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„Donald Trump ist der undemokratischste Präsident in der modernen US-Geschichte“

Die Wand mit golden gerahmten Schriftstücken fällt zuerst ins Auge. „Keine schlechte Lebensgeschichte, oder?”, sagt Madeleine Albright in ihrem Büro in Washington. Die frühere US-Außenministerin zeigt auf die Urkunde ihrer Freiheitsmedaille und auf eine Passagierliste der „SS America“. Auf diesem Schiff reiste sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus Europa nach Amerika ein, zusammen mit ihren Eltern und drei Geschwistern. Ihr Mädchenname, Marie Jana Korbelova, ist in schwarzer Tinte festgehalten. Damals war sie elf Jahre alt, heute ist Albright 81, dazwischen liegt eine Ausnahmekarriere als Spitzendiplomatin.

Bei einer gekühlten Dose Limonade erzählt Albright von ihrem Buch „Faschismus – Eine Warnung“, das im Juli auf Deutsch erschienen ist. Darin verknüpft sie den europäischen Faschismus im 20. Jahrhundert mit populistischen Bewegungen von heute – und mit US-Präsident Donald Trump. Dass Albright Wendepunkte der Weltgeschichte persönlich erlebt hat, ist die größte Stärke des Buchs.

Madam Secretary, schauen Sie die Serie „The Handmaid’s Tale“?
Ich habe sie mir noch nicht angeschaut, aber ich muss das nachholen. Jeder sagt mir, dass ich die Serie unbedingt gucken sollte.

In der fiktiven Zukunftsvision, basierend auf der Vorlage von Margaret Atwood, werden die USA zu einem entmenschlichten Tyrannenstaat. Ihr Buch, „Faschismus: Eine Warnung“, beschreibt ähnliche Gräuel – mit dem Unterschied, dass es wahre, historische Fakten beleuchtet. Warum haben Sie es zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht?
Ich hätte es unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen 2016 geschrieben. Seit geraumer Zeit beobachte ich eine Spaltung der Gesellschaft, auch Europa hat sich verändert. Als es in Ungarn zum Beispiel plötzlich eine Kampagne gegen den Investor und Aktivisten George Soros gab oder sich die politische Stimmung in Polen drehte, wurde ich nervös. Ich wollte diese Entwicklungen durch einen historischen Ansatz greifbar machen.

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Welche Leserschaft wollen Sie erreichen?
Viele junge Leute besuchen meine Buchtour, was mich sehr freut. Das Publikum, das ich im Hinterkopf hatte, waren Menschen, die den historischen Kontext zu aktuellen Entwicklungen verstehen wollen. Teile der Geschichte habe ich selbst erlebt. Manche Leser denken, das Buch sei alarmistisch. Genau das soll es auch sein. Es ist wirklich eine Warnung.

Würden Sie Anhängern von Donald Trump empfehlen, Ihr Buch zu lesen?
Ja. Ich fände es interessant, zu sehen, warum sie ihn unterstützen und ob sie Parallelen zur Geschichte sehen.

Ist Donald Trump ein Faschist?
Nein, aber er ist der undemokratischste Präsident in der modernen Geschichte der USA. Er hat nicht verstanden, dass Demokratie sowohl den Willen der Mehrheit als auch die Rechte der Minderheit umfasst. Das beste Zitat in meinem Buch kommt von Benito Mussolini, der sagte: „Wenn du ein Huhn langsam Feder um Feder rupfst, kriegt es niemand mit.“ Mein Buch beschreibt die Federn.

Der US-Präsident stellt die Nato infrage oder brüskiert die britische Premierministerin Theresa May während eines Staatsbesuchs. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich schäme mich und bin schockiert. Das widerspricht allem, wie Spitzendiplomatie funktioniert. Ein Teil der Geschehnisse ist mir, offen gestanden, ein Rätsel. Nach dem Interview in der „Sun“ stellte sich Trump hin und sagte zu May: „Wir hatten eine großartige Zeit.“

Auch nach dem angespannten Nato-Gipfel sagte er, es sei das beste Treffen gewesen, das die Runde jemals hatte. Ich habe in meinem Leben gelernt, dass es immer mehr als nur ein Publikum gibt. Trump scheint besonderen Wert darauf zu legen, dass seine unhöflichen und störenden Botschaften in der Öffentlichkeit ankommen. Aber was wirklich hinter geschlossenen Türen passiert ist, wissen wir nicht.

Als Außenministerin in der Regierung von Bill Clinton haben Sie viele Staatenlenker getroffen, Ihr Buch enthält Details über Ihre Begegnung mit dem damaligen nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il. Glauben Sie daran, dass Nordkorea abrüstet?
Die Zeichen dafür stehen nicht gut. Selbst wenn das Treffen zwischen Donald Trump und Kim Jong Un freundlich verlief, hat Nordkorea eine ganze Menge aus dem Gipfel herausholen können, ohne irgendetwas dafür tun zu müssen. Wir haben unsere Militärübungen in Südkorea gestoppt, Nordkorea hat noch nichts geliefert.

Man hat sich nicht auf eine klare Definition von Denuklearisierung verständigt, geschweige denn auf einen Prozess der Überprüfung. Die Gipfel in Singapur mit Kim und in Helsinki mit Wladimir Putin wurden anscheinend nicht gut vorbereitet. Das ist ein Problem.

Nachdem Sie Putin im Jahr 2000 getroffen hatten, notierten Sie sich: „Er ist entschlossen, Russlands Größe wiederherzustellen.“ Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Russland nach der Ukraine auch das Baltikum besetzen könnte?
Über diese Möglichkeit bin ich besorgt. Russland hat für Expansionspläne schon zu Zeiten der Sowjetunion eine bestimmte Ausrede vorgeschoben. Als die Sowjets 1968 in die Tschechoslowakei einmarschierten, behaupteten sie, es hätten Menschen um die Hilfe der Russen gebeten.

Das hat der Kreml auch über die Ukraine, die Krim, gesagt. Jetzt streckt angeblich eine russische Minderheit im Baltikum die Arme in Richtung Moskau aus. Wenn Russland aktiv werden sollte, würde es sein Vorgehen begründen wie immer. Russland wird zudem immer versierter in hybrider Kriegsführung. Und russische Einmischung in Wahlen haben wir auch in den USA gesehen.

Was will Putin?
Er möchte Demokratie untergraben, wo immer es möglich ist: bei seinen unmittelbaren Nachbarn, in Europa, in den USA. Er sieht demokratische Regierungen als Feind für sein System. Er kommt aus dem Geheimdienst KGB, er ist sehr gut in Propaganda. Und er hat erkannt, dass Trump die Welt als Nullsummenspiel sieht, sie in Gewinner und Verlierer einteilt. Um die Größe Russlands wiederherzustellen, will er die Kraft und den Einfluss der USA mindern, sie von ihren europäischen Partnern entfremden.

Trump trägt selbst viel zur Entfremdung bei, er hat einen Handelskrieg losgetreten. Wohin führt das?
Trump spielt mit dem Gefühl eines Teils der US-Bürger, der Rest der Welt nutze Amerika aus. Er fügt dieser Gemengelage seine Beschwerde über angeblich unfairen Handel hinzu. Es benutzt den Welthandel als Werkzeug, um größere Differenzen zu säen, und sieht ihn als Instrument eines Kampfes zwischen Gewinnern und Verlierern, anstatt wie wir daran zu arbeiten, durch Handel unsere Gesellschaften zu verbessern, damit alle davon profitieren.

Mit Ihrer Familie sind Sie vor dem Zweiten Weltkrieg nach London geflohen und waren elf Jahre alt, als Sie in die USA kamen. Sie selbst nennen sich einen „Flüchtling, der Glück gehabt hat”. Heute ist die amerikanische Zuwanderungspolitik strenger denn je. Sind die USA noch eine Nation der Einwanderer?
Ja, aber der Begriff ist bedroht. Ich bin besorgt darüber, dass Trump Einwanderer pauschal als Terroristen, Vergewaltiger oder Faulpelze beschreibt. Jeder Staat hat das Recht, klare Regeln für die eigene Einwanderung aufzustellen. Die meisten US-Amerikaner verstehen aber, dass es uns bessergeht, wenn wir eine großzügigere Einwanderungspolitik verfolgen. Die Bilder von Kindern, die an der Grenze von ihren Eltern getrennt wurden, haben einen Nerv getroffen, viele Menschen haben dagegen protestiert. Schwierig finde ich, wenn die USA Europa erzählen wollen, wie es mit Flüchtlingen umzugehen hat. Wir tun selbst nicht genug.

Der deutsche Innenminister macht Scherze über Abschiebungen, Angela Merkel hat gerade eine Regierungskrise überstanden. Was passiert, wenn Merkel eines Tages abtritt?
Angela Merkel war bemerkenswert in der Flüchtlingskrise. Ich bewundere sie für das, was sie getan hat, für ihre Großzügigkeit. Ich wünschte mir, andere Staaten würden ihrem Beispiel folgen. In einer idealen Welt hätten wir funktionierende Absprachen, wie viele Flüchtlinge jedes einzelne Land aufnimmt.

Ich würde es nicht gern sehen, wenn Deutschland den Weg der Aus- und Abgrenzung geht. Die Flüchtlingszahlen sind zurückgegangen, die EU hat sich auf einen Plan geeinigt. Aber Europa war überfordert, das fing schon bei einfachen Dingen wie der Registrierung über Computer an. Das ist absurd. Gemeinsam mit einer Gruppe aus Europa und den USA arbeite ich an einem Projekt, wie digitale Technik Flüchtlingspolitik verbessern kann. Wir haben jetzt die Chance für nachhaltige Veränderungen.

Sie waren die erste Frau, die Außenministerin der USA wurde. 20 Jahre später kämpft die Gesellschaft noch immer um eine Gleichberechtigung der Geschlechter. Sehen Sie eine breite Gegenreaktion gegen den Feminismus?
Es gibt spürbar einen Backlash, aber auch auf der anderen Seite bewegt sich viel. Bis zur „#MeToo”-Debatte hatte ich allerdings häufig den Eindruck, dass jüngere Frauen Fortschritte für selbstverständlich gehalten haben, die viele Frauen aus meiner Generation vorangetrieben und durchgekämpft hatten. Sie dachten vielleicht, das könne ihnen niemand wieder wegnehmen. Ich glaube, dass man nichts auf der Welt als gegeben betrachten sollte.

Frauen auf der ganzen Welt unterstützen und wählen Populisten, selbst wenn einige davon Frauenrechte beschneiden. Wie erklären Sie sich das?
Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen. Die Wahl von Trump ist das beste Beispiel, dass man nie etwas verallgemeinern darf. Vor der Präsidentschaftswahl hieß es, Frauen würden grundsätzlich nicht für ihn stimmen. Ein Teil der Frauen hat es trotzdem getan.

In Ihrem Buch sehen Sie den Fall der Berliner Mauer als Wendepunkt. Als eine Chance, die Welt stabiler und zivilisierter zu machen. Hat die westliche Welt diese Chance genutzt?
Wir waren alle euphorisch über das Ende des Kalten Krieges und die Aussicht, dass sich Freiheit und Fortschritt durchsetzen. Doch einige Dinge entwickeln sich wieder rückwärts. Der polnische Journalist Witold Szablowski vergleicht in seinem Buch „Dancing Bears” die Länder Zentral- und Osteuropas nach dem Kommunismus treffend mit Bären in einem Zirkus, die man plötzlich in die Wildnis entlassen hat.

Die Bären wissen nicht, wie die Welt da draußen funktioniert, und ziehen sich verängstigt zurück. Ich denke, wir haben die Chance genutzt und nutzen sie noch immer. Abschließend beantworten kann ich die Frage für mich aber nicht, ich stelle sie mir selbst fortlaufend.

Frau Albright, vielen Dank für das Interview.