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Duell via Twitter: Arbeitsminister Heil und Arbeitgeberfunktionär Kampeter streiten über die Pflege

Wie viel zählt heute noch die Tarifautonomie? Am Beispiel der Pflege hat sich ein erbitterter Streit zwischen dem Bundesarbeitsminister und den Arbeitgebern entzündet.

Der Tarifvertrag könnte Heil auf Antrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn ein öffentliches Interesse gegeben ist. Er würde dann für alle Pflegeanbieter gelten – egal ob privat, freigemeinnützig oder kirchlich. Foto: dpa
Der Tarifvertrag könnte Heil auf Antrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn ein öffentliches Interesse gegeben ist. Er würde dann für alle Pflegeanbieter gelten – egal ob privat, freigemeinnützig oder kirchlich. Foto: dpa

Es geht um so sperrige Begriffe wie Tarifautonomie oder Allgemeinverbindlichkeitserklärung, abgekürzt AVE. Themen, die eher nicht für ein schnelles Gezwitscher auf Twitter taugen.

Und doch lieferten sich dort gerade zwei Kontrahenten ein bemerkenswertes Duell: Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), auf der einen, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf der anderen Seite.

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„Hören Sie auf, einen politischen Willen aus Wahlkampfgründen in die Tarifautonomie hineinzutragen“, feuerte Kampeter den ersten Schuss auf den Arbeitsminister. „Beenden Sie die Taktik, die Sozialpartner mit rechtlich fragwürdigen Ankündigungen unter Druck zu setzen.“ Heil feuerte im sozialen Netzwerk zurück: „Arbeitgeberverbände, die Tarifverträge verhindern wollen und sonst immer rufen, dass der Staat sich raushalten soll, finde ich putzig.“

Worum geht es?

Der Arbeitsminister steht bei den Beschäftigten und den Gewerkschaften im Wort, für faire Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung in der Altenpflege zu sorgen. Ein Weg dahin, den das Pflegelöhneverbesserungsgesetz weist, führt über Tarifverträge. Der noch relativ junge Arbeitgeberverband BVAP und die Gewerkschaft Verdi haben vor Kurzem einen solchen Tarifvertrag geschlossen.

Den könnte Heil auf Antrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn ein öffentliches Interesse gegeben ist. Er würde dann für alle Pflegeanbieter gelten – egal ob privat, freigemeinnützig oder kirchlich. Und unabhängig davon, ob ein Unternehmen tarifgebunden ist oder nicht. Dagegen laufen vor allem die privaten Pflegeheimbetreiber Sturm; Sie wollen den Tarifvertrag vor Gericht für nichtig erklären lassen.

Kirchen wollen kommende Woche entscheiden

Das Problem bei der Sache: Der BVAP vertritt nur einen winzigen Bruchteil der Pflegeanbieter aus dem Bereich der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Der Tarifvertrag ist also in keiner Weise repräsentativ für die Branche. Das wäre anders, sollten auch die Diakonie und die Caritas ihn unterstützen. Die beiden kirchlichen und die anderen freigemeinnützigen Träger wie die Awo oder das Rote Kreuz betreiben zusammen gut die Hälfte der Pflegeheime in Deutschland.

Caritas und Diakonie wollen dem zwischen Verdi und dem BVAP vereinbarten Tarifvertrag zwar nicht beitreten, aber ihre arbeitsrechtlichen Kommissionen werden kommende Woche entscheiden, ob sie ihn unterstützen und eine Allgemeinverbindlichkeit empfehlen.

Der Bundesarbeitsminister wie auch Verdi-Chef Frank Werneke trommeln unermüdlich für den Tarifvertrag. „Alle Pflegearbeitgeber sollten die Gelegenheit für diesen historischen Schritt nutzen“, hatte Heil Anfang der Woche noch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gesagt. Die Politik habe das Tor aufgestoßen, damit sich Diakonie und Caritas an den Tarifvertrag anlehnen könnten. „Das wäre ein echter Durchbruch, um die Zukunft der Pflege zu sichern.“

Was Heil als sanften Druck verstanden wissen will, sieht BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter dagegen als „Zwang“ und „Nötigung“ in der Tarifpolitik. Schon dass der Arbeitgeberverband BVAP erst nach Aufforderung durch Heil gegründet worden sei, habe nichts mehr mit Tarifautonomie zu tun.

Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen werden von den Sozialpartnern festgelegt

Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen würden von Sozialpartnern festgelegt, nicht nur in der Pflege, twitterte Kampeter. Verhandlungspartner der Arbeitgeber seien die Gewerkschaften. Die Bundesregierung könne das nicht besser. „Wollen Sie Ersatzsozialpartner sein?“, fragte der BDA-Funktionär den Arbeitsminister. Sozialpartnerschaft und Wahlkampf seien zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Die SPD arbeitet zwar noch an ihrem Programm für die Bundestagswahl. Aber schon in ihrem 2019 verabschiedeten Sozialstaatskonzept fordert die Partei, dass es künftig einfacher werden müsse, Tarifverträge für ganze Branchen verbindlich zu machen.

Heil wirft der BDA vor, Tarifverträge verhindern zu wollen. Ähnlich hatte sich vor wenigen Wochen Verdi-Chef Werneke vor Journalisten in Berlin geäußert. Die BDA schieße „aus allen Rohren“ gegen den Pflegetarifvertrag. Und sie entwickele sich immer mehr zu einem Dachverband, in dem „OT-ler das Ruder übernehmen“.

„OT-ler“ sind Mitglieder ohne Tarifbindung, die zwar einem Arbeitgeberverband beitreten, sich aber keinem Tarifvertrag unterwerfen. Beim mächtigsten BDA-Fachverband Gesamtmetall etwa ist von den rund 7400 Mitgliedsunternehmen gut die Hälfte nicht tarifgebunden.

Zum Showdown über den Pflegetarifvertrag könnte es am 25. beziehungsweise 26. Februar kommen, wenn die arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und Caritas entscheiden. Bis dahin dürften Heil, Verdi und die BDA weiterballern – aus allen Rohren.

„Arbeitgeberverbände, die Tarifverträge verhindern wollen, finde ich putzig.“ Foto: dpa
„Arbeitgeberverbände, die Tarifverträge verhindern wollen, finde ich putzig.“ Foto: dpa