschränkungen ebenso gut Einfallstor für neue Ausnahmen werden, wie sie Philip-Morris-Manager Essing fordert. Sein Konzern hat bereits die Werbung für klassische Marken wie Marlboro weitgehend eingestellt – und wäre so besser auf Werbeverbote für klassische Zigaretten vorbereitet als Konkurrenten wie BAT oder Japan Tobacco.

Für iQos will Essing dagegen unbedingt weiter werben dürfen. Denn bislang bleibt der Marktanteil in Deutschland deutlich hinter dem anderer Länder zurück: Die Kennzahl liegt gerade mal bei einem halben Prozent, während der Tabakerhitzer EU-weit auf 1,2 Prozent kommt, wie Essing am Mittwoch sagte.

30 Millionen Tabak-Sticks verkauft der Konzern monatlich für das System in Deutschland –zugleich aber gigantische 3,3 Milliarden Zigaretten. Das zeigt: Vom ausgerufenen Ziel, bis 2025 ganze 40 Prozent des Umsatzes mit neuartigen Produkten zu erreichen, ist Philip Morris noch weit entfernt.

Den im Sommer 2017 groß angekündigten Plan, in Dresden 300 Millionen Euro in eine Werkserweiterung für das iQos-System zu stecken, hat Essing folglich erst einmal auf Eis gelegt und die Bauarbeiten gestoppt. „Es ist allerdings noch keine Entscheidung gefallen, dass wir das nicht machen“, betonte Essing. Bis dahin produziert der Konzern die Neuheit vor allem in Italien und Osteuropa.

Ausnahmen für Tabakerhitzer und E-Zigaretten von drohenden Plakat-Verboten kämen Essing zupass. Er nutzt Plakatwerbung derzeit intensiv, um in neun deutschen Städten iQos voranzubringen – zusätzlich zu eigenen iQos-Läden. Das Umsteuern der Werbemittel auf iQos soll auch wirtschaftlich Sinn ergeben: iQos wird besteuert wie Pfeifentabak. Für eine Schachtel werden damit nur 88 Cent Steuern fällig – statt 3,35 Euro für herkömmliche Zigaretten.

Dennoch verkauft der Konzern die neuen Tabak-Sticks nicht billiger – anders als viele Anbieter von Liquids. Rechnerisch bleiben bei 40 Millionen verkauften Tabak-Sticks so schon jetzt 3,7 Millionen Euro monatlich mehr in den Konzernkassen. Allerdings: Dem gegenüber stehen nicht nur die nach Konzernangaben 4,5 Milliarden Dollar schweren Entwicklungskosten, sondern auch die Werbeaufwendungen.

Mittelfristig jedoch könnte Philip Morris dennoch durch die neuen Geräte noch profitabler werden. Gleichzeitig, so behaupten zumindest die Konzernmanager, befreie iQos die Raucher von der von Verbraucherschützern angeblich aufgestellten Alternative „Quit or die“ – hör auf oder stirb. Denn nun gebe es eine weitere Alternative, den guten Tabak gewissermaßen. Nichtraucher wolle der Konzern gar nicht ansprechen.

Krebsforscher warnen vor Ausnahmen

Krebsforscher überzeugen die Argumente der Lobbyisten jedoch nicht – auch wegen der bisherigen Erfahrungen mit der Branche. Die behauptet etwa standhaft, es gehe bereits bei der aktuellen Plakatwerbung für klassische Zigaretten bewusst nicht darum, Nichtraucher anzusprechen, sondern nur um die Verschiebung von Marktanteilen.

Tatsächlich jedoch versucht etwa die Marke „Benson & Hedges“ derzeit unter dem Slogan „Draußen mittendrin“ die Raucherpulks vor Kneipen und Clubs zu coolen Kommunikationsorten umzudeuten. Camel bewirbt das Rauchen momentan mit „Do your thing“ als individuelles Statement.

„Solche Plakate zielen nicht nur auf Raucher ab, sondern auf alle Menschen – besonders auf junge“, kritisiert Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Sie meint: Die Werbung lädt das Rauchen an sich positiv auf. „Es ist doch logisch, dass die Hersteller um junge Kunden werben. Das gilt besonders für Anbieter eines Produkts, das die Hälfte seiner Kunden umbringt“, sagte sie dem Handelsblatt.

Von Ausnahmen für Produkte wie iQos hält sie nichts. Noch sei strittig, wie gefährlich Tabakverdampfer in der tatsächlichen Wirkung seien – auch wenn Philip Morris darauf hinweist, in dem Dampf seien nur zehn Prozent der Schadstoffe einer herkömmlichen Zigarette messbar. Sie befürchtet, Tabakanbieter könnten solche Ausnahmen als „Schlupfloch“ für Imagewerbung nutzen.

„Das Argument, Raucher über Werbung für neue Produkte zu einem gesünderen Leben verhelfen zu wollen, nehme ich Philip Morris nicht ab, solange der Hersteller weiter herkömmliche Zigaretten verkauft und anderswo sogar noch in den Markt drängt“, sagt die Forscherin.

Neue Produkte könnten Nicht- oder Ex-Raucher dazu verleiten, zum Nikotin zu greifen und so in die Abhängigkeit führen. Und: Würde gezielte Werbung etwa auf Facebook erlaubt, wie es Philip-Morris-Manager Essing anregt, wäre noch schwerer nachzuvollziehen, ob sich die Hersteller an die Selbstverpflichtung halten, nur Raucher anzusprechen – zumal Online-Werbung eher jüngere Menschen erreicht.

Die Vorstellung der neuen Gerätegeneration am Mittwochabend in Hamburg jedenfalls drehte sich klar um ein junges, cooles Image für iQos und nicht um Gesundheitsförderung. Am Ausgang hätte jeder Besucher ein iQos-Gerät mitnehmen können, egal ob Raucher oder Nichtraucher.

iQos als risikoarmes Rauchgerät der Pop-Stars: Wer sollte da noch widerstehen? Die meisten der geladenen Influencer taten es jedenfalls nicht – und dürften die Botschaft des Tabakkonzerns bald in ihrem Umfeld und in den sozialen Medien teilen.