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Droht der Türkei eine Finanzkrise?

In nur wenigen Tagen verlor die türkische Lira zwölf Prozent. Der Wertverfall bedroht die Machtbasis des türkischen Präsidenten Erdogan: eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.

Die wenigen Touristen, die sich zur Zeit noch Istanbul verirren, können sich freuen. Nicht nur, dass die Preise für Hotelzimmer im Keller sind, auch die türkische Lira ist so billig wie seit Jahren nicht mehr. Die Geldwechsler auf dem Taksim-Platz und der belebten Istiklal-Straße schreiben Tag für Tag höhere Werte in ihre Aushängeschilder.

Vergangene Woche fiel sie auf ein neues Rekordtief. Für einen Euro bekam man 4,1 türkische Lira. Vor nicht einmal zwei Jahren waren es noch 2,5 Lira. Im Vergleich zum Dollar ist der Wertverfall noch etwas drastischer. Bekam man im Oktober noch 3 Lira für einen Dollar, sind es jetzt fast 4.

Leider ist es normal geworden in der türkischen Regierung, bei Problemen auf das Ausland zu verweisen. "Es gibt keinen Unterschied zwischen einen Terroristen mit einer Waffe in der Hand und einem Terroristen mit Dollars, Euros oder und Zinsen. Ihr Ziel ist es, die Türkei in die Knie zu zwingen. (...) Den Wechselkurs benutzen sie als Waffe", sagte Präsident Erdoğan bei einem Treffen mit Dorfvorsitzenden am vergangenen Donnerstag.

Damit rückt Erdoğan, Parteichef der AKP, sogar internationale Banken in die Terroristenecke. Die Zeitung "Yeni Safak", ein AKP-Blatt, warf der Deutschen Bank und anderen Banken in ihrer Donnerstagsausgabe "ökonomischen Terror" vor, weil sie angeblich Kredite vor ihrer Fälligkeit zurückgefordert hätten. Die Deutsche Bank bestritt die Vorwürfe.

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Eine Zinserhöhung der Zentralbank im vergangenen November auf nunmehr acht Prozent konnte den Verfall nicht aufhalten. Formal ist das Institut nach wie vor unabhängig. Doch auch hier kommt Druck von politischer Seite. Entgegen des ökonomischen Sachverstands forderte Präsident Erdoğan von den den Währungshütern, die Zinsen zu senken. Erst als Erdoğan vergangene Woche einlenkte und der Zentralbank freie Hand gab, konnte sich der Kurs wieder etwas stabilisieren.

Tatsächlich sind die Gründe für den Wertverfall nicht alle hausgemacht. Dahinter aber steckt keine "internationale Zinslobby", sondern schlichte Finanzmarktlogik. In Erwartung steigender Zinsen in den USA fließt zur Zeit Geld aus vielen Schwellenländern ab. Der starke Dollar belastet weltweit die Wirtschaft von Staaten, in die lange Zeit das Geld internationaler Kapitalanleger geflossen war.


Politische Probleme

Ein Großteil der Probleme ist zudem politischer Natur. Der Schock des Terroranschlags auf die Istanbuler Nobel-Diskothek Reina, zu dem sich der IS bekannte, sitzt noch tief. Kurz darauf explodierten zwei Autobomben in Izmir. Die Sicherheitslage hat sich in der Türkei seit dem vergangenen Jahr massiv verschlechtert. Das hat auch Auswirkungen auf internationale Unternehmen. Viele berichten von Schwierigkeiten, noch Expats zu finden - zu heikel ist den Mitarbeitern der Standort Türkei geworden.

Zu den externen Krisenfaktoren kommen interne Probleme noch hinzu. Die Jagd auf vermeintliche Gülen-Anhänger lähmt dagegen bürokratische Prozesse. 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen, 40.000 Menschen verhaftet. In vielen Amtsstuben, Polizei-Stationen und Gerichten fehlen schlicht die Leute.

Der Verfall der Lira korreliert auch mit einer Debatte im Parlament. Sie ist der erste Schritt zur Einführung des umstrittenen Präsidialsystems, mit dem Erdoğan noch mehr Macht in seinen Händen bündeln will. Unsicherheit entsteht nicht nur dadurch, dass Anleger einem noch mächtigeren Präsidenten wenig trauen. Unklar ist bisher auch, ob Erdoğan tatsächlich die notwendige Mehrheit bekommt. Er braucht dazu die Stimmen der nationalistischen MHP. Was passiert, wenn er sie wider Erwarten doch nicht bekommt, ist völlig unklar. Diese Unsicherheit aber erhöht die Risiken für das ohnehin schwer gebeutelte Land.

Zum ersten Mal seit 2009 war das Wachstum im dritten Quartal 2016 negativ. Für die Wirtschaft ist die schwache Lira Gift. Viele türkische Unternehmen haben Kredite in US-Dollar aufgenommen. Der Schuldendienst lastet auf ihnen jetzt noch mehr.

Außerdem verteuern sich Güter, die Unternehmen in der Türkei importieren. Die Unternehmensberatung PA Consulting Group (PAC) in Frankfurt verdeutlicht das am Beispiel deutscher Automobilzulieferer in der Türkei: "Das setzt auch Unternehmen, die Endprodukte in die Türkei importieren, unter Druck", sagt Automobilexperte Thomas Goettle. "Besonders die Importeure im Kleinwagensegment leiden stark unter der schwachen Währung. Sie planen bereits jetzt Umsatzrückgänge zwischen fünf und zehn Prozent für 2017."

Belastend wirkt sich zudem aus, dass die Türkei aufgrund hoher Energieimporte ein chronisches Leistungsbilanzdefizit um die fünf bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausweist. Auch deshalb ist das Land auf den Zustrom ausländischen Kapitals angewiesen. Die Direktinvestitionen in die Türkei aber sind stark rückläufig. Waren es 2015 noch rund 16 Milliarden hat sich der Wert ein Jahr später fast halbiert.

Der Internationale Währungsfonds rechnet inzwischen mit einer steigenden Staatsverschuldung. Die ist zwar unter der Regierung Erdoğan kontinuierlich von mehr als 50 auf nur noch 32 Prozent gesunken, könnte laut IWF aber bis 2020 wieder über 40 Prozent klettern. Verglichen mit den Schuldenquoten von Griechenland oder Italien ist das allerdings immer noch unproblematisch.

"Sollte sich die Lage innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht verbessern oder gar verschlimmern, werden viele mittelständische Unternehmen sterben", sagt Goettle von PAC. "Fällt die Währung weiter, sinkt der Wohlstand und in dessen Folge sinken die Stückzahlen.

Ein funktionierende Wirtschaft aber ist das Rückgrat Erdoğans Erfolg. Der türkische Politiker verdankt seine Machtbasis weniger frommen oder nationalistischen Parolen, sondern der Verbesserung des Lebensstandards der türkischen Bevölkerung. Als seine AKP 2002 an die Macht kam, lag die Inflation bei 70 Prozent. Die Türkei war ein Land knapp über Dritte-Welt-Niveau. Seitdem wuchs das türkische BIP im Schnitt um fünf Prozent. Nur einmal auf dem Höhepunkt der Finanzkrise schrumpfte die Wirtschaft. Die Realeinkommen der Türken haben sich in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht.

Erdoğans erklärtes Ziel ist es, die Türkei bis 2023 - dem hundertsten Geburtstag der türkischen Republik - zu einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt zu machen. Heute rangiert das Land bereits auf Platz 17. Die Inflation ist mit knapp zehn Prozent zwar hoch, ist aber nach Mehrheitsmeinung unter Kontrolle.

Eine Finanzkrise, die sich zu einer Wirtschaftskrise auswirkt, bedroht Erdoğans Machtbasis deswegen weitaus mehr als außen- oder innenpolitische Entwicklungen.

Endes des Monats wird die Rating-Agentur Fitch über die Kreditwürdigkeit der Türkei entscheiden. Es ist die letzte der drei großen Agenturen, bei der das Land noch "Investment"-Status hat. Senkt Fitch den Daumen, dürfte es mit der Lira weiter bergab gehen - und wieder vom Wechselkurs als Waffe in den Händen ausländischer Terroristen die Rede sein.