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Martin und Maximilian Viessmann: Mit doppelter Kraft

Martin Viessmann baute den Heizungshersteller zum globalen Konzern aus und setzte früh auf Nachhaltigkeit. Sohn Maximilian ist wichtiger Teil der Zukunft.

Es ist ein emotionaler Moment, als Martin Viessmann 2017 Bundeskanzlerin Angela Merkel im nordhessischen Allendorf begrüßt. „Viessmann verkörpert den Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft“, sagt sie.

Sie kommt nicht zu jedem 100. Geburtstag eines Familienunternehmens. Die beiden kennen sich, seit Angela Merkel Umweltministerin war. Viessmann war beim ersten Energiegipfel 2006 dabei und auch beim zweiten, nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011.

Immer wieder hat Viessmann gemahnt: Der Wärmesektor steht für 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs, oft aber werde nur über Mobilität und Strom gesprochen. Zudem werde zu viel über die Substitution fossiler Energien geredet statt über Effizienz, also Energie, die man am besten erst gar nicht erzeugen muss.

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„Effizienz ist unsere wichtigste und wertvollste Ressource“, lautet seine Überzeugung. Der Wärmesektor sei ein schlafender Riese, hat die Kanzlerin dann Viessmanns Gedanken weitergedacht. Beim 100-jährigen Firmenjubiläum 2017 sagte Viessmann ihr: „Der Riese schläft noch immer.“ Allerdings nicht in Allendorf.

Tatsächlich setzt Martin Viessmann schon früh auf Nachhaltigkeit. Bereits 2012 erfüllt der Heizungshersteller die Standards, die die Bundesregierung für 2050 den Unternehmen ins Aufgabenheft geschrieben hat. „Wer heute keine nachhaltige Marke hat, überlebt nicht“, urteilt der Unternehmer.

Auch die Digitalisierung beginnt bei dem Familienunternehmen früher als bei anderen, da Sohn Max seinen Vater für die Bedeutung der Digitalisierung sensibilisiert. Spätestens als Google 2014 den Thermostat-Hersteller Nest für 3,2 Milliarden Euro übernimmt, begreift Martin Viessmann, dass sein Unternehmen noch deutlich schneller digitaler werden muss.

Seine Lösung: Sohn Max, studierter Wirtschaftsingenieur mit Erfahrungen als Unternehmensberater bei Boston Consulting und als Business Angel, hat den Blick für die digitale Zukunft und das nötige nachhaltige Gewissen.

Was für viele Familienunternehmen zur Sollbruchstelle in der Historie wird – die familieninterne Nachfolge – sehen Martin und Max Viessmann deshalb als Chance. Sie arbeiten fortan mit der Kraft zweier Generationen an der Zukunft des Unternehmens. Und welche Energie das entfalten kann, bestaunen so manche Mittelständler seitdem.

Selbstverständlich ist dieser Weg nicht. Das 1917 von Johann Viessmann gegründete Unternehmen ist ein Handwerksbetrieb, den sein Sohn Hans 1947 übernimmt und zu einem Industriebetrieb formt. Martin Viessmann bezeichnet seinen Vater Hans daher, obwohl dieser ja bereits die zweite Generation repräsentiert, als „typischen Gründerunternehmer“, der das Unternehmen traditionell hierarchisch führte.

Hans Viessmann ist ein Vollbluttechniker. Schon in den 1970er-Jahren setzt er auf Solarkollektoren und Wärmepumpen, als viele Menschen „Ökos“ noch für Spinner halten. Martin, das vierte von fünf Kindern, studiert Betriebswirtschaftslehre in Erlangen-Nürnberg. Eine Entscheidung, die sich für das Unternehmen noch als wertvoll herausstellen wird. Gleich nach dem Studium ruft Vater Hans seinen Sohn Martin ins Unternehmen, dort steigt er schrittweise zum kaufmännischen Leiter auf.

Generationswechsel

Mit der zweiten Ölkrise gerät das Unternehmen in seine wirtschaftlich schwierigste Phase. Gemeinsam mit seinem Vater restrukturiert Martin das Unternehmen. Sie setzen auf energieeffiziente Produkte und moderne IT. Zusammen gelingt ihnen der Turnaround.

Im Jahr der Wende wird Martin geschäftsführender Gesellschafter neben seinem Vater und beendet seine Promotion. „Es war eine gute Arbeitsteilung“, sagt Martin rückblickend. Doch der Vater will nicht ganz loslassen, umschreibt Martin Viessmann die Situation. Ihm wird klar: Seine eigene Nachfolge will er anders regeln.

„Die Emotionalität war die gleiche, aber mit gänzlich anderen Vorzeichen als bei unserem Generationswechsel“, sagt Sohn Max Viessmann nachdenklich, der wie seine Schwester Katharina damals noch ein Kind war.

Auf der Weihnachtsfeier 1991 schließlich verabschiedet sich Hans Viessmann aus dem Unternehmen. Silvester 1991 endet aber auch eine Förderung für die Modernisierung von Heizungsanlagen. Martin Viessmann, nun allein an der Spitze, muss Stellen abbauen.

In dieser erneut schwierigen Zeit blickt er ganz weit nach vorne; er internationalisiert und steigt ins Wintersport-Sponsoring ein. Unternehmensintern schafft er den ersten Kulturwandel: weniger Hierarchie, arbeitsteilige Geschäftsleitung, Workshops und gemeinsame Erlebnisse mit dem Management gehören fortan dazu. „Ich musste die Mitarbeiter abholen, ich musste sie anders führen, Vertrauen aufbauen“, sagt Martin – vor allem zu den Mitarbeitern aus der Technik, denn Martin ist ja nun mal Kaufmann.

Die Entscheidung, Gaswandgeräte zu produzieren, ist auch so eine Weggabelung im Unternehmerleben. Damals sind die Berufsbilder des Heizungsbauers und des Gas-Wasser-Installateurs noch getrennt, und Viessmann hat kaum Zugang zu den Installateuren.

Die neuen Geräte müssen also besonders montage- und wartungsfreundlich sein, statt unzähliger Einzelteile werden Funktionsbaugruppen verwendet, so dass die Handwerker damit zurechtkommen. „Das war eine Revolution und der Marktdurchbruch“, erinnert sich Martin Viessmann. Dadurch hebt er den Auslandsanteil, der bei seinem Amtsantritt noch bei unter zehn Prozent lag, bis 2006 auf mehr als 50 Prozent.

Die Energiewende sieht er früher als andere, ihm wird klar, dass er Technologien zukaufen muss. Und er tut es tatkräftig: Wärmepumpen, Blockheizkraftwerke, Holzfeuerungsanlagen, Solarenergie und Biogastechnologie. Das betrifft aber auch die Produkte und die Produktion: Heute zeigt das Energie-Cockpit in der Unternehmenszentrale an, wie regenerativ Viessmann in Echtzeit produziert.

Mit Lean Production wird die gesamte Produktion neu aufgebaut; Gas, Wasser, Druckluft und Strom kommen von oben, unten – in der Werkshalle – können Prozesse stetig optimiert werden. Die Produktivität steigt um mehr als 15 Prozent. Die Motivation: Als Familienunternehmen, das in der Mitte Deutschlands produziert, muss man wettbewerbsfähig bleiben, um die Arbeitsplätze zu sichern. Am Standort Allendorf zweifelt er nie.

Ulrich Bettermann, Geschäftsführer von OBO Bettermann, kennt Martin Viessmann seit rund 40 Jahren, er teilt mit ihm die Liebe zum Fliegen. Martin Viessmann, der einen Pilotenschein besitzt, flog auch mal Henry Kissinger im Auftrag von Bettermann.

„Martin ist zu 100 Prozent verlässlich und hat das Unternehmen in seiner Amtszeit weit nach vorne gebracht“, sagt Bettermann. „Auch weil er immer ans Geschäft denkt.“ Er habe die Zeichen der Zeit immer früh erkannt und auch den Übergang zu seinem Sohn frühzeitiger als andere eingeleitet. „Martin verfügt über das wichtige Bauchgefühl des erfahrenen Unternehmers.“

Das bestätigt auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende, Matthias Godziek, der ihn seit 30 Jahren kennt. „Martin Viessmann ist eine Persönlichkeit, die Mut zur Entscheidung hat.“ Er habe Betriebsrat und Belegschaft „früh mitgenommen, einbezogen“, sagt dieser, der seit 2009 dem Gesamtbetriebsrat vorsitzt und die konstruktive Zusammenarbeit schätzt.

„Bisher gab es keinen Ärger – auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren.“ Es sei völlig normal, ihn in der Kantine zu treffen, auch wenn er natürlich eine Respektsperson sei. „Wir haben ein gutes Verhältnis.“

Martin Viessmann selbst sieht sich als sehr fordernd. „Geduld gehört nicht zu meinen Tugenden“, sagt er. Er sei sehr umsetzungsorientiert und neige „eher zur Erfolgskontrolle“. Zum vollständigen Bild gehöre aber auch, dass er „sehr empathisch sein kann“. Bei seinem 40. Dienstjubiläum bekommt er die ganze Empathie zurück. Die Mitarbeiter ehren ihn mit einem selbst produzierten Film, vielen Geschenken und einer Überraschungsparty. Daran erinnert er sich sehr beglückt.

Selbstironie ist die Hohe Schule

Selbstreflexion ist eine Tugend für einen Unternehmer, Selbstironie die Hohe Schule. Als zum 100. Firmenjubiläum der neue Imagefilm herauskommt, zeigt sich das. Am Ende des Films kommt Max in Papas Büro. „Du wolltest mich sprechen?“ Vater Martin antwortet: „Ich habe einen Brief an die Mitarbeiter geschrieben.“ Der Sohn: „Und jetzt hast du ein Problem mit dem Mailprogramm?“

Der Vater blickt auf zig gelbe Post-Kisten voller weißer Briefe und fragt: „Wieso Mailprogramm?“ Martin Viessmann weiß, wann die Zeit für eine neue Generation gekommen ist.

Als Max 18 ist, führt der Vater die ersten konkreten Gespräche mit ihm und fragt ihn, ob er sich vorstellen könne, in der Firma Verantwortung zu übernehmen. Max antwortet mit Ja. Während er das Abi locker schafft, geht es im Studium zum Wirtschaftsingenieur in Darmstadt nicht immer so glatt.

Einige technische Klausuren mit hohen Durchfallquoten gelingen auch ihm nicht im ersten Anlauf. Wie bei den vielen Sportarten, die er betreibt, Fußball, Motocross, Downhill oder Boardercross, lernt er auch dort, wie sich Scheitern anfühlt. Und er lernt, schnell wieder aufzustehen.

Bei der Boston Consulting Group ist Max froh, dass er eher strenger als andere beäugt wird, sein Nachname ihm keine Vorteile bringt und er von seinen „starken Kolleginnen und Kollegen“ lernen kann. Er bewegt sich in der Venture-Capital-Szene in Asien und Europa und ist dort ein gefragter Gesprächspartner. Eigentlich möchte er noch in einer größeren Tech-Company in Asien oder Amerika weitere Erfahrungen sammeln.
Als er jedoch 2015 zusammen mit seinem Vater in den Bergen ist, kommt es zu einem einschneidenden Gespräch, erinnert sich der heute 30-Jährige. Sein Vater und er hätten die vielen Opportunitäten in digitalen Technologien gesehen, aber auch, dass Viessmann davon noch nicht profitiere. Vater und Sohn diskutieren. Am Ende ist klar: Ohne Digitalisierung wäre die Vergangenheit von Viessmann länger als die Zukunft.

Die Idee: Max kommt für ein halbes Jahr ins Unternehmen und führt dann seine Lernkurve woanders fort. Doch „als ich die Füße über die Schwelle ins Unternehmen gesetzt habe, war die Leidenschaft einfach zu groß, um wieder zu gehen“. Und er fügt an: „Ich bereue absolut nichts.“

Max ist wichtig, dass auch Nachfolger ihrem Vorgänger mit der nötigen Demut und Kooperationsbereitschaft begegnen. „Dann ist ein Generationswechsel eine echte Chance.“ Sein Vater jedenfalls habe sich klar hingestellt und gesagt: „Mein Sohn hat mein volles Vertrauen. Auch wenn er vieles infrage stellt, stehe ich voll dahinter.“ Das war ein Statement, das viel geholfen hat, ist Max überzeugt.

„Wir gestalten Lebensräume für künftige Generationen“

Er sieht bei sich eine ähnliche unternehmerische Ungeduld, wie sie auch sein Vater sich selbst zuschreibt. Er sei aber immer bedacht, „Augenhöhe mit allen herzustellen“, ganz gleich, was die Mitarbeiter – er nennt sie Familienmitglieder – im Unternehmen machen.

Hinzu käme, dass er zwar nicht harmoniebedürftig sei, aber doch finde, man solle gut miteinander auskommen. Es sei durchaus vielschichtig in einem Familienunternehmen. Einerseits müsse die Performance stimmen, andererseits müsse man das Vertrauen haben, auch scheitern und lernen zu können.

Klar ist: Beide, Martin und Max Viessmann, haben viel investiert, finanziell, persönlich, aber auch in Kommunikation und Transparenz. Sie legen viel Wert auf Werte. Sie haben früh begriffen, dass die Transformation eines Unternehmens mit 2,5 Milliarden Euro Umsatz dann gelingt, wenn man die Mitarbeiter mitnimmt.

Max diskutiert mit allen 12.000 jeden Monat in sogenannten „State of the World“- Meetings, was das Unternehmen antreibt. Im Rahmen des 100. Firmenjubiläums entwickelten sie mit den Mitarbeitern ein Leitmotiv: „Wir gestalten Lebensräume für künftige Generationen.“

In zehn Jahren soll der Auftrag zu 100 Prozent erfüllt sein, sagt Martin Viessmann. Zurzeit sei man bei 30 Prozent. Er arbeitet heute anders und sagt, freimütig: „Was ich nicht mehr habe, ist der Druck.“ Das falle auch seinem Umfeld auf. Sein Sohn trägt die Last nun mit.

Für Sebastian Purps-Pardigol, Führungscoach und Organisationsberater für Kulturwandel, ist der Umbau bei Viessmann exemplarisch. Er hat Viessmann ein Kapitel in seinem Buch „Digitalisieren mit Hirn“ gewidmet.

„Sie sind das Thema Kulturwandel und digitale Transformation frühzeitig und vorbildlich angegangen“, urteilt der Berater. Das Warum an die Mitarbeiter zu vermitteln sei besonders bedeutsam gewesen.

„Das Unternehmen hat viel in interne Kommunikation und Agilität investiert. Sie wollen die Menschen wirklich mitnehmen.“ Die Viessmann-Mitarbeiter-App V2go sei der direkte Draht auf die Smartphones aller Mitarbeiter, egal, ob sie in der Fertigung oder am Schreibtisch arbeiten.

Christian Berner, Vorstandschef der Berner Group, der ähnlich jung an die Firmenspitze rückte, findet, dass Unternehmertum im Kern zwei Dinge beinhalte: weiter vorausdenken und konsequenter entscheiden als andere.

„Max Viessmann ist einer der stärksten Vorausdenker, die wir aktuell in der europäischen Unternehmerlandschaft haben“, ist Berner überzeugt. Ein großes Lob für den jungen Firmenchef, der 2016 Chief Digital Officer und Ende 2017 Co-CEO neben Joachim Janssen wurde.

Seit 2019 hat er darüber hinaus die direkte Verantwortung für den größten Geschäftsbereich. Bodenhaftung ist da wichtig. „Die Erziehung meiner Eltern mit klaren Werten hat die Basis geschaffen. Darüber hinaus sind meine Frau und unser Nachwuchs ein wesentlicher Ankerpunkt.“

Höhenflüge machen Martin und Max nur im Flugzeug. „Wir feiern Erfolge“, sagt Max. „Aber danach wissen wir, dass wir wieder hart arbeiten müssen.“