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Sind E-Scooter eine Erfolgsgeschichte?

Die Pandemie trifft auch E-Scooter-Verleiher hart. Exklusive Zahlen zeigen jetzt, wie häufig Roller in Berlin und Hamburg seit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen unterwegs waren. Und versprechen einen harten Winter.

Als E-Scooter-Verleiher gehört es im Konkurrenzkampf dazu, Neuigkeiten rund um die Roller hochtrabend zu kommunizieren. Lime-Manager Jashar Seyfi etwa spricht von einer „klaren Marktführerschaft im Bereich der geteilten Mikromobilität“. Tier-CEO Lawrence Leuschner hält sein Unternehmen für den „deutschen und europäischen Marktführer“ und beschreibt in einer Mitteilung die „Verbesserung der Mobilität“. In Pressemitteilungen von Tier, Voi, Lime und Bird finden sich die Wörter „Marktführer“ oder „führender Anbieter“ gleich bei allen Unternehmen.

Einen mathematischen Beweis für den Erfolg ihres Geschäfts liefern die Start-ups in der Regel nicht im Detail. Zumindest nicht selbst. Interne Daten zur Auslastung rückt niemand heraus. Aus Wettbewerbsgründen, versteht sich. Wer wirklich etwas über die Nutzung erfahren will, muss auf externe Daten zurückgreifen.

Der WirtschaftsWoche liegen Zahlen des Unternehmens Fluctuo zur täglichen Auslastung der Tier- und Voi-Scooter in Berlin, Hamburg und weiteren europäischen Städten vor. Der Datenspezialist arbeitet mit den beiden großen Scooter-Verleihern zusammen. Fluctuo überwacht die Flottenbewegungen auf einer Städtekarte, trackt so die täglichen Fahrten und liefert seltene Einsichten in das Geschäft der Verleiher.

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Die Daten zeigen etwa, dass Voi und Tier nach dem Ende der Corona-Ausgangsbeschränkungen in Berlin und Hamburg lange mit schwachen Nutzungszahlen zu kämpfen hatten. Diskussionen um ein erneutes Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens dürften bei den Verleihern böse Erinnerungen wecken. In den vergangenen Tagen trübten sich die Nutzungszahlen schon wieder etwas ein. Doch sie verraten noch weitaus mehr über das anfangs so umstrittene Verkehrsmittel.

In Hamburg war ein Scooter von Tier zwischen Anfang Mai und Ende Oktober im Schnitt nur 1,7 Mal am Tag unterwegs. Voi kam immerhin auf durchschnittlich 2,2 Fahrten, nahm den Betrieb hier allerdings erst am 20. Mai wieder auf. Tier nahm seine Scooter im Frühjahr als einziger Verleiher hierzulande nicht von der Straße.

Gerade in den ersten Wochen nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen waren die E-Scooter kaum unterwegs. Tier musste bis Ende Mai an manchen Tagen weniger als eine Fahrt pro Scooter hinnehmen. Solche Tage begleiteten Voi in Hamburg teilweise bis in den Juli hinein. Seitdem stiegen die Fahrten allerdings deutlich an und pendelten sich zwischenzeitlich auf einem normalen Niveau von zwei bis drei Fahrten pro Tag ein. In der Grafik deutlich erkennbar: Seit Mitte September verzeichnete Voi mehr Fahrten als Tier. Das Berliner Start-up rutschte wieder häufiger unter die Marke von zwei Fahrten pro Tag. „Hamburg ist aktuell die attraktivste E-Scooter-Stadt in Deutschland“, sagt Voi-Deutschlandchef Claus Unterkircher deshalb wohl nicht ohne Grund.

In der Hauptstadt zeigt sich ein etwas anderes Bild: Hier haben Voi und Tier länger gebraucht, um sich von der Coronadelle zu erholen. Und diese Erholung fiel insgesamt auch noch deutlich zaghafter aus als in Hamburg. Tier kam zwischen dem 1. Mai und dem 22. Oktober pro E-Scooter gerade einmal auf 1,5 tägliche Fahrten. Seit Ende September brachen die Zahlen immer wieder auf das Niveau von Mai und Juni ein, mit teils weniger als einer Fahrt am Tag. Voi-Scooter wurden in Berlin bis zum 22. Oktober im Schnitt 1,7 Mal am Tag ausgeliehen. Allerdings nahm der Verleiher den Betrieb erst am 11. Juni wieder auf.

Obwohl die niedrigen Durchschnittswerte deutlich von einem „normalen“ Niveau mit zwei bis drei Ausleihen pro Tag entfernt sind, blicken Voi und Tier ziemlich positiv auf die vergangenen Wochen und Monate zurück. Tier sah ab Juni wieder eine vermehrte Rückkehr der Mobilität – „noch nicht ganz auf dem Level vor Corona, aber kontinuierlich steigend“, sagt Manager Moritz Werner. „Dementsprechend sind wir auch trotz der außergewöhnlichen Umstände dieses Jahr zufrieden“. Das Berliner Start-up blicke anderthalb Jahre nach dem Start auf ein Wachstum von mehr als 100 Prozent zurück – „trotz Corona“, sagt Werner. „Nach einigen schwächeren Tagen beim Neustart im Frühjahr sind die Nutzungszahlen jetzt wieder stark angestiegen“, sagt auch Voi-Deutschlandchef Claus Unterkircher. Und zwar „deutlich über das Vorjahresniveau im September und Oktober“. Voi ziehe aus den Zahlen die Erkenntnis, „dass wir so langsam wirklich in den Städten ankommen“.

Unterkirchers Optimismus fußt auf dem Skandinavien-Geschäft des schwedischen Scooter-Verleihers. Dort sind sie Tretroller von Voi bereits seit zwei Jahren unterwegs. „Die Entwicklung, die wir heute in Berlin und Hamburg verzeichnen, liegt auf dem Vorjahresniveau der skandinavischen Länder“, sagt der Voi-Manager. Und in Oslo boomen E-Scooter heute regelrecht, sind deutlich häufiger unterwegs als hierzulande, wie die nachfolgende Grafik zeigt.

Auch Lime, der dritte große Anbieter auf dem deutschen Markt, gibt sich zufrieden: „Bei den Nutzerzahlen wie auch bei der Anzahl der Fahrten sehen wir seit der Corona-bedingten Betriebspause ein kontinuierliches Wachstum“, sagt Deutschlandchef Jashar Seyfi. „Was Fahrten und Umsatz anbelangt, so sind wir inzwischen fast wieder auf Vorjahresniveau angekommen.“ Interne Zahlen kommuniziert Lime branchentypisch ebenfalls nicht. Und das US-Unternehmen arbeitet auch darüber hinaus nicht mit dem externen Dienstleister Fluctuo zusammen.

Stattdessen versichert Lime-Manager Seyfi nur: „Wir gehen stark davon aus, dass wir in den allermeisten deutschen Standorten über den Werten der Wettbewerber lagen.“ Und verrät stattdessen andere Zahlen. Lime verzeichne bei der Länge der Fahrten einen Anstieg um 34 Prozent auf 13,1 Minuten und bei der zurückgelegten Entfernung einen Anstieg um 18 Prozent auf mehr als zwei Kilometer.

Die externen Auslastungsdaten zur Konkurrenz hält Lime für realistisch. Für Voi-Manager Claus Unterkircher sind sie „der beste externe Anhaltspunkt“. Zu seiner Freude seien sie sogar „etwas zu konservativ“. Tier-Manager Moritz Werner hält dagegen: „Die tägliche Nutzungshäufigkeit unserer E-Scooter liegt höher, als die vorliegenden Zahlen annehmen lassen.“ Interne Zahlen veröffentlicht Tier – wenig überraschend – trotzdem nicht.


E-Scooter-Nutzung: Alles eine Frage des Wetters?

Ihre wertvollen Daten geben die Anbieter auch an manche der Städte weiter. Die dortigen Behörden gehen ähnlich verschlossen mit den Daten um, nutzen sie lediglich intern zur Verkehrsplanung. Mit einer Ausnahme: Die Stadt Dortmund stellte der WirtschaftsWoche auf Anfrage die internen Zahlen zur E-Scooter-Nutzung zur Verfügung. Pro E-Scooter fanden dort im dritten Quartal 77,9 Fahrten statt.

Tagesaktuelle Daten liegen in Dortmund nicht vor. Doch gerade diese sind für eine andere Betrachtung recht wertvoll: Ein Blick in die Zahlen offenbart nämlich, unter welchen Gegebenheiten die Kunden von Voi und Lime besonders häufig auf dem Roller unterwegs sind. Und wann sie die Roller lieber am Straßenrand stehen lassen. Eine naheliegende Erkenntnis: An den Tagen mit außergewöhnlich vielen Scooter-Fahrten in Berlin und Hamburg herrschte fast ausschließlich gutes Wetter, wie die historischen Wetterdaten in der Tabelle zeigen: meist kein einziger Regentropfen und Temperaturen von 35,7 Grad in der Spitze. So geschehen am 8. August in Berlin – zusammen mit nur 6,5 km/h Windgeschwindigkeit. Da tut der Fahrtwind besonders gut.

Umso überraschender ist die Erkenntnis, dass die besonders guten Tage regelmäßig und beinahe ausschließlich auf einen Samstag fallen. Und zwar in beiden Metropolen, wie die Tabelle ebenfalls zeigt. Nur einer der dort aufgelisteten Tage war kein Samstag. Dieser Trend spricht zumindest gegen die übermäßige Nutzung der Scooter auf dem Arbeitsweg – und für Touristen- und „Spaß-Fahrten“ am Wochenende. Entsprechend wenig euphorisch klingt dann auch die Einschätzung der Städte zum Thema Mobilitätsrevolution: „Aktuell leisten die E-Scooter aus Sicht der BVM noch keinen signifikanten Beitrag zur Mobilitätswende“, heißt es von der Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. Laut Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz sei noch offen, ob E-Scooter einen nachhaltigen Beitrag zur Verkehrswende leisten können. Dresden hat diese Frage vorerst so beantwortet: „Einen Beitrag zur Verkehrswende leisten sie bislang nicht“, heißt es aus der sächsischen Landeshauptstadt aus Anfrage. Andere Städte zeigen sich zumindest etwas begeisterter.

Lediglich zwei Daten fallen bei Voi und Tier überraschend deutlich aus diesem Raster heraus. Der 19. Oktober in Berlin (Freitag) und der 15. Oktober (Donnerstag) in Hamburg. Trotz kühlen Temperaturen um zehn Grad in beiden Städten. Immerhin zeigt die nächste Tabelle, dass die Tage mit besonders geringer Scooter-Nutzung in der Regel von vergleichsweise kühlen Temperaturen geprägt waren. Damit nicht genug: Von den Verleihern hieß es übereinstimmend, dass Regen deutlich stärker auf die Nachfrage drücke als Kälte.

Beispiele lassen sich in den Daten finden. Am 26. September etwa brach die Auslastung der Scooter von Voi und Tier in Berlin dramatisch ein. Erstmals seit Mai verzeichnete Tier laut den Daten an diesem Samstag – eigentlich ja ein guter E-Scooter-Tag – im Schnitt wieder weniger als eine Fahrt pro Scooter. Kein Wunder: Am 26. September regnete es laut Daten der Wetterstation Berlin-Tempelhof so viel wie an keinem anderen Tag des Jahres.

Mit mauen Auslastungszahlen könnten es die beiden Verleiher bald wieder zu tun bekommen. Nicht nur wegen der Wintersaison. Auf die können die Verleiher immerhin reagieren, bei Glätte oder zu viel Schneefall den Betrieb einstellen, um Kosten zu sparen. „Unsere Erfahrung aus Skandinavien ist bei der Vorbereitung der Wintersaison sehr hilfreich, dort sind die Winter deutlich härter“, sagt Voi-Manager Unterkircher. Außerdem setzen sie gerade alles daran, die Kosten mit deutlich langlebigeren Scooter-Modellen und Innovationen wie austauschbaren Akkus zu drücken. Tier geht gerade bei den austauschbaren Akkus voran. In vielen Städten sind die neuen Modelle schon unterwegs. Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater EY attestierte den Scootern von Voi in einer Studie aus dem März eine durchschnittliche Lebensdauer von zwei Jahren. „Intern gehen wir sogar von fünf Jahren aus“, sagt Voi-Manager Unterkircher. Tier gibt die Lebensdauer seiner Scooter auch mit „mehreren Jahren“ an, verkauft sie nach einer Generalüberholung noch weiter an Privatkunden und reduziert die Abscheibungsraten. Profitabel arbeiten Lime, Voi und Tier gerade laut eigener Aussage ohnehin schon.

Doch auf mögliche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen können sich die Verleiher kaum vorbereiten. Ob die Start-ups eine zweite Coronadelle in den Zahlen allerdings verwinden können? Tier allerdings will sogar profitieren: „Wir sind darauf eingerichtet, uns schnell anzupassen und sind auf eine steigende Nachfrage vorbereitet, die durch eine Verlagerung auf den Individualverkehr in Zeiten von Abstandsempfehlungen entsteht“, sagt Manager Werner. Etwa für notwendige Fahrten zur Arbeit, Apotheke und zum Supermarkt. Ähnlich sieht es Voi-Deutschlandchef Unterkircher: „Aktuell gehen wir davon aus, dass wir ohne Lockdown am besten helfen können, wenn wir unser Produkt weiterhin anbieten.“

In den Daten zeigt sich seit Mitte Oktober ein erster Rückgang der Auslastungszahlen von Voi und Tier. Den Verleihern droht ein harter Winter.

Mehr zum Thema: Die Coronapandemie verändert die Art, wie wir uns fortbewegen. Der temporeiche Verkehrswandel gefällt nicht jedem.