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Die dubiosen Werbetricks von Biotulin

Karl Lagerfeld ist für klare Aussagen ebenso berühmt wie berüchtigt. Dass er auch zum Faltenkiller Botox eine deutliche Meinung hat, verwundert da wenig. „Grauenhafte Vorstellung, dass man nachher nicht mehr sein Gesicht bewegen kann“, erklärt der weltbekannte Modeschöpfer Ende 2014 in einem Interview. Viel erstaunlicher sind seine weiteren Ausführungen. „Mein Geheimnis: Gegen Fältchen benutzte ich täglich Biotulin, ein Biobotox-Gel auf pflanzlicher Basis“, vertraut Lagerfeld seinem Gesprächspartner an. „Es funktioniert, und ich kann mein Gesicht noch bewegen. Und sehen Sie bei mir Falten?“

Bessere Starthilfe konnte es für das so empfohlene Produkt kaum geben. Nur wenige Wochen zuvor hatten die beiden deutschen Unternehmer Ralf List und Helmut Reis die Faltencreme auf den Markt gebracht. Mit Kosmetik hatten beide bis dahin keine Erfahrung, auch keinen großen Partner an ihrer Seite. Umso erstaunlicher ist ihr Erfolg: Heute macht das Biobotox-Duo nach eigenen Angaben fünf Millionen Euro Umsatz und zwei Millionen Euro Gewinn. Wichtigster Partner ist die Kosmetikkette Douglas.

Die Promi-Hilfe hat den Biotulin-Siegeszug entscheidend befördert. Die Zahl der Anwender, die sich zur Creme bekennen, ist bemerkenswert. So sollen unter anderem Prinzgemahlin Kate Middleton, Ex-First-Lady Michelle Obama, die spanische Königin Letizia und Hollywoodstar Leonardo DiCaprio zu den Fans zählen. Mit Verweis auf entsprechende Medienberichte schicken die Biotulin-Macher die Bekenntnisse der Reichen und Schönen in die Welt. Dutzende Beautyseiten im Internet und etliche Zeitschriften haben sie aufgegriffen.

Aber stimmen sie auch? Eine einfache Recherche im Internet weckt erhebliche Zweifel an den Glamourgeschichten. Lagerfeld etwa soll die Empfehlung in einem Interview mit einem deutschen Onlinemagazin namens „titolo.de“ ausgesprochen haben. Das ist allerdings weithin unbekannt, die Webseite nicht erreichbar. Eine Sprecherin Lagerfelds kann nicht bestätigen, dass das Gespräch stattgefunden hat.

Ähnlich dubios sieht es bei anderen angeblichen Kronzeugen aus. So soll Arona Ahmed, die Hebamme von Kate Middleton, erklärt haben, dass die Herzogin nur wenige Stunden nach der Geburt eines Kindes deshalb so frisch aussah, weil sie sich Biotulin ins Gesicht geschmiert hatte. Ein Screenshot des angeblichen Gesprächs mit dem britischen Onlinemagazin „Daily Week“ findet sich auf einer Biotulin-Firmenseite, die Rubrik Pressestimmen weist ebenso darauf hin wie die Auftritte des Unternehmens bei Twitter und Facebook. Allerdings ist die Seite der „Daily Week“ nicht erreichbar.

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Das Unternehmen präsentiert Kate als rührige Botschafterin, neben anderen Promis springt ihr Name jedem ins Auge, der die Biotulin-Seite aufruft. Die Herzogin soll sogar Michelle Obama von dem segensreichen Gel überzeugt haben. Das soll Carl Ray, persönlicher Kosmetikbeauftragter der Gattin des Ex-US-Präsidenten einer Seite namens „Celebrities Style“ verraten haben. Auch diese Empfehlung trägt das Unternehmen über seine digitalen Kanäle weiter. Nachlesen lässt sie sich freilich nicht, denn auch die Seite „Celebrities Style“ existiert nicht.

Anders sieht es bei dem spanischen Onlinemagazin aus, in dem die Schwester von Königin Letizia diese als Fan des deutschen Biobotox geoutet haben soll. Das Magazin gibt es tatsächlich, die offenkundig dilettantische Aufmachung und vor allem die Länderkennung „.ga“ sprechen jedoch gegen eine allzu große Reichweite – letztere steht für den zentralafrikanischen Staat Gabun.

Die Resonanz in realen Medien ist gewaltig: „Bunte“, „Brigitte“, „Instyle“, sowie die britischen „Telegraph“ und „Daily Mail“ berichten ausgiebig über die „Wunderwaffe der Stars“, Beautyportale in aller Welt widmen ihr Besprechungen, unternehmen Selbsttests, befragen Hautärzte zum „gelüfteten Schönheitsgeheimnis“. Die Welle reicht bis nach Indien, wo Bollywood-Star Kajol zu den Anwendern zählen soll. Das Interview, auf das Biotulin ausgiebig hinweist, findet sich jedoch ebenfalls auf einer zweifelhaften Seite mit sehr wenig Inhalt.


„Wunderwaffe der Stars“

Dass sie mit erfundenen Promi-Bekenntnissen eine Art Fake-News-Marketing betreiben könnten, weisen die Biotulin-Gründer als „einfach unglaublich“ und „völlig grotesk“ von sich. Tatsächlich lässt sich die Urheberschaft der angeblichen Aussagen nicht wirklich klären. Klar ist allerdings, dass niemand außer den deutschen Crememachern von ihnen profitiert hat.

„Wir lesen etwas in der Presse und nehmen das zur Kenntnis – woher diese Quellen ihre Informationen haben, interessiert uns überhaupt nicht“, teilt das Unternehmen mit. Namhafte Zeitschriften hätten über die Vorliebe der Stars berichtet, allein über Kate Middleton und Biotulin gebe es rund 1000 Publikationen. An Lagerfeld schicke das Unternehmen zudem regelmäßig sein Produkt, dass er es noch nie zurückgehen ließ, soll belegen, dass alles in Ordnung ist.

Ihren Erfolg erklären die Gründer anders. Ralf List, im Hauptberuf Chef einer PR-Agentur, füllt nebenbei den Champagner „Hugot & Clement“ ab. Das brachte ihn auf die Idee, eine Hautcreme mit dem Rebensaft herzustellen, die jedoch keine Abnehmer fand. Ein Kontakt aus dieser Zeit habe ihn aber auf die Idee gebracht, ein Mittel zu entwickeln, das neben der in der Hautalterungsbekämpfung etablierten Hyaluronsäure vor allem auf Spilanthol basiert, einem natürlichen Betäubungsmittel.

Die Kombination soll vor allem kleine Falten glätten. Mit seinem Freund Reis gründet List das Unternehmen MyVitalSkin, ein erster Auftritt vor Apothekern fällt vor allem wegen der damaligen Verpackung des Gels verheerend aus. Dann, berichten die Gründer, besorgen sie sich über „Spezialagenturen“ Adressen von Promis. „Wir haben Biotulin bis nach Dubai, Indien und in die USA verschickt, ohne zu wissen, ob irgendwas ankommt“, sagt List. Das wachsende Echo in den Medien macht Händler aufmerksam, bald landet das Gel in den Onlineshops von Douglas und Beauty Alliance, einer Kooperation selbstständiger Parfümhändler.

Dabei ist die Resonanz gewöhnlicher Anwender durchwachsen. Beim Onlinehändler Amazon zeigen sich viele begeistert („Frau freut sich“, „Jungbrunnen im Fläschchen“), aber ebenso viele bitter enttäuscht („Man sieht gar nichts!!!“, „Null Wirkung“).

Der Zusammenarbeit mit Douglas schaden die kritischen Stimmen nicht. Gerade erst hat der Kosmetikriese die Kooperation ausgeweitet, das Anti-Falten-Gel ist dort nun exklusiv europaweit erhältlich. Die Produkte seien für den Konsumenten sowohl „relevant als auch einzigartig“, sagt Douglas-Chefin Tina Müller. „Biotulin zeichnet sich durch eine erfrischende Innovationskraft aus.“ Neben dem Hauptprodukt Supreme Skin Gel (15 Milliliter/49,99 Euro) gibt es unter der Marke inzwischen auch Gesichtsmasken, Sonnencreme sowie eine Tages- und Nachtcreme. Im Oktober kommt ein Puder hinzu.

Dann soll es auch eine neue Fernsehkampagne geben. Im Herbst 2017 flimmerten Spots über die Sender, die das zerklüftete Gesicht des heute 65-jährigen Heiner Lauterbach frontal und in kontrastförderndem Schwarz-Weiß zeigten. „Falten? Kenne ich nicht!“, erklärte der Schauspieler. „Wir fanden den Widerspruch super“, sagt List. „Aber die Ironie haben offenbar viele Zuschauer nicht verstanden.“ Werbung mit Promis kann eben auch nach hinten losgehen.